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Felix Knoke Berlin

Verwirrungen zwischen Langeweile und Nerdstuff

14. 4. 2011 - 11:00

Re:publica XI

Auf der Blogger-Konferenz in Berlin, erster Tag.

Was soll ich nur auf der Re:publica XI, einer Blogger-Konferenz in Berlin? Blogs interessieren mich als Thema nicht. Plattformdiskussionen langweilen mich. Und naive Möchtegern-Technokraten regen mich schon lange nicht mehr wirklich auf (nicht satisfaktionsfähig usw.).

Die Ankündigung des Re:publica-Veranstalters Markus Beckedahl, in Deutschland eine Variante der Electronic Frontier Foundation, der La Quadrature du Net installieren zu wollen, lässt mich ebenso kalt. Solange Beckedahl als Unternehmensberater und Lobbyist und Bürgerrechtsaktivist gleichzeitig auftreten kann, kann ich solche Veranstaltungen wie die Digitale Gesellschaft nicht ernst nehmen. Da ist mir ein deutscher Foebud oder eine österreichische Quintessenz erheblich lieber ...

Denn wer Gutes bewirken will, muss Aufklärungsarbeit an sich selbst leisten - und das geht nur über Kritik. Teil meines gutsitzenden Blogosphären-Vorurteils (also jener Teil der Blogger, die sich zu solchen Veranstaltungen wie der Re:publica treffen...) ist, dass die nicht Kritik übt, damit wenig aufgeklärt und dafür technokratisch-naiv verblendet ist.

Aber, dachte ich mir: Die Re:publica gibt es schon so lange, so langsam wird sich auch eine tiefere Kritik an den Heil-durch-Technik-Versprechungen verbreitet, die seltsame Aufteilung der Welt in Protokolle, Programme und Formate als unergiebig herausgestellt und sich die viel interessanteren Probleme der Herrschaftsstrukturen und verborgenen Macht-Gefälle herumgesprochen haben.

Möglicherweise Pustekuchen: Es ist ja erst der erste Konferenz-Tag, ich habe - wegen Überfüllung - die meisten Talks verpasst, die ich gerne gesehen hätte, und natürlich die interessanten Nebenbeigespräche noch gar nicht geführt. Ich weiß also einfach an Tag Eins der Re:Publica XI noch viel zu wenig über diese Konferenz. Vor allem sitze ich deshalb herum und überlege, was ich von alldem halten soll. Der viele Kaffee macht das auch nicht leichter.

republika mittwoch schedule

@knoke

Ein Blick in den Kalender zeigt viele, viele Veranstaltungen, nur wenige interessieren mich. Um die hundert Talks, Panels und Präsentationen. Viele drehen sich darum, wie man noch mehr/endlich mal Geld mit dem Internet verdienen kann. Es gibt ein bisschen Datenschutz, ein wenig Netzneutralität und - das hat mich überrascht - auch ein paar (cyber)feministische Programmpunkte. Leider sollte ich gerade die letzte Veranstaltung, wegen Andrangs verpassen. (Wie ich hörte, waren die auch nur leicht feministisch angehauchten Veranstaltungen der letzten Jahre gähnend leer).

Viele der dürren Veranstaltungs-Ankündigungen verheißen nichts Gutes - aber wer weiß, welche tollen Gespräche sich bei Themen wie "Re:design Geld" ("Das erste soziale Medium war das Geld. Es verbindet alle und ist überall, auch dort wo es fehlt."), "Was ist morgen öffentlich, was privat?" ("Fragenstellungen des Umgangs mit Daten vor dem Hintergrund der Digitalisierung und zunehmenden Vernetzung werden aufgegriffen und diskutiert.") oder gar "Crowdfunding - ein Hype oder die Zukunft der Projektfinanzierung?" ("Diskussion / Streitgespräch") ergeben können? Eben: wahrscheinlich wenige.

Von Tag Eins der Re:publica XI blieb mir vor allem die Anthropologin Gabrielle Coleman hängen. Sie gab eine kleine Einführung die Aktivistengruppe Anonymous, die sie eine Weile lang anthropologisch beobachtete. Leider machte sie bei den spannenden Fragen um die Normen und Werte der Aktivisten kurz nach der Oberfläche halt. Dabei müsste sie genau dazu wirklich was zu sagen haben - das aus ihren Beobachten herauszuziehen ist ja ihr Können als Anthropologin.

Nur kurz erwähnte sie, dass es in dieser Gruppierung, die sich ihrer angeblichen Führungslosigkeit rühmt, tatsächlich offene und verborgene Ethiken und Werte gibt, tatsächlich Machtstrukturen mit Sanktionsinstrumenten, explizites und implizites Wissen, das erst die Teilnahme ermöglicht.

@re-publica.de

Da musste ich an das Gespräch mit der Hackerspace-Betreiberin Stefanie Wuschitz denken, die beschrieb, wie die Männer-Hackerspaces Frauen auf mehreren Weisen verschlossen sind. Rein darf jeder, ankommen nur Männer. Wer solche unsichtbaren Barrieren nicht sieht, sehen will oder sogar noch undurchdringlicher macht, sich aber gleichzeitig anonymer Offenheit rühmt, hat nichts gelernt.
Spannend fand ich dann auch das Beispiel eines jungen Anonymous, der in einem Presseinterview seinen Name und sein Alter preisgab. Im Anon-Chat bekam er dafür die Rechnung und wurde entfernt: "Atempting to use all the work, that so many have done for your personal promotion is something I will not tolerate." Was, wenn's eine Fehlentscheidung war? - ist nicht die richtige Frage. Die richtige Frage ist: Wer legitimiert den einen, über des anderen Schicksal bestimmen zu können? Es gibt eine Legitimationsstruktur, es gibt Macht.

Coleman berührte leider auch nur kurz das Problem der Verantwortlichkeit: Wer rechtfertigt sich für falsche Taten, wenn es unorganisierte Kontrollinstanzen gibt, wer kontrolliert diese? Oder kurz - das alte Problem: Errichten solche Gruppierungen, die Machtstrukturen einreißen wollen, nicht einfach neue Herrschaftssysteme - die aber nur mehr schwer, von innen natürlich noch mehr als von außen, kontrollierbar oder zumindest indirekt über eine Form von institutionalisierter Verantwortung kontrollierbar sind?

Ich erhoffe mir Antworten auf solche Fragen im Panel Power in the Digital Age zu finden. Darin wird es laut Ankündigung aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive darum gehen, welche Rollen so genannte Social Media bei der "Ermächtigung des Volkes" spielen. Wenn das wieder nur eine "Twitter befeuert Revolution"-Geschichte wird, werd ich das Panel sofort verlassen.

...wenn ich denn überhaupt erst reinkomme. Die Veranstaltungen sind völlig überfüllt, das Handynetz ist zusammengebrochen - überall Leute!