Erstellt am: 16. 4. 2011 - 10:21 Uhr
Re:publica XI: Neue Formen von Öffentlichkeit und Aktion
An Tag Drei der Blogger-Konferenz Re:publica XI ging es ans Eingemachte: zum Beispiel Die Illusion vom öffentlichen Raum. Es sei dringend an der Zeit, das Internet zu einer Öffentlichkeit zu machen, statt einfach nur einer Ansammlung von Gemeinschaften. "Facebook ist keine Öffentlichkeit, sondern eine Gemeinschaft", hieß es in einem Panel. Die Regeln stellen nicht die Beteiligten, sondern die Betreiber der Plattform auf. Statt einer - wie auch immer legitimierten Verfassung des öffentlichen Raums gibt es Allgemeine Geschäftsbedingungen. Als Beteiligter muss man hinnehmen, was einem Technologie-Konzerne vorsetzen.
Veränderung, Mitspracherecht an den gemeinsamen Normen und Werten ist praktisch nicht möglich. "Mangels eigener Macht, Dinge zu verändern, sagen viele: Danke, Apple, dass du uns das iPad gebracht hast." Dieser Zustand versetzt viele Surfer in die Rolle des antiken Idioten, dem (weil er Schulden hat, weil er nicht die Mittel hat, Veränderung herbeizuführen) einfach gleich das Stimmrecht entzogen wurde.
Selbst in Netz-Institutionen, die Gleichheit und Freiheit als höchste Werte vor sich hertragen, etwa die Wikipedia, gebe es dermaßen viele Ausschluss- und Entmächtigungsmechanismen, dass einfach nicht von einer für alle gleichermaßen zugänglichen Öffentlichkeit ausgegangen werden dürfe. Das gelte fürs ganze Netz: Um überhaupt an dieser vermeintlichen Öffentlichkeit teilzunehmen, gelte es dermaßen viele Voraussetzungen zu erfüllen (Geld, Kompetenz, soziale Verortung), dass man noch von dem ganzen digitalen Raum sagen kann: er steht nicht jedem offen, so wie ein Marktplatz, ein Theater potentiell jedem offen steht.
Schutz des Individuums
Es bedürfe einer neuen Einstellung zu Öffentlichkeiten im Internet, forderte ein Panel-Teilnehmer: Eine Öffentlichkeit entstehe durch die Einstellung der Beteiligten, aus der ein Regelset entsteht und nicht aus einem Regelset, das eine Einstellung vorgibt: Halte dich an die Regeln, dann darfst du auch etwas sagen.
Dazu gehöre auch, dass eine Öffentlichkeit das Individuum vor Übergriffen schütze. Im Internet sei man auf sich selbst gestellt, etwa wenn man Verleumdungen geradebiegen müsse. Es gebE keine vereinbarten Regeln, keine Schutzinstanzen, die das Recht des Einzelnen schützen, selbst dann, wenn der nicht einmal eine Schutzverletzung erkennt.
Problem, Problem: Die Gesellschaft sei einfach noch nicht so weit, mit dem Internet so umzugehen, dessen Potentiale zu verwirklichen, so dass wahre Öffentlichkeiten entstehen können. Noch würden viele Menschen schlicht "zwangs-digitalisiert" - auch wenn sie sich allein offline bewegen, werden ihre Bewegungen und Äußerungen im Internet verarbeitet. Wer nicht mitmachen will, wird eben gezwungen, dabei zu sein.
@re-publica.de
Der überraschende Vorschlag aus dem Panel: Es müsse nicht nur endlich eine Vorstellung davon erarbeitet werden, was für ein Ort das Internet denn einmal sein solle, sondern es müssten auch konkrete Orte geschaffen werden, die einem Ideal der Öffentlichkeit möglichst nahe kommen: eine Aufgabe für den Staat!
Der, und die Argumentation fand ich spannend - leiste nämlich genau das in der physischen Welt: eben mit Museen, Theaterhäusern, Marktplätzen. Vergleichbare Orte gebe es nicht im Internet; ich füge an: nur chaotische Orte, an denen jeder um sein Recht kämpfen muss.
Denn das gehöre auch zu einer freien Entfaltung von Meinungen: ihr Schutz, etwa durch ein Recht auf freie Meinungsäußerung, das auch hergestellt wird! "Die Diskussion wird immer auf technischer Eben geführt. Darum geht's aber nicht: Wir sind scheinbar noch nicht so weit, uns darüber Gedanken zu machen, wie das Internet überhaupt aussehen soll."
Aber mal ehrlich: sind die Netzaktivisten, die sich um sowas Gedanken machen, wirklich "eine Gesellschaft oder eine kleine, digitale Hippiegemeinde"?
Warum vielleicht doch Anonymous
Und dann kam die große Re:publica-Überraschung (zumindest für mich): ich habe mich in Sachen Anonymous belehren lassen und muss mir nun dringend neue Gedanken machen, was ich von den Online-Aktivisten halte. Die genaue Argumentation von Carolin Wiedemann arbeite ich an anderer Stelle auf. Hier genügt es darauf hinzuweisen, dass ein wichtiger Aspekt der Bewegung ist, dass sie als eine Antwort auf den Repräsentationsdruck gesehen werden kann, wie er bei Facebook und eigentlich überall anders im Netz aufgebaut wird.
Es geht darum, sich darzustellen, als Identität herauszustechen, Individuum zu sein, sich selbst zu optimieren und in Marktlogik zu verwirtschaftlichen. Anonymous ist damit das Gegenmodell zum Idealtypus des Arbeitskraftunternehmer, des unternehmerischen Selbst, das sich als Produkt entwickelt, vermarktet und letztlich sein ganzes Leben verökonomisiert.
Wer bei Anonymous etwas tut, macht es (jaja, ein wenig naiv) nicht für sich: Ohne Repräsentation kein Gewinn. Kawumm, hörte ich es in mir: Anonymous haben tatsächlich revolutionäres Potential. Und in dem Licht erscheint der Anon-Rauswurf, über den ich gestern schrieb, plötzlich sogar verständlich und weniger bös: diese Idee ist es wert, geschützt zu werden.
Aber: Darüber will ich lieber in Ruhe nochmal nachdenken. Das Interview mit Carolin ist geführt und wird hier nochmal verwurstet.
Das F-Wort
Die zweite Einsicht kam anschließend im Cyberfeminismus-Panel. Wieder viel zu viel Input, als dass ich hier bedeutendes dazu sagen könnte. Wieder nur soviel dazu, was mich also besonders berührte: Cyberfeminismus als Label wurde als Versuch bezeichnet, um das F-Wort Feminismus nicht zu erwähnen. Cyberfeminismus in Europa war der Versuch, ein Loch der Cyber-Kultur der Neunziger zu stopfen. Cyberfeminismus kann der Versuch sein, eine begriffliche Kontinuität herzustellen: Feministische Aktivitäten und Feminismen, die sich nicht explizit als "Feminismus" bezeichnen, können so in eine lange Tradition von feministischer Kritik und Aktion gebracht werden. Und Einigkeit: Auf der Re:publica treten Frauen vor allem in Femismus-Talkghettos auf, die Panels seien Männerveranstaltungen.
Viel mehr dazu, hat mir Helga Hansen, Cyberfeministin aus Osnabrück am Mikrofon erklärt. Ihre Erklärung, warum es 2011 so überraschend viele (traurig wenige) Frauen auf Podien und im Publikum gibt: vor zwei Jahren beschlossen ein paar Frauen, dass es zu wenige Frauen auf der Re:publica gibt - und sie haben sich den Weg freigeschossen. Es gibt noch so viel zu tun ...
Nun, der dritte Tag ist vorbei. Ich habe ein paar interessante Gespräche führen und verfolgen können. Ein Fan der Re:publica bin ich aber noch immer nicht. Warum, das will ich lieber morgen nochmal in Ruhe aufschreiben. Zur Abschiedsparty gehe ich deswegen (deswegen? haha) nicht mehr. Mein Magen knurrt.