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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

21. 4. 2011 - 17:57

Schwert und Selbsterfahrung

Ein Videospiel zwischen Fantasy-Abenteuer, popkulturellem Eso-Trip und einem virtuellen Besuch beim Psychotherapeuten.

Es ist schön zu sehen, wenn Künstler/innen mit Talent und Schlauheit sämtliche Gesetze des Marketings so nebenher meistern. Jahre und Monate vor dem Erscheinen eines Produktes das Internet mit dazugehörigen Artworks, Videos und Musikstücken zu füttern, erspart oft die beste PR-Agentur. Ich bin mir nicht mal sicher, ob "Superbrothers: Sword & Sworcery EP", ein experimentelles Videospiel mit einem absurd sperrigen Namen, als Idee überhaupt schon existiert hatte, als der kanadische Grafikkünstler Craig D. Adams alias Superbrothers im Jahr 2008 seine ersten Pixelkurzfilme online gestellt hat.

Superbrothers - "Dot Matrix Revolution"

Gut ein Jahr später formt sich aus den multimedialen Versatzstücken langsam, aber stetig ein größeres Ganzes. Die markanten, dürrbeinigen Pixelfiguren von Adams und ein erster Videospiel-Prototyp erhalten Anfang 2010 den Mobile Achievement in Art Award am Independent Games Festival in San Francisco. Zu dieser Zeit sind bereits großformatige Superbrothers-Poster in geringen Auflagen gedruckt worden und werden online zu Liebhaberpreisen verkauft.

Worum es im Spiel gehen wird, ist zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend unbekannt. Doch es sind bereits genügend Informationen vorhanden, damit "Sword & Sworcery" in vorauseilender Freude ein neues Liebkind all jener Videospielkultur-Freund/innen wird, die sich von Games-Projekten beseelen lassen, die gleichzeitig innovativ und stilsicher sind. Die Indizien häufen sich, dass das Spiel Referenzen zu anderen Kunst- und Kulturformen einbringen wird und Metaebenen, Selbstreflexion sowie philosophische Ansätze bietet, die mehr darstellen als die Summe einzelner Hand/Augen-Koordinationsaufgaben.

Input Output Cinema

Im Herbst 2010 verdichten sich die Informationen. Craig D. Adams spricht in einem Vortrag auf der "Fantastic Arcade", dem Videospiel-Seitenarm des texanischen Filmfestivals "Fantastic Fest", über seine Begeisterung für Mythologie und Minimalismus und erklärt das Prinzip des "Input Output Cinema". Es ist einer der vielen von Adams im Vorfeld gestreuten, selbst ersonnenen Begriffen, die die Neugierde auf das fertige Spiel noch größer machen.

Die weibliche Heldin von "Superbrothers: Sword & Sworcery EP" steht auf einem Steinpodest und streckt ihr Schwert in die Luft.

Superbrothers

Die fantastische Reise ins Selbst

Die Reise ins Ungewisse manifestiert sich schließlich im März 2011. "Sword & Sworcery" erscheint zunächst exklusiv für iPad - der touchtronic machinery, wie es Adams bezeichnet. Schon im Trailer zum Spiel wird klar, dass wir hier nach etwas auf der Suche sein werden, das wir selbst nicht so recht verstehen. Der rauchende Psychotherapeut namens "The Archetype" spricht in ruhigem Ton zu uns und bildet die Schnittstelle zwischen den Ebenen des Bewusstseins, in- und außerhalb der vordergründigen Spielewelt.



Zwei Seiten

Zunächst wandern wir mit unserer Titelheldin, die so genannte Skythin, Bild für Bild durch die pixelige Landschaft, sprechen mit der Schafhirtin und dem Holzfäller und hören dem Hund beim Bellen zu. Die Ästhetik der Sprache beim Betrachten der Dinge fällt von Anfang an als zentrales Merkmal des Spiels auf. Die eingeblendeten Texte, die uns die hier vorgefundene Welt und ihre Bedeutung von banal bis metaphysisch erklären, sind literarisch-blumig formulierte, englische Sätze, gemischt mit bodenständiger Sprache aus dem Hipster-Alltag, wo sich dudes im Minutentakt ihre Trivialitäten twittern. Auch bei "Sword & Sworcery" haben wir die Möglichkeit, jede erhaltene Mitteilung im Spiel per doppeltem Fingerdruck unter #sworcery zu veröffentlichen.

Eine Platte mit einem pixeligen Hirsch in der Mitte.

Superbrothers

Diese Dichotomie zwischen banal und übersinnlich zieht sich in unterschiedlichen Formen durch das gesamte Spiel. Das Naheliegende gibt dem Unerklärbaren die Hand, die Realität wechselt in die Traumwelt, der Vollmond wird zum Neumond. Die Platte wechselt immer wieder zwischen Side A und Side B. Hier müssen wir geschickt mit dem Schwert kämpfen und dort wieder mit voller Konzentration gute Geister beschwören.

Das Rote Buch im fantastischen Setting

Die Arbeitsaufteilung bei der Spieleentwicklung von "Sword & Sworcery" war nahezu perfekt. Während das Entwicklerstudio Capy sich um die technischen Belange gekümmert und der kanadische Indie-Folk-Musiker Jim Guthrie an Sounds und Soundtrack gebastelt hat, war für Superbrothers-Mastermind Craig D. Adams genügend Zeit für die nötige Inspiration. So ist sein erstes Videospiel im Wesentlichen eine Mischung der namensgebenden, kitschigen "Sword and Sorcery"-Fantasy-Romane und dem 2009 erstmals veröffentlichten Selbsterfahrungsbuches des berühmten Schweizer Psychiaters Carl Gustav Jung geworden. Im sogenannten "Roten Buch" hat dieser von 1914 bis 1930 seine Träume und Visionen festgehalten.

Die Heldin aus "Superbrothers: Sword & Sworcery EP". dahinter ein sichelförmiger Mond in der Größe der Figur.

Superbrothers

"Superbrothers: Sword & Sworcery EP" ist bereits für iPad, iPhone und iPod Touch erschienen und kostet rund 4 Euro.

Wäre "Superbrothers: Sword & Sworcery EP" auch ohne den Theorie- und Referenzüberbau und der hippen Aura rund um kanadische Indie-Künstler großartig? Mit dieser Ausgangsfrage bin ich selbst ans Spiel herangegangen und war verblüfft, wie überzeugend und nahtlos alle Teile von Adams' Videospielexperiment-Puzzle zusammengesteckt wurden. Es ist eine virtuose Rezeptur aus pixeligem Retro-Abenteuer, audiovisuellem Bombast, epischem Märchen, dem Pflücken von Philosophiehäppchen und dem konsequenten Überschreiten von Dimensionsgrenzen.