Erstellt am: 20. 4. 2011 - 14:59 Uhr
Jedem Tag seinen Skandal
Im Radio
Kurt Kuch, Chefreporter von „News“ ist heute, Mittwoch, zu Gast bei Mari Lang in FM4 Connected (15-19 Uhr).
Von Mariella Kogler
Bestechen, verderben, vernichten... all das kann das lateinische Wort corrumpere bedeuten – von dem die deutsche Korruption stammt.
Nach der Definition von Transparency International ist „Korruption“ der Missbrauch von anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil. Korruption muss also nicht ausschließlich mit dem Verschieben großer Geldsummen zu tun haben. Wer sich auf die Suche nach Korruption begibt, bewegt sich immer in Graubereichen. Während für einen Bürgermeister die Annahme von Geschenken im Wert von über 100 Euro bereits verboten ist, gelten diese Bestimmungen für viele Abgeordnete nicht. Das sogenannte "Anfüttern" von Politikern ist somit in manchen Fällen zulässig (unter "Anfüttern" fallen Zuwendungen, wie z. B. Einladungen, die dazu dienen, den Politiker für den Fall der Fälle gewogen zu stimmen). Ob Karl-Heinz Grasser seine Seychellenreise nun selbst bezahlt oder sich doch von Lobbyist Walter Meischberger hat einladen lassen? Wer kann das schon sagen – beziehungsweise nachweisen. "Er wird es mir wahrscheinlich in bar gegeben haben...", beteuerte Meischberger seinerzeit.
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"News"-Journalist Kurt Kuch arbeitet in seinem neuen Buch die größten Verdachtsfälle von Korruption in Österreich auf. "Land der Diebe" lautet der Titel und Kuch spart dabei nicht mit Kritik an Politik und Justiz. Der Enthüllungsjournalist will sein Buch als Anklage verstanden wissen. "Es gilt der Generalverdacht" – so der reißerische Slogan.
Das Zulassen oder gar Ermöglichen von Korruption ist somit nichts anderes als Diebstahl an der Zukunft dieses Landes
Eurofighter, Hypo, BAWAG, BUWOG und Konsorten: Kurt Kuch attestiert Österreich zwar einen Anstieg der Fälle von "exzessiver individueller Gier", sieht das wahre Problem aber im System begraben.
ecowin verlag
Die Alpenrepublik ist für Kuch ein Paradies für korrupte Geschäftemacher – Gesetzgeber und Justiz versagen bei der Bekämpfung von Korruption kläglich; die Gesetze für ein Entgegenwirken fehlen, ganz nach dem Motto "Gelegenheit macht Diebe".
Österreich – ein Selbstbedienungsladen?
Österreich befindet sich im Korruptionsranking von Transparency International momentan an 15. Stelle. Der nächste Bericht erscheint im Herbst 2011. In Anbetracht aktueller Affären und Vorwürfe (etwa gegen den Ex-EU-Parlamentarier Ernst Strasser und Politiker Hans-Peter Martin) ist wohl auch diesmal kein besonders gutes Zeugnis zu erwarten.
Aktuelle Forderungen nach mehr Transparenz verhallen im Dunkel: ein neues Anti-Korruptionsgesetz gibt es nicht und auch das Lobbyisten-Gesetz liegt nach der Regierungsumbildung vorerst auf Eis. Die neue Justizministerin übernimmt eine Baustelle von ihrer Vorgängerin. Arbeitshandschuhe und Bau-Helm kann sie schon einmal auspacken.
Kurt Kuch im Interview
Mari Lang: Was ist oder war denn Ihre Intention mit dem Buch? Was soll so ein Buch bewirken?
Kuch: Ich glaube, es kann aufzeigen und Bewusstsein schaffen für grundsätzliche Probleme, politische Fehlentwicklungen, die bei uns systembedingt passieren. Es gibt immer mehr Fälle exzessiver individueller Gier, die Affären werden häufiger, die Protagonisten dreister und hochrangiger und die Folgekosten aus diesen Affären werden immer höher.
Mari Lang: Im Vorwort schreiben Sie, man muss knapp zwei Monate arbeiten, um acht Millionen Euro zu verdienen. Könnten Sie erklären, wie das funktioniert.
Kuch: Wenn Sie in Österreich die richtigen Freunde, Haberer nennt man sie in Wien, haben, dann ist das möglich, das haben wir gesehen in der Causa BUWOG, innerhalb von zwei Monaten einen Betrag von acht Millionen Euro steuerfrei, abgewickelt über Steueroasen, zu verdienen. Das ist eine Summe, für die ein österreichischer Durchschnittsverdiener, laut Statistik Austria, ziemlich genau
412 Jahre bräuchte, um sie zu verdienen und der muss aber Steuern zahlen.
Mari Lang: Korruption scheint in Österreich „in“ zu sein. Ist Korruption jetzt ein neues Phänomen oder warum hat man das Gefühl, dass es jetzt immer häufiger wird?
Kuch: Es häuft sich, weil wir Fehlentwicklungen in unserem politischen System haben, die derartige Fälle begünstigen und fördern. Es gibt ein Versagen der Justiz und der Gesetzgebung speziell an der Schnittstelle zwischen Politik und Wirtschaft. Es fehlen die gesetzlichen Grundlagen zur Bekämpfung der Korruption. Das Anti-Korruptionsgesetz ist kastriert, dem Gesetz wurden die Zähne gezogen. Die Ermittler werden personell ausgehungert. Wenn man sich ansieht: Die Korruptionsstaatsanwaltschaft sollte ursprünglich 40 Staatsanwälte haben, bekommen haben sie sieben, mittlerweile sind es neuneinhalb. Die haben 1.600 Fälle im Jahr, die sie auf den Tisch bekommen. Da sind Großakten dabei wie Siemens oder Strabag. Das ist ehrlich gesagt ein Scherz. Eine vergleichbare Einrichtung in der Schweiz hat 35 Beamte.
Mari Lang: Wenn man Österreich mit anderen westlichen Demokratien vergleicht, wo sind da Unterschiede zu erkennen?
Kuch: Der frappierendste Unterschied ist der beim österreichischen Parteienfinanzierungsgesetz. Das ist einzigartig, rückständig, sanktions- und zahnlos – in Wahrheit eine Schande für unser Land. Das Parteienfinanzierungsgesetz ist das Gesetz, das alles möglich macht. Es ist in Österreich möglich, anonym an jede Partei und auch an Einzelpolitiker zu spenden, ohne aufzuscheinen, und damit Einfluss auf die Gesetzgebung zu gewinnen.
Mari Lang: Warum sträubt man sich denn hierzulande so sehr gegen die Offenlegung von Parteienfinanzierung?
Kuch: Das Grundproblem ist die Finanzierung der Parteien in Österreich. Hubert Sickinger, der Parteienforscher, hat das mehrfach gut und klar dargestellt: Seit 1980 wurden die Förderungen für politische Parteien in Österreich vervierfacht. Es ist nicht mehr argumentierbar, das aus öffentlichen Mitteln weiter zu erhöhen. Trotzdem hat man Apparate aus einer längst vergangenen Zeit, aus den 70ern, aufrecht erhalten. Diese Apparate haben einen irrsinnigen Geldbedarf. Größere Parteien haben in jedem Bezirk eine Bezirksgeschäftsstelle, Geschäftsführer, Sekretärinnen, Autos – das kostet Geld. (Anm. d. Red.: Parteispenden bis 7.260 Euro können von jederfrau und jedermann jederzeit getätigt werden, ohne die Identität des Spenders zu verraten. Ab diesem Betrag muss eine Meldung beim Rechnungshof eingehen. Dieser ist aber nicht dazu verpflichtet, die Spende öffentlich zu machen.)
Mari Lang: Der aktuellste Fall, der in Ihrem Buch "Land der Diebe" vorkommt, ist der Fall Ernst Strasser. Da haben Sie ja eigentlich Glück gehabt. War das absehbar, dass das aufkommen wird?
ecowin Verlag
Kuch: Es gibt in dem Buch ein Kapitel, das heißt 'Ernst Strasser, ein Lobbyist und Berater im EU-Parlament'. Ich habe dieses Kapitel im Dezember des Vorjahres geschrieben. Das war für jeden Beobachter absehbar, welche Gefahren da drohen. Ernst Strasser hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, was er beruflich macht. Ein Blick ins Firmenbuch hat gereicht, um zu sehen, wie dieses Netzwerk aufgestellt ist und was er tut.
Mari Lang: Soll man Nebenjobs bei Politikern verbieten?
Kuch: Nein, soll man nicht, weil dann haben wir am Ende des Tages möglicherweise ein reines Beamtenparlament. Es war eine ehrbare Initiative der mittlerweile abgelösten Justizministerin Claudia Bandion-Ortner, ein Lobbyistenregister einzuführen, aber viel zielführender wäre es, gleich dort anzusetzen, wo derartige Gelder landen, nämlich bei Politikern und Parteien. Ein Fall wie Ernst Strasser im europäischen Parlament wäre in Österreich völlig straflos. Wenn sich ein Abgeordneter hinsetzt und sagt, ich nehme 100.000 Euro im Jahr und dafür beispielsweise vertrete ich Ihre Interessen als Pharmaunternehmer und schaue, dass die Gesetzesentwürfe so aussehen, wie Sie das wollen, dann ist das in Österreich nicht strafbar.