Erstellt am: 20. 4. 2011 - 22:44 Uhr
Journal 2011. Eintrag 79.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag als Anregungs- und Denkfutter, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich das ganze Jahr über Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit etwas, was vorschnell als bösartig rassistischer Blödsinn abgetan werden kann, ich weiß.
Ich weiß nicht so recht, wie ich drauf gekommen bin. Ich weiß nur, es war auf dem Weg zum gestrigen Spiel als ich mir überlegte, warum mir die seltsame Art der Vorarlberger Fußball-Funktionäre so seltsam einfährt. Der Anlassfall war harmlosest: am Wochenende hatte Austria Lustenau-Präsident Hubert Nagel, in den üblichen Andeutungsfloskeln, den nahenden Abgang seines Trainers kommentiert. Und da bei mir einen Nerv getroffen, den, der mich zum Nachgrübeln und -forschen anregt.
Mich stört da nämlich nicht das schöne Fremde: die andere Sprache, die durchschimmernde, andere Kultur - das hat exotische Qualitäten, das reizt zur formalen Betrachtung,
Mich treibt ein bestimmter Unterton, der Aussagen wie die von Nagel begleitet. Und diesen Unterton, diesen verbalen Gestus, den finde ich immer wieder, wenn Vorarlberger Männer vor sich hin tönen. Wie das bei Frauen ist, weiß ich nicht: die meisten Vorarlbergerinnen, die ich kenne, sind Exilantinnen, und öffentliche Figuren fallen mir gerade gar keine ein, auch ein Indiz.
Der Unterton liegt auch in allem, was Hans Peter Martin vor sich hinschwurbelt, in erregter Aufbegehrlichkeit und mit aller nur möglich aufgeplusterten Entrüstung.
Dieser Unterton der moralischen Bessergestelltheit
Dieser Unterton liest sich auch aus den aktuellen Berichten über die widerwärtige Testamentsaffäre. Dieser Unterton war auch das Leitmotiv in der bis in die Mediensituation des Landes hineinspielenden Affäre um den Feldkircher Bürgermeister vor einigen Wochen. Dort spielten, fällt mir ein, auch Frauen eine Rolle. Die hatten allerdings keine Namen, die hießen nur "Ehefrau" und "Geliebte", ganz als wäre "Mad Man" ein zeitgenössisches Stück.
Mein Lieblings-Beispiel in Sachen Fußball: zum Saisonstart der 1. Liga wurde ein Büchlein, dass Hubert Nagel, Präsident der Austria Lustenau mitgebracht hat, an die anwesenden Journalisten verteilt. "Grün-Weiss alle Tage" hiess diese unendlich biedere, patronisierenden und peinliche Sammlung von Aphorismen- und Gleichnissen, die zu verteilen sich nicht einmal mehr mein alter Reli-Lehrer in den 70er mehr getraut hätte, ein bigotter und hochprovinzieller von Stammbuch-Idyllen durchzogener Beleg einer versunkenen Denkungsart.
Den Unterton habe ich auch im Mikrokosmos Fußball, dieser Spätwarnanlage für gesamtgesellschaftliche Entwicklungen, über Jahre erlebt: egal, ob es um den Untergang in Bregenz, die Selbstfaller in Altach oder die aktuellen Betrugsfälle in Lustenau geht.
Und mir wird zunehmend klarer, was da so hakt, was mich da so massiv stört: die Diskrepanz zwischen Behauptung und Tat, die übergroße Differenz zwischen Pose und Realität.
Klar, überall gibt es Biedermann-Masken, hinter denen dann kriminelle Energie steckt, überall existiert der Schein von seriösem Management, der nichts als Unfähigkeit kaschiert. Und auch die selbsternannten Gen-Pool-Kaiser, deren Getue nichts als regressive Provinzialität signalisiert, sind in zumindest ganz Europa breit gesät.
Seriöser Schein und relative Diskrepanz
Das Beharren auf ein von Gott, Vaterland, den Bergen, der Hinterlassenschaft der Natur per Geburt in die Wiege gelegtes Zertifikat deutlich sauberer, reiner, purer und edler zu sein als alle weiter östlich angesiedelten Rest-Österreicher (von anderem Gesindel gar nicht erst zu sprechen) ist allerdings bei den Proponenten der von mir hier angesprochenen Vorarlberger Unkultur am relativ höchsten.
Das ist ein Zauberwort in dieser unvorsichtigen Attacke, die man ganz leicht auch als rassistisch, verallgemeinernd, pauschal und kulturunverständig lesen kann: relativ.
Pharisäer, die einem mit ihrer ehrlichsten Maske ins Gesicht flöten, sind Alltag, weltweit und nicht besser oder schlechter als die vorarlbergischen, ja, eh. Die dort herrschende Unkultur sich als Moral-Polizist der Region/des Landes aufzuspielen jedoch macht diese Aktionen dann um den entscheidenden Deut schiacher.
Von einem russischen Mafiosi gelinkt zu werden mag übler sein, als einem alemannischen Biedermann aufzusitzen - der moralische Unterschied jedoch ist klar: beim einen hatte man sichs denken können, der andere hat ein in seinem Tal aufgebautes positives Klischee benutzt. Wenn dann auch noch vorgebliche Gottesfürchtigkeit und moralische Aufgeblasenheit dazukommt, dann wird das evident.
Anderswo kokettiert man mit seiner Verlotterung...
Das unterscheidet dann die Verlogenheit von anderen Provinz-Kaisern von der in Vorarlberg üblichen: anderswo wird augengezwinkert und mit der eigenen Verlottertheit schon fast kokettiert, im gsibergerischen sucht man die ironische Distanz zu sich selber vergeblich (oder nur bei Exilanten).
Es geht um diesen hierzulande nur im Vorarlbergischen umtriebigen Gestus der Besser- und Nochbesser-Menscherei, die sich nicht nur über die Bösewichte und Bösmenschen, sondern natürlich auch über die Gutmenschen erhebt, um die Moralkeule zu schwingen. Und weil alle, auch Nicht-Christen, wissen, dass es eine gefährliche Sache ist, den ersten Stein zu werfen, weil das eigene Sündenfreiheit voraussetzen würde, erfolgt angesichts dieser Suaden, die von den Martins und Testamentsfälschern aller Bereiche abgeführt werden, dann auch keine Replik.
Man traut sich nicht gegen die hohe Moraldichte, diese sprachlich rigid abgeführte Klarheit mit Gegenargumenten zu kontern. Und ist damit schon auf den Biedermann-Trick reingefallen.
Und, nein, sich da allein auf die Säuerlichkeit des im Westen gepflogenen Protestantismus auszureden, greift zu wenig weit, genauso wie die Alemannen-Ausrede: nebenan in der Schweiz liegen die Dinge nämlich auch ganz anders.
In Vorarlberg regiert der Brustton moralischer Überlegenheit
Im übrigen handelt es sich, das lässt sich anhand der parteipolitischen Landschaft des Ländles leicht erkennen, nicht um eine politische Unkultur, sondern eine gesellschaftliche. Ich bin mir sicher, dass ein guter Teil der jüngeren Generation, der mit diesem Unterton der moralischen Überlegenheit arbeitet, das mittlerweile durchaus aus Überzeugung tut; und wahrscheinlich hält auch ein guter Teil derer, die damit nur ihre linken Geschäfte tarnen, das auch für anständig. So verinnerlicht hat man das Leben und Denken in diesem seltsam kleinstädtischen Elitendenken, das auch durch den hohen Grad an Verwandtschaft begleitet wird, bereits.
Wie bereits gesagt: die "schwarzen Schafe" sind keine Mehrheit - aber die Stimmung in dieser mit ihrer Angeschiedenheit angebenden Mehrheits-Gesellschaft sorgt dafür, dass dieser Gestus der Auserwähltheit, des Wissen um die Tatsache, dass man ein "besseres" Leben führt, aufstößt wie fauliger Gurkensalat, wenn die todernst aufgetragene Maske wieder einmal dazu gedient hat Unverfrorenheit der allerübelsten Sorte abzusondern. Diesen Gestank anzusprechen kann nicht schlimmer sein als ihn abzusondern.