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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

16. 4. 2011 - 23:10

Journal 2011. Eintrag 77.

Partielle Selbstgeißelung. Zur Journalismus-Kritik in der "Zeit".

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag als Anregungs- und Denkfutter, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich das ganze Jahr über Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einem weiteren Eintrag zur Krise des Journalismus. Das renommierte Zeit-Magazin widmet ihre komplette aktuelle Nummer dem Thema; und hängt das an einem der schlimmsten Kapitel, dem, fast hätte ich gesagt "sogenannten", Wirtschafts-Journalismus auf.

Es ist ja nicht mein Privatvergnügen hier an dieser Stelle laufend laut über die eigene Branche nachzudenken. Im Umbruchs-Zeitalter der Informations-Technologie, im Sternzeichen der Medien-Konvergenz, ist das, was lange tabu war (Selbstreflexion) mittlerweile zu einem wichtigen Thema geworden. Auch in den Medien. Denn wer mitspielt, mitinstrumentralisiert und mitmanipuliert, kann nicht unhinterfragt davonkommen.

Insofern ist ein ganzes Zeit-Magazin zum Thema Was wir Journalisten anrichten - wenn wir nicht aufpassen. Eine Selbstkritik keine Sensation, sondern Notwendigkeit. Insofern ist das gezierte Editoral des am Freitag erschienenen Beilagen-Klassikers auch ein wenig overacted.

Neben ein paar klugen Selbstbezichtigungen einer Analyse der Macht des Boulevards/von Bild ist es vor allem der detaillierte Bericht vom Versagen des Journalismus abgesichts der Welt-Finanzkrise von 2008.

Wenn man diese Geschichte in einen größeren Zusammenhang stellt (was der Sukkus, die finale Forderung der Analyse dieses kollektiven Versagens ist) dann fallen zwei massive Denkfehler auf.
Zum einen ist es nicht die primäre Aufgabe der Medien die Zukunft der Wirtschaft, der Welt-Ökonomie vorherzusehen und alle Eventualitäten zu recherchieren und eine richtige Einschätzung zu treffen.
Das ist der Job der Wissenschafts-Ökonomen einerseits, der obersten Management- und Controlling-Instanzen einer sich ihrer globalen Verantwortung bewussten Wirtschaft und, vor allem der Job der politisch und verwaltungstechnisch Verantwortlichen, die dieses Privat-Controlling in staatlichem Auftrag zu kontrollieren haben - also der Experten in den zuständigen Ministerien und Kammern.

Was Journalisten anrichten - eine Selbstbezichtigung

Im Bereich der Wissenschaft wird die Schuldfrage, der sich der Journalismus jetzt stellt, seit der Krise ordentlich durchdiskutiert; die Wirtschaft selber stellt sich Unschuldvermutungs-Blankoschecks aus - alle haben also reagiert, bis auf die politisch und verwaltungstechnisch Verantwortlichen.
Der Handelsblatt-Korrespondent an der Wall Street sagt das so: "Eine abstrakte Geschichte nach dem Motto 'Das könnte böse enden, aber vielleicht auch nicht?' Das vorherzusehen, das hat die Kapazitäten der besten Professoren und Praktiker überschritten. Ich würde das nicht von einem kleinen Journalisten erwarten."

Der zweite Grund warum es zwar durchaus wichtig und richtig ist, dass sich die kritischen unter den Wirtschafts-Journalisten für ihre Versäumnisse geißeln, aber dann doch etwas Potschert-Naives hat, ist die schlichte Tatsache, dass im Wirtschafts-Journalismus (bis auf sandkornkleine Ausnahmefälle) noch nie eine Kultur der kritischen Nachfrage existiert hat.

Abgesehen davon bietet die haarkleine Analyse von Heike Faller eine ganze Latte an aussagekräftigen Sätzen und Zitaten, teils unfreiwilligen; man möchte kreischen, wenn auch nicht immer vor Vergnügen.

Meine liebsten sind folgende vier Passagen:

1
"Journalisten suchen übrigens nicht nach der Wahrheit, sondern nach Geschichten. Eine Geschichte ist eine Geschichte, wenn sie der Wahrheit von gestern widerspricht oder sie zumindest auf eine interessante Weise fortspinnt."
Das sagt die Autorin.

2
"Mein Ansatz ist, dass die Perspektive zu eng ist, dass die meisten Berichte die Fragestellungen der Wall Street übernehmen, wie ihre Strategien aufgehen und solche Dinge. So entsteht ein Konsens darüber, was smart ist. Und smart ist, was deine Kollegen für smart halten. Aber es ist eine Definition von smart, die sich an dem Interesse von Insidern orientiert."
Das sagt Dean Starkman, Redakteur bei der Columbia Journalism Review, die von der Columbia School of Journalism, dem Hort des Pulitzer-Preises herausgegeben wird. Und das folgende auch:

3
"Es gibt großartige Geschichten über die Wall Street. Aber das sind Bücher, nichts, was man als investigativen Journalismus bezeichnen könnte. Ich frage mich, ob die Wall Street jemals die Behandlung bekommen hat, die andere Branchen zuteil wurde, der Tabakindustrie zum Beispiel. Und die Frage, an der ich arbeite, heißt: Was hindert den Wirtschaftsjournalismus?"

4
"Sie sind ja als Journalist hoffentlich ein offenes System. Sie gehen raus, reden mit Leuten, und wenn da so ein Meinungsstrom in diese Richtung geht: Dem können Sie sich nicht verschließen."
Das sagt Wolfgang Kaden, ehemaliger Spiegel-Chefredakteur und dann CR beim Manager-Magazin.

Analog-Käse und Smartness-Mimikry

Im übrigen denkt heute Eberhard Lauth im "Kommentar der Anderen" im Standard unter dem Titel Liveschaltung in die Postdemokratie das weiter, was hier im Journal am Mittwoch und auch am Freitag (im Zusammen-hang mit den Unruhen in der ÖVP) angestoßen wurde.
Weil Lauth auch Blogger ist, ist er sich nicht zu schade auf seine Anstoßgeber zu verlinken - etwas, was den Holzmedienmenschen alter Prägung immer noch erstaunlich schwerfällt.

Was sagt uns das?

Dass Fiktion mittlerweile mehr Macht hat als Investigation (ad 3). Weil dort auch das Nicht-Beweisbare angesprochen werden kann.

Dass die österreichische Verhaberungs-Krankheit anderswo durch Smartness-Mimikry ersetzt wird (ad 2), die Kombination beider Methoden heißt im übrigen "Buberlpartie".

Dass die "Wos is die Gschicht?"-Frage allein (ad 1) einen im 20. Jahrhundert feststeckenden Journalismus beschreibt, der aktuellen Anforderungen längst nicht mehr entspricht - weil dieser Job durch den oberflächlichen Copypastimus von medienähnlichen Gebilden (die sich zum echten Käse so verhalten wie der Analog-Käse) erledigt wird, während der echte Journalismus eben die Wahrheitssuche als Primärziel haben müsste.

Dass der Wirtschaftsjournalismus von selben Gewicht gehindert (ad 3) wird, der auch andere Bereiche davon abhält substanzielles zu leisten: vom eigenen. Von seinen Abhängigkeiten und Rücksichtnahmen.

Und dass der Dichandismus selbstverständlich nicht auf Österreich beschränkt ist - wenn selbst ein ehemaliger Spiegel-Chef (ad 4) davon redet, dass die Mehrheit des Mainstreams das vorgibt, was er anschließend für richtig hält, dann zeigt das den Mainstream der journalistischen Geisteshaltung: einen aufgesetzten Anti-Elitarimus, eine Scheinverbrüderung mit einem als Souverän verkleideten Papiertiger, ein elendes Sich-Abputzen, was moralische Verantwortung betrifft.

Im 21. Jahrhundert muss es jedoch Aufgabe des Journalismus sein, sich dem Meinungsstrom der Blödheit zu verschließen, anstatt ihn zu befeuern, dauernd neu zu instrumentalisieren und damit Macht zu erlangen oder zu verteilen.

Eine partielle Selbstgeißelung in konkreten Feldern, die ganz ohne Überlegung der dahinterliegenden Systematik auskommt, ist allerdings wertlos.