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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

14. 4. 2011 - 21:09

Journal 2011. Eintrag 75.

Die seltsame hiesige Sprach-Koalition mit dem chinesischen Diktatoren-Regime. Warum Ai Weiwei kein Maverick sein darf und warum Bob Dylan keiner mehr ist.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag als Anregungs- und Denkfutter, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich das ganze Jahr über Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einem Blick auf eine verstörende und gleichzeitig erhellende Sprachregelung im Fall des Dissidenten Ai Weiwei, die auf ideologische Verwandtschaft zwischen dem chinesischen Gewalt-Regime und österreichischem Denken schließen lässt.

Es gibt eine ganze Menge Dinge, die mich im aktuellen Fall des chinesischen Künstlers und Bürgerrechtlers Ai Weiwei schaudern lassen.
Dass die Diktatoren der allgegenwärtigen Einheitspartei den unbequemen Künstler jetzt mit einem Trick zu fassen kriegen wollen, den das FBI erfunden hat, um damit Al Capone das Handwerk zu legen (ihm Steuerbetrug nachweisen), ist bizarr genug. Dass dies nur Tage geschieht, nachdem man den Aktionisten mit einem (mafiösen) Angebot, das er besser nicht abgelehnt hätte (er möge doch Mitglied der staatlichen "Konsultativkonferenz" werden), versehen hatte, zeigt die Bigotterie der Staatsmacht am deutlichsten. Wer sich nicht ruhigstellen lässt, wird zertreten.

Seltsamerweise hat mich ein einzelnes Wort in der ganzen Berichterstattungs-Lawine aber noch zusätzlich nervös gemacht, mich zum geistigen Jucken gebracht. Die Behörden hätten Ai Weiwei der "Eigenbrötlerei" bezichtigt.

Nun ist der Eigenbrötler im Deutschen ja nicht gerade mit den allerpositivsten Eigenschaften konnotiert. Im Schweizerischen schon, auch im Südwest-Deutschen irgendwie. Im Nord/Hochdeutschen aber, und vor allem im Bairisch/Österreichischen wird ein "Eigenbrötler" aber etwa gleichauf mit dem Tagedieb gesehen, als negative Figur, knapp neben dem, was früher, in der Zeit, die Gottfried Küssel und seine Freunde anbeten, der Volksschädling war.

Wenn chinesische und hiesige Konnotation übereinstimmen

Allerdings liegt die Tücke ja oft in der Übersetzung.
Die (englischsprachigen) globalen Nachrichtenagenturen und die Primärquellen zitieren in ihren Geschichten die ebenso englischsprachige linientreue chinesische Zeitung Global Times. Und da heißt es unter anderem: "Ai Weiwei is an activist. As a maverick of Chinese society, he likes 'surprising speech' and 'surprising behaviour.' He also likes to do something ambiguous in law."

Der Begriff des Maverick ist deutlich positiver besetzt als der des Eigenbrötlers: Das hat mit seiner Herkunft zu tun, mit seiner amerikanischen "Go-West!"-Ideologie.
Eine kurze Umschau ergibt, dass sämtliche englischsprachigen Ausdrücke den pejorativen Unterton, den der deutschsprachige Eigenbrötler mit sich herumtragen muss, vermissen lassen: der outsider, den loner oder gar den lone wolf umwehen der Hauch des Abenteuers, und der 'solitary man' ist nicht erst seit Neil Diamond und Johnny Cash und Chris Isaak ein Tränendrücker im besten Sinn.

Der Maverick, die starke unbeirrbare Figur, die sich gegen alle Widerstände durchsetzt, die ist im amerikanischen, im westlichen Denken tief verankert. Kein Künstler oder Unternehmer kommt ohne diese Zutaten aus, kein Politiker, der mit Begriffen wie Vision oder Stärke in Verbindung gebracht wird, mag darauf verzichten.

Die chinesischen Chef-Strategen wollen Ai Weiweis störrisches, dissidentes Wesen, mit dem man sich eben nicht straflos außerhalb einer seit vielen Jahrzehnten auf Kon- und Uniformität gedrillten Gemeinschaft/Gesellschaft stellt, ausstellen - und dabei ist die Verwendung des "mavericks" gesellschaftlich opportun. Offensichtlich.

Ai Weiwei wäre auch in Österreich zur Sau gemacht worden

Das sollte uns einigermaßen beunruhigen.

Wenn eine Gesellschaft wie die chinesische den Einzelgänger als Bedrohung hinstellt, und wenn eine andere Gesellschaft wie die amerikanische seine Mythologie auf die Gründertaten desselben Einzelgängers bezieht, dann ist es einigermaßen seltsam, dass sich das Deutsche (und vor allem das Österreichische) - nicht nur sprachlich, sondern auch via gesellschaftlicher Achtung - an ersterem Modell orientiert.

Es entspricht aber den gelebten Tatsachen.
Jemand wie Ai Weiwei würde hierzulande vom Boulevard und dem politischen Populismus genauso zur Sau gemacht werden, wie das mit Bernhard, Jelinek, den Aktionisten oder anderen intellektuellen Dissidenten passiert ist. Zwischen den selbsternannten Bewahrern des gesunden Volksempfindens und der aktuellen chinesischen Inszenierung gibt es nur graduelle Unterschiede.

Weil die, die anderer Meinung sind und nicht aufhören wollen, sich gegen den Mainstream mitteilen zu wollen, in Österreich auch Eigenbrötler sind, Schmutzfinken und Nestbesudler - und gern als solche gebrandmarkt werden.

Das geschieht selbstverständlich auch in den libertären USA - dort allerdings als nicht-mehrheitsfähige Gegenmeinung, die den grundsätzlichen Respekt für Eigensinn bewahrt.

Und jetzt noch zum zufälligen Nebenaspekt ...

Genau zu der Zeit der Festsetzung von Ai Weiwei befindet sich einer der größten und bedeutendsten Künstler-Mavericks der letzten 100 Jahre in China, noch dazu ein Amerikaner, und noch dazu einer, dem man alles und mehr zuschreibt, auf den ganze Generationen ihr Wohl und Wehe projiziert haben: Bob Dylan.

Dylans China-Tour war schon im Vorfeld aufsehenerregend, brachte ihm jede Menge Kritik, weil er Zensur zuließ - als Wiederholungstäter, schon in Vietnam beugte er sich widerstandslos. Als dann bei den Konzerten nicht nur kein Wort, sondern nicht einmal eine Anspielung zu Ais Festsetzung über Dylans Lippen kam, war die Empörung groß. Dass er seinen Mister Jones einen Mister Who/Hu werden ließ, ist eine nationale, keine politische Geste.

... nämlich Bob Dylans Schweigen

Dylan, der Mann, der früher permanent die rote Linie überschritten hatte, die die Global Times im Fall von Weiwei da herbeiimaginierte, schwieg stumm. Der Rentner, der nix zu verlieren hat, verlor sich selber.

Dass dieses Vorkommnis in den deutschen Medien, in deren Sprache der "Eigenbrötler" noch halbwegs neutral konnotiert ist, deutlich und ausführlich behandelt wurde, versteht sich.

Dass es andererseits hierzulande, auch in den Medien, die sonst jeden Schas von und über Dylan zu einem Montgolfière aufpumpen, nicht beachtet wurde, sollte nach diesem kleinen sprachforschenden Exkurs niemanden verwundern. In Österreich wird der Eigenbrötler erst nach Ereignissen wie künstlerischem oder echtem Tod oder Nobelpreis sakrosanktioniert. Zum uninteressantestmöglichen Zeitpunkt also.