Erstellt am: 17. 4. 2011 - 01:49 Uhr
Time Is On My Side
Zeit: die wichtigste Konstante unseres Lebens. Für viele selbstverständlich, für alle begrenzt. Portugal. The Man stammen aus einem Ort, an dem angeblich gelegentlich die Zeit still stehen soll. Die eisigen Weiten Alaskas scheinen so weit entfernt vom Korsett der Großstädte, dass Momente dort länger wirken können, als sie es tatsächlich sind. Jedoch: Time's a bitch.
Weitere FM4 Radio Sessions
Auch der 16. April 2011 steht im Zeichen der Zeit: Es ist der alljährliche Record Store Day, der Geburtstag des aktuellen Papstes und der erste Tag seit der Zeitrechnung, an dem eine gewisse Band aus Schottland in Wien spielt. Es ist aber auch der Tag der FM4 Radio Session mit Portugal. The Man. Und wer könnte besser gegen die Sklaverei der Zeit anspielen, als das Quartett aus Wasilla, Alaska, wo die Uhren anders ticken?
Christian Stipkovits
Wasilla, Alaska: 08:05
Alle Fotos von Christian Stipkovits
Um ungefähr 8:05 morgens AKST (Alaska Standard Time) betreten vier Herrschaften die Bühne des ehrwürdigen Radiokulturhauses. Sänger John Gourley setzt sich auf seinen roten Barhocker, Ryan Neighbors an das wohlbekannte Inventar des Saales, den schwarzen Flügel im Hintergrund. Das alles passiert äußerst unspektakulär, unaufgeregt und bis auf ein gütiges Nicken Richtung Publikum relativ emotionslos. Portugal. The Man sind keine Männer der großen Worte, lange Reden oder billiges Schäkern mit den Zuhörern gibt es an diesem Abend nicht. Dafür ist die Stimmung zu intim, zu privat: Portugal. The Man laden uns praktisch in ihren Proberaum, lassen uns sogar unveröffentlichtes Material hören. Zeit ist kostbar und diese Band nutzt sie lieber, um Musik zu spielen.
Christian Stipkovits
Ein "semiakustischer" Abend wurde versprochen. Hauptsache irgendwas mit akustisch, denn seit es die Band gibt, gelten ihre Ausflüge in stromlose Gewässer als wahre Leckerbissen. Spätestens seit "The Majestic Majesty", dem akustischen Zwillingsbruder von "The Satanic Satanist", weiß auch die breite Masse, wie gut die Rückkehr zum Akustischen dieser experimentierfreudigen Band manchmal tut.
An diesem Abend wird der Reigen mit "Guns & Dogs" und "Do You" eröffnet, zwei Stücke des abgefeierten "Satanic Satanist", auf dem sich John Gourley an seine Teenagerzeit in Alaska erinnert. Fast zwei Jahrzehnte später klingen diese Songs im halbakustischen Gewand umso eindringlicher, weil fragiler und zärtlicher. Schon in den ersten paar Minuten merkt man die Trümpfe der Band. Sie ist zum einen mit drei großartigen Stimmen gesegnet. Eine davon ist Bassist Zachary Carothers, der gelegentlich eine rote Rassel schüttelt, um Drummer Jason Sechrist zu unterstützen. Eine andere ist Ryan Neighbors, der so vertieft seine Pianotupfer in diese riesige Soundcollage einbaut, dass man vergisst, dass irgendwo anders sicher viel Zeit vergehen muss. Und natürlich John Gourley, die Kopfstimme, dieser Inbegriff des Souls, bei dem man nicht immer alles textlich verstehen muss, um trotzdem ergriffen zu sein.
Christian Stipkovits
Ein weiterer Trumpf der Band ist ihre unglaubliche musikalische Stärke. Bei diesem Gig wird eine Menge reduziert, aber sicher nicht die Wall of Sound, die Portugal. The Man immer wieder aufs Neue aufbauen, niederreißen und wieder aufbauen. Das merkt man vor allem bei den neuen Nummern. Mit "Senseless" springt die Band in die Zukunft, ein unveröffentlichtes Stück eines noch unbetitelten Albums, das demnächst erscheint. Eines der vielen Stücke, die wie aus einem Guss zu kommen scheinen. Mit "The Sun", "The Home" und meinem Liebling "The Woods" spielt die Band das beste Dreigespann an Songs, das mir seit langer Zeit untergekommen ist. In "The Sun" heißt es dazu passend: "Shouting out I don't need, I don't need time, I breathe in time".
Portland, Oregon: 10:55
Inzwischen ist es kurz vor 11 Uhr PST (Pacific Standard Time) in Portland, Oregon. Jene Stadt, die Portugal. The Man nach ihrem Umzug aus Alaska am meisten geprägt hat. Aber wen interessieren schon Zeit und Ort, wenn man sich dem psychedelischen Ende von "The Woods" hingegeben hat. Das Stück ist auf dem Album gerade mal 3 Minuten lang, in der Live-Version scheint es ein psychedelischer Trip durch die Ewigkeit zu sein. Gourley bittet dabei seine weiße Gitarre immer wieder zu sphärischen Soli und Jason Sechrist, der in manchen Momenten an das Schlagzeug spielende Tier in der Muppet Show erinnert (inkl. Zunge im Mundwinkel), hämmert auf seine Trommeln so energisch ein, dass es eine wahre Freude ist.
Christian Stipkovits
Mit "Got It All" folgt ein weiterer Blick aufs neue Album, der sofort durch Altbekanntes wie "Mornings", "New Orleans", "Shade" oder "People Say" ergänzt wird. Klar, Portugal. The Man sind auf ihren Alben immer wieder für Überraschungen auf der Soundebene gut, aber irgendwie ist diese Rückkehr zum Semiakustischen, dieses Erdige und Reduzierte, wie eine warme Umarmung. Unabhängig von welcher Ecke ihrer Karriere Portugal. The Man an diesem Abend ihre Stücke heraus holen, egal wie alt oder jung die Songs auch sind, hier und jetzt steht ihr Innerstes im Vordergrund.
Christian Stipkovits
Überraschend ist, dass die Band an diesem Abend keinen einzigen Song aus ihrem aktuellen Album "American Ghetto" spielt. Stattdessen wird tief in der Zeitkiste gekramt und zurückgegangen bis ins Jahr 2006 und der Monsternummer "AKA M80 The Wolf", mit der Portugal. The Man für mich an diesem Abend den Vogel abschießen. Zeit hat während dieses Stückes keine Bedeutung mehr, stattdessen gibt der Rhythmus den Takt vor, nach dem das Herz schlägt und sich der Flaum der Gänsehaut streckt. "Paint me that arm that lies directly over mountains where the glaciers climb so tall / One absent of the scars passing boats and ships and oars tend to leave with all the sounds of the ocean" singt Gourley auf einem fliegenden Teppich der wummernden Bässe, ewig majestätischen Gitarren und der himmlischen Vocals. Als das Stück endet, ist der Raum überrascht, zurückgerissen in die Gegenwart. Der Trip ist fast zu Ende.
Christian Stipkovits
Wien, Österreich: ca. 20:15
Mit "And I" aus ihrem Album "Censored Colors" beenden Portugal. The Man um etwa 20:15 Ortszeit eine der kürzesten FM4 Radio Sessions. In gewissen Momenten wirkte sie allerdings epischer, als manch ganze Konzerte. Für alle im Publikum, die die Zeit vergessen haben, spielte sie jetzt wieder eine Rolle. Und eigentlich haben Portugal. The Man mit ihrem psychedelischen Soul nicht nur gegen die Zeit angespielt, sondern sogar ein kleines Zeitfenster offen gelassen, das zumindest in der Theorie den Besuch des Belle and Sebastian Gigs noch möglich machte. Damit man auch in Wien vom Zeitverständnis Alaskas profitiert: Time is on my side.
Während immer mehr Minuten nach dem Konzert verrinnen, versucht der MP3-Player zur Zeitmaschine zu werden und die vergangenen Stücke noch einmal gegenwärtig zu machen. But time is a bitch again.
Die Setlist der FM4 Radio Session mit Portugal. The Man
radio FM4
artist | song | |
---|---|---|
Portugal. The Man | Guns & Dogs | |
Portugal. The Man | Do You | |
Portugal. The Man | Senseless | |
Portugal. The Man | The Sun | |
Portugal. The Man | The Home | |
Portugal. The Man | The Woods | |
Portugal. The Man | Got It All | |
Portugal. The Man | Mornings | |
Portugal. The Man | New Orleans | |
Portugal. The Man | Shade | |
Portugal. The Man | People Say | |
Portugal. The Man | AKA M80 The Wolf | |
Portugal. The Man | And I |