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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

21. 4. 2011 - 14:50

Immer noch eine ziemliche Lichterkette

Die australische Band Architecture in Helsinki hat ein neues Album veröffentlicht, das den einst so übermütigen Flohzirkus der Wunderklänge dezent zähmt. Heute live im Wiener WUK.

Ist ja gar nicht so schwer, dieses "Älterwerden" in der Popmusik: Man färbt sich die Haare schwarz, geht mit Stechkarte 9 to 5 zum Songschreiben ins Büro, nimmt weniger Antidepressiva und komponiert rotweinwürdige Balladen am Flügel. Oder reißt sich ab und zu als Hobby den ersten und letzten, den derbsten Bluesrock aus den Rippen.

Architecture in Helsinki

Warwick Baker

Architecture in Helsinki: Alles ist die Sekte?

Architecture in Helsinki, die Band, die bekanntlich weder aus Finnland kommt noch mit Architektur etwas am Hut hat, außer vielleicht, jetzt einmal komplett weit hergeholt, dass sie in ihrer Musik die unterschiedlichsten Styles und Elemente zu einem dauernd die Epochen verwechselnden Mischbau aus Villa Rotonda und Rietveld-Schröder-Haus zusammensteckt, findet neue Wege in der Metaphysik und in dezenter Reduktion. Architecture in Helsinki aus Melbourne, Australien, die heute, Donnerstag, im Wiener WUK auftreten werden, sind die Band, die dafür bekannt ist, das sie gleichzeitig Blaskapelle, elektronische

Heute, Donnerstag, treten Architecture in Helsinki im Wiener WUK auf.

Auch nicht schlecht: Die kanadische Indie-Elektronik von The Russian Futurists im Vorprogramm.

Disco-Combo und superniedlicher Indie-Pop ist. Früher bestand die Gruppe aus acht frei und wild flottierenden Mitgliedern - was man gut aus der Musik heraushören konnte: Neben dem üblichem Band-Instrumentarium und Elektronik waren da 400 Glockenspiele, Flöten, Tubas, Geraschel und Geklopfe zu erleben, beispielsweise auf dem bis heute unerreichten Zweitling "In Case We Die". Jetzt ist das vierte Album von Architecture in Helsinki erschienen: "Moment Bends" heißt die Platte, die im Koordinatensystem Architecture in Helsinki etwas brav dasteht und wie es scheint Antworten auf die letzten Fragen des Lebens sucht. Immer noch sehr, sehr gut.

Architecture in Helsinki

Mia Mala McDonald

Am Freitag gibts in Connected ein Interview mit Architecture in Helsinki zu hören.

Nach schrittweiser Vernunftschrumpfung im Bandgefüge ist bei Architecture in Helsinki mittlerweile die Organisationsform "Quintett" die gültige. Möglicherweise aus Personalmangel stehen bei "Moment Bends" jetzt eher Synthesizer und Elektronik denn Triangel, Kastagnetten und Flügelhorn im Vordergrund. Was früher in Echtzeit ins Mikrofon getrötet und geknuspert wurde, emuliert nun großteils die liebe Maschine. Der umgekehrte Weg vom Schlafzimmerproduzenten, der mit Beat-Basteleien aus dem Chemie-Baukasten beginnt und nach vier Alben beim Symphonie-Orchester in der Royal Albert Hall oder im Merriweather Post Pavilion angekommen ist.

Architecture in Helsinki

Architecture in Helsinki

"Moment Bends" von Architecture in Helsinki ist bei COOP/Universal erschienen

Passieren tut auf "Moment Bends" nach wie vor aber mehr als allerhand: Pop as Kaugummi as can be, die Übersetzung von R'n'B eines kieksenden und flüsternden Justins oder gleich Michaels in abgeschrottete Indie-Attitude, Autodrom-Beat und die eine oder andere "Ballade". Das Arsenal der Ideen und Soundeinfälle rumpelt dieses Mal aber etwas zahmer in die Welt hinaus. Auch wenn es hier Schlager-Rhythmus, schiefes Gitarren-Genudel oder Zweite-Hand-Karibik aus dem Casio zu erfahren gilt, ist die Extravaganz bei Architecture in Helsinki mittlerweile schon gut erprobt und glatt frisiert.

Der Grundton ist ein gedämpfterer, durch die Texte zieht sich ein seltsamer Faden des Übernatürlichen und Esoterischen. Des Religiösen gar? Im großartigen Eröffnungsstück "Desert Island" wird Utopia und ein neues Heim fern von dieser weltlichen Existenz gesucht, "Miracles" werden da und dort gewirkt, die Nummer "W.O.W" steht tatsächlich für "Walking On Water" und im abschließenden, wunderhübsch triefenden Butterbroteinwickelpapier von einem Song "B4 3D" schreibt Sänger Cameron Bird einen "Letter to the Universe". Im Alter beginnt man sich für die Magie der Steine zu interessieren.

Das Ergebnis ist eine feine Platte einer Band, die live gerüchteweise nach wie vor ein ziemliches Spektakel darstellen soll, voll elektronisch zitterndem Soul, abgebremstem Kindergeburtstag und zwei Schaufeln Melancholie im Brausepulver. Leuchtet noch immer schön, knallt nicht mehr ganz so toll. Still crazy after all those years. Mit ein bisschen Würde halt und ein paar spinnerten Gedanken im Kopf.