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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

17. 4. 2011 - 13:08

Widerstand im Abendland

The Revolution will not be televised. Eh klar, sie passiert ja grad beim Crossing Europe Filmfestival in Linz.

Das Kino als wichtiges Vergesellschaftungsmedium war immer auch schon Instrument für den Widerstand. Mit Laufbildern lassen sich Ideologien relativieren, Vorurteile abbauen, vor allem aber lassen sich nicht mehrheitsfähige, gegen den Erwartungsstrom schwimmende Einstellungen und Meinungen vermitteln. Dass gerade im protestmüden Europa Filme über individuelle, zufällige und organisierte Proteste und Gegenbewegungen entstehen, ist vielleicht nicht zuletzt dieser ewigen Kino-Sehnsucht nach Nonkonformismus anzurechnen, greift aber schon auch aktivistische Wirklichkeiten der Gegenwart auf, macht sie sichtbar und malt damit das Wort „Hoffnung“ mit fetten Lettern auf Linzer Leinwände. Mieselsucht war gestern, heute geht's voran. Beim Crossing Europe Filmfestival.

Ellen

Es ist ein stummes Ertragen, das langsam in eine Mutationsbewegung einbiegt, die nicht zuletzt Florian (eine angenehm unterspielte Nebenrolle für Georg Friedrich) mitnimmt: er hält die andauernden Stimmungsschwankungen, die impulsiven Kurswechsel und gewaltsamen Einbremsungen in seiner Beziehung zu Ellen (eine Erscheinung: Jeanne Balibar) nicht mehr aus. Immer wieder stößt sie ihn, der eine konservative Zweierbeziehung sucht, vor den Kopf. Schon Ellens Job - sie ist Flugbegleiterin - drückt aus, dass sich diese Frau einfachen Zuschreibungen und Sesshaftigkeiten verwehren will. Über den Wolken.

Ellen

Pia Marais

"Im Alter von Ellen" gehört zu den PreisträgerInnen des diesjährigen Crossing Europe Festivals und erhielt am Samstag ex aequo mit "Caracremada" den Crossing Europe Award European Competition.

Aber die ewig gleichen Routinen in den Urlaubs- und Businessfliegern, die kurzen Freiheitsmomente bei Aufenthalten in anderen Ländern scheinen sie zu zermürben, scheinen nur immer mehr darauf hinzuweisen, dass ihr Lebens- und Beziehungsmodell marode geworden ist, dass alles unter ihren Augen wegfault. In einer großartigen Sequenz lässt Regisseurin Pia Marais sie also ausbrechen: kurz vor dem Start der Maschine reißt sie die Bordtür des Flugzeugs auf und rennt mit ihrem Rollkoffer über die Rollbahn davon – vor allem, was sie bisher ausgemacht hat. Ellen rebelliert, still und leise vor sich hin: es ist eine intime Revolte, eine, die alles in ihr umstürzt und gerade deshalb so radikal daher kommt. Zufällig wird die Gestrandete von einer Gruppe von jungen Tierrechtsaktivisten aufgelesen. Sie kommt in deren basisdemokratisch organisierten Kommune unter, versteht, was es heißt, gegen die Gesellschaft anzukämpfen. Ellen ist aber keine Aktivistin: sie lässt sich treiben, sie beobachtet und nimmt sich Zeit zum Leben.

Pia Marais erzählt mit ihrem zweiten Spielfilm Im Alter von Ellen, der beim Crossing Europe im offiziellen Wettbewerb gezeigt wurde, die Chronik eines Ausbruchs, verzichtet dabei allerdings auf fette Polemiken und Ausrufezeichen. Balibars Figur erobert sich Stück für Stück Freiheiten zurück, die sie für ihr konventionelles Lebensmodell aufgegeben hat. Sie, der die Gesellschaft jetzt eigentlich Verantwortung und Reproduktion abverlangen würde, wagt einen Neustart. Marais passt sich mit ihrer schwungvollen, sprunghaften und unkonventionellen Inszenierung ihrer Hauptfigur an: die Dramaturgie ist errichtet um diese Frau herum, der Spannungsbogen reißt schon mal ab oder schleift am Boden, wenn Ellen es so will. Es ist nicht zuletzt Balibars überirdischer Performance zu verdanken, dass man dabei immerzu gewillt ist, mitzugehen: einfach weil man neugierig ist, welche Hautschichten diese faszinierende Frau sich jetzt wieder abstreifen wird, mit welchen kleinen Gesten oder Handlungen sie einen Keil treiben wird in die geschmierte Gesellschaft.

Srspki Skater

Widerstand in seiner klassischen, sprich jugendlichen Form begegnet man im serbischen Wettbewerbsfilm Tilva Rosh. Bor ist eine kleine Industriestadt, die in früheren Zeiten von einer gewaltigen Kupfermine belebt worden ist. Jetzt sind die „roten Hügel“ um diese langsam vor sich hin rostende Industrial-Leiche Spielplatz von Skatern wie Toda und Stefan. Seit ihrer Kindheit sind die beiden Jungs beste Freunde: in ihrer Freizeit drehen sie „Jackass“-Videos, setzen der zermürbend konservativen, vor sich hin siechenden Gesellschaft auto-aggressive, auto-erotische, jedenfalls aber dadaistische Stunts gegenüber, die sich jedem Vernunftsprinzip widersetzen.

Tilva Rosh

Nikola Ležaić

„Tilva Rosh“ besteht zu gut zwei Dritteln aus biografischem Material: Regisseur Nicolas Lezaic ist auf Marko und Stefan (so heißen sie im wahren Leben) aufmerksam geworden, nachdem ihm eines ihrer Videos in die Hände gefallen ist. In „Tilva Rosh“ lässt er sie einfach sein und tun: mit einer Handkamera filmt er sie und fiktionialisiert ihre Leben. Wie sie sich immer wieder mit harten Worten ihrer zärtlichen Hoffnungen versichern, wie sie sich auf Parties in Frauenkleider schmeißen und realsozialistische Autos zerdeppern, wie sie den Mief ihrer Vätergeneration rausblasen wollen aus ihren Leben, aber nicht wirklich wissen wie, das sorgt für zwei mitreißende, unterhaltsame, zuweilen schockierende Stunden.

„Tilva Rosh“ ist ein Jugendfilm und gleichzeitig aber sehr viel mehr: er zeigt eine unorganisierte Protestbewegung, er dokumentiert die Unzufriedenheit und die Sehnsucht nach Utopien und Auswegen innerhalb der serbischen Jugend. Als Mischkulanz zwischen DIY-Sequenzen und fein ausgeformten dramaturgischen Bögen ist „Tilva Rosh“ auch ein ästhetisches Stimmungsbild irgendwo zwischen Jux-Revolte und ganz großen Gefühlen.

Immer wieder frage ich mich, wieso das österreichische Kino der letzten zehn Jahre nicht so einen Film zustande gebracht hat. Bei dem man fühlt, dass er ganz nah dran ist am Jetzt, bei dem man keine Autorenhandschrift im Vordergrund bemerkt, sondern zuerst mal das Leben selbst da ist. Bei dem man keine indirekt ausgeleuchteten Altbauwohnungen, keine existenziellen Krisen von fadgasigen Mittzwanzigern erdulden muss, sondern der dort ist, wo sich etwas bewegt. Aber ja, die Hoffnung stirbt zuletzt. Und im Kino schon gar nicht.