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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

15. 4. 2011 - 21:34

Journal 2011. Eintrag 76.

Kopflastigkeit. Oder: wenn es nur die Loser-Fraktion ist, die fordert sich zuerst um die Konzepte und dann um die Köpfe zu kümmern, wird das (vor allem in einer entscheidungsgeilen Medienwelt) nix werden.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag als Anregungs- und Denkfutter, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich das ganze Jahr über Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einem Eintrag zum vorgestern hier bereits besprochenen Revirement in der ÖVP, der allerdings nichts mit dem Klubomann zu tun hat, sondern die politische Praxis "Köpfe statt Konzepte" anspricht und der Gier der Medien eines zumindest 50%ige Mitschuld gibt.

Ich war zunächst ein wenig verblüfft, als ich am Abgangs-Tag des VP-Vizekanzlers in einer abendlichen TV-Runde den ehemaligen VP-Chef Erhard Busek mehr oder weniger das fordern hörte, was ich als strategischen Einschub in einem Journal, in dem es eigentlich um die Unreformierbarkeit des Systems Österreich durch Einzelne formuliert habe: dass es nämlich angesichts der anstehenden Richtungs-Entscheidungen dringend nötig ist zuerst Ideologie, Ausrichtung und die dafür nötigen Tools und Konzepte zu diskutieren, ehe die Personal-Entscheidungen fallen. Busek hat seine Argumentationslinie hier auch aufgeschrieben.

Die personelle Neuaufstellung allein bringt nämlich genau gar nix. Der sogenannte Trainer-Effekt, dass nämlich ein neuer Besen gut kehren würde, lässt sich statistisch mit Leichtigkeit als Mythos hinstellen - da wie dort ist Kontinuität erfolgsversprechender.

In einem komplett (sogar mehr noch als im Fußball) übermedialisierten Bereich wie der Politik ist die Personal-Politik aber ein Fetisch, vor dem Macher, Medien und Strippenzieher hysterisch in die Knie sinken.
Dass jedes Gerede von Änderung, Wechsel und Reform, das sich nur auf neues Personal stützt, keine Taten folgen lässt, ist ebenso faktisch nachweisbar.

Köpfe statt Konzepte

Buseks "erst Maßnahmen und Konzepte haben" und dann erst "Personen hin und her schieben" wurde schon am Tag danach, also gestern, in den Erdboden gestampft. In der VP-Vorstandsitzung ging es keine Minute lang um die Neu-Ausrichtung, die Änderung der Linie, eine mögliche Gesellschafts-Liberalisierung oder anderes - es wurde kurz und schmerzlos Machtpolitik betrieben.

Nach außen getragen wurde diese Vorgangsweise vom Vorstands-Mitglied, das auch auf der Busek-Linie war: Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl. Der hätte gern zuerst die Linie abgestimmt und danach erst das Personal eingeteilt.

So recht die beiden strategisch gesehen haben, so sehr ihnen die Management-Handbücher dieser Welt auch recht geben und so stark sie ab sofort berechtigt in cassandrische Positionen versinken mögen - eines darf man nicht vergessen. Leitl führt den Wirtschaftsbund der VP an, aus dem auch Busek kommt. Und der ist aktuell (weil sich die beiden anderen Kernbereiche, der Bauernbund und der Arbeiter/Angestelltenbund, auf ein Packl gehaut haben) in der Loser-Position. Dass es lachhaft ist eine Partei nach Bünden, die Erinnerungen an den Austro-Faschismus und seinen Ständestaat evozieren, zu organisieren, lassen wir in diesem Zusammenhang einmal unbeachtet.

Wirtschafts-Loser und die Bully-Partie

Da hakt es aber: solange "nur" die Loser-Partie (und die Rolle ist für die Wirtschaftsbündler seit der Machtübernahme durch Erwin Pröll ja schon länger reserviert) an die Vernunft appelliert und bei den Gewinnern, den Bullies, dafür nur lange Nasen erhält, weil die ja den schönen Vorteil haben, weder nachdenken noch ernsthaft diskutieren zu müssen, sondern "machen" können, solange ist das nichts wert.

Zudem wissen sich die Bullies, die über ihre interne Konkurrenz drüberfahren wie nix, im Einklang mit den Interessen der Verbreiter: die Medien stehen da nämlich drauf.
Und zwar auf eine unangenehm zynische Art und Weise.

Seit Tagen interessiert sowohl den Boulevard als auch den seriösen Journalismus ausschließlich wer wie wo und wann warum etwas wird. Über den Kurs, die neuen Inhalte und die frischen Konzepte fragt man maximal alibihalber nach - und publiziert das bestenfalls in ein paar Nebensätzen.

Mit einer hinter dem Hausmeister-Geschwätz einer bereits vorverblödeten, weil vorrangig an Klatsch interessierten Öffentlichkeit hinterherhechelnden veröffentlichten Meinung als Bündnis-Genosse (unter Ausnutzung deren hyänischer Vorgangsweisen) fährt diese ordentlich substanzlose Schein-Politik natürlich wie geschmiert.

Personalfixierte und entscheidungsgeile Berichterstattung

Genau das führt aktuell die gemeinsam von ÖVP und den Medien abgezogene "VP-Neu!"-Posse prototpyisch vor: es wird reine Kopflastigkeit im allerschlimmsten Sinn betrieben. Zum Wohle einer hohlen Inszenierung von Demokratie, zum Wohle der Geschäftsmodelle der Medien, zum Wohle von dezidierter Machtpolitik - und auf Kosten von Substanz und Effizienz. Denn das vielbeschworene Ende des von Josef Pröll angesprochenen politischen Stillstands in einer mutlosen und handlungsarmen Republik wird mit dieser auch nicht komplett anständigen Vorgangsweise nicht befördert. Es wird und wurde die Geilheit auf Entscheidung befriedigt - als ob das Tempo von Personal-Entscheidungen schon die Problemlösung selber darstellt.

Solange uns das von den Mainstream-Medien unwidersprochen als Zeichen von 'Leadership' verkauft wird und man sich weiterhin in personellen Spekulationen suhlt und die Proponenten ausschließlich danach befragt, kann sich auch an der politischen Unkultur dahinter nichts ändern.

Gutes Gegenbeispiel: die orf.at-Aufmacherstory vom Sonntag.

Die 'Im Zentrum'-Sendung am Sonntag wird den Titel Baustelle ÖVP - Köpfe statt Konzepte? tragen. Und ich biete eine Wette an: die Mitschuld der Medien an dieser Kopflosigkeit wird dort nicht eine Sekunde lang thematisiert werden.