Erstellt am: 13. 4. 2011 - 22:22 Uhr
Journal 2011. Eintrag 74.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag als Anregungs- und Denkfutter, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich das ganze Jahr über Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einer These zur österreichischen Innenpolitik, die nach einer Menge Depro-Hoffnungslosigkeit auch einen echten Schluß-Gag enthält.
Heute vormittag hat Josef Pröll, ÖVP-Chef und Vizekanzler der Regierung (eine Position, die im Gegensatz zu Deutschland auch verfassungs-rechltlich existiert) seinen Abschied aus der Tagespolitik bekanntgegeben. Über Details und Gründe ist wohl bereits ebenso alles bekannt wie über die Nachfolgespekulationen.
Viel interessanter als die persönliche Gesundheits-Geschichte dieses Rückzugs ist allerdings die dahinterstehende Systematik. Die zeigte sich auch sofort: nämlich schon im ersten Auftritt nach dieser Entscheidung.
Als wäre Pröll am Hals von einem Mühlstein, im Genick von der Last der Verantwortung und im Kopf von tausend Scheren befreit, spricht er frei auf und schafft es in dieser kurzen Ansprache all das anzusprechen und zu sezieren, was in den Monaten seiner Amtszeit nicht und nicht funktionieren wollte. Trotz seiner Pionierarbeit in den Perspektiven-Gruppen. Oder konnte.
Zwar klingen die Passagen in der Anstand und Stillstand-Rede, die die eigenen Fehler (politischer Vertrauensverlust) betreffen, ein wenig vernuschelt - aber sie stehen nackt und klar da. Und die (teilweise Selbst)-Anklage betreffend "bequemem Opportunismus und auch kurzfristigem Populismus" schmerzt zwar sichtlich, tut aber auch deshalb wohl.
Die Anstand und Stillstand-Analyse
Denn die Analyse trifft auch im Detail: der zumindest gefühlte Stillstand in den Bereichen, für die eigentlich ganz Österreich Evaluierungs/Reform-Bedarf sieht, stellt tatsächlich "den Glauben der Bevölkerung an die Lösungskompetenz und den Lösungswillen der Politik massiv infrage". Die Absurdität der Tatsache, dass "alle wissen, was eigentlich notwendig wäre", sich aber im österreichischen Polit-Mikado keiner bewegt, weil das schon "verlieren" bedeutet, inklusive.
Was dann ein Bild von "Politik" nach sich zieht in dem Ahnungslosigkeit und Wurschtigkeit dominieren. Obwohl durchaus Kompetenz, Wissen und Umsetzungswille vorhanden wären.
Wer in Machtzentren wie das Finanzministerium hineinhört, wird das erkennen/entdecken. Ebenso wie das von zunehmender Hoffnungslosigkeit geprägte Lamento, dass ein allzu höriges Schielen auf Umfragewerte und eine allzu breit gestreute Rücksichtnahme auf alle Lobbies Willen, Wissen & Kompetenz wieder zurück in die Think-Tanks schicken und nicht in die Praxis loslassen.
Strukturelle Feigheit nennt das der alte interne VP-Rebell Bernd Schilcher und beschuldigt eine basisdemokratisch anmutende, aber in die völlige Windelweiche abgestürzte Absicherungs-Vorsicht aller politisch relevanten Kräfte.
Das Scheitern an der strukturellen Feigheit
Der Politik "zukünftig wieder mehr Respekt und Anerkennung" entgegenzubringen, wie das Pröll in seinem Schluß-Plädoyer fordert, arbeitet diese Praxis aber nicht zu. Im Gegenteil.
Dabei wäre ein wichtiger Verhinderer im Ursachen-Fächer dieser strukturellen Feigheiten recht leicht zu entfernen. Die Lösung liegt schon in Prölls Rede. Seine dort gepflogene Offenheit, sein wenig barmherziges und beschönigendes Ansprechen der Probleme wird ihm, dem künftigen Aussteiger, beste Beliebtheitswerte verschaffen.
Bundespräsidentenmäßige.
Heinz Fischer setzt sich in seiner Reaktion bewußt auf die Anstand- und Stillstand-Inhalte drauf, weil das ja seine Ceterum Censeos sind, die Grund-Sätze, die er seit Jahren predigt; die Sätze, die ihn seit Jahren an die Spitze der Polit-Pop-Charts setzen.
Halten wir fest: man kann, auch als Politiker, selbst als selber Verantwortlicher, mit der Wahrheit punkten, imagetechnisch. Würde Pröll noch einen Schritt weitergehen und offenlegen, wer bei welchen großen Paketen (Schulden, Gesundheit, Pensionen, Bildung, Integration...) bremst und mit welcher Begründung - die Chancen auf Bewegung würden vergrößert. Weil es sich dabei aber oft um Machtzentren (Gewerkschaften, im Fall der Lehrer sogar die eigenen; die Hysterie der Hardliner; das Zaudern der Vorsichtigen; die Angst der Quoten-Fetischisierten...) handelt, die man nicht verärgern will, passiert das nicht. Oder nur inoffiziell, per Gemauschel (wie im Fall von Betonmischer Fritz Neugebauer).
Scheitern trotz bestmöglicher Voraussetzungen
Das ist zuwenig und zu schwach.
Profi-Populisten der Marke Haider/Strache, die diese Strategie in Richtung scapegoatism übertreiben, haben die Duftmarken gesetzt, leider; aber auf diese Mindesthöhe muss man jetzt schon steigen.
Leider hat sich diese Vorgangsweise (das Operieren mit Ehrlichkeit, Offenheit, oder besser: dessen halbwegs authentische Inszenierung) in Österreich verloren - schuld daran ist die Gängelung durch den Medien-Boulevard. In Deutschland, wo eine halbwegs normale Entwicklung die politische Kultur nicht völlig derangiert hat, haben es einzelne Proponenten durchaus zu einer Meisterschaft gebracht. Hierzulande sind wir in etwa so stark zurückgefallen wie im Fußball.
Halten wir weiter fest: wenn es in Österreich jemanden gibt, der die Möglichkeiten hat/te sich über diese Mutlosigkeit zu erheben, dann ist/war das Josef Pröll. In der eigenen Partei bevorschußlorbeert ohne Ende, mit einem Rückhalt in familiärer und hausmächtiger Hinsicht, der sich gewaschen hat, ein Mann mit den richtigen Verbindungen und Verwandtschaftsverhältnissen und noch dazu ein Mann, der tatsächlich Reform-Absichten hat/te.
Nun ist der Mann, der die beste Ausgangs-Position aller Österreicher hatte, gescheitert. Am Anspruch des Jobs der Führung, der Exekutive, des Tagesgeschäfts. Gescheitert an den Realverfassungen, Nebenregierungen, der eigenen Mutlosigkeit und der der Institutionen.
Der Irrglaube an den Heilsbringer 'Personalentscheidung'
Das besagt nichts Gutes.
Nicht für die ÖVP, deren innere Struktur durch den permanenten faulen Kompromiß bereits komplett verbaut ist und sie so zu einem beratungsresistenten und unreformierbaren Reaktionär, also zu einem Machterhalter macht, wo ein Konservativer, also ein Zukunftsdenker, gefragt wäre.
Es besagt aber auch nichts Gutes über einen Glauben, der den Menschen und auch den Medien nicht zu nehmen ist. Beide glauben ja felsenfest an Heilsbringer, an Lösungen durch schiere Personal-Entscheidungen.
Nachtrag um 22h45: Gerade sagt Erhard Busek am runden Tisch auf ORF 2 genau dasselbe. Soll mich das jetzt an der Richtigkeit der These zweifeln lassen oder soll ich mich bestätigt fühlen?
Einen Tag später sagt Busek in einem Gast-Kommentar für Die Presse das Ganze noch einmal.
Irgendwann im Zusammenhang mit der (mittlerweile eh schon wieder mißlungenen) Neuaufstellung der FDP habe ich (von offizieller Seite) den Satz gehört, dass man erst nach der personellen Aufstellung eine inhaltliche Ausrichtung diskutieren kann.
Nach dieser idiotischen Methode gehen wir alle viel zu oft vor. Personelle Neuaufstellungen erfolgen in jeder Gruppe nach inneren Kämpfen und Gewurstel; das präjudiziert die Ideologie, die Richtung dann ganz von selber.
Wenn sich eine Kern/Führungsgruppe, die Strippenzieher, die elder statesmen, die Kriegshäuptlinge nicht über die Richtung verständigen, noch ehe ein Führungsteam die Häuptlingschaft in der Friedenszeit übernimmt, dann werden die Inhalte immer als Nebensache vor sich hin faulen. Dann wird die Richtung nämlich über personelle Ränkespiele entschieden.
Klar ist diese Gefahr immer gegeben, wenn die Personalentscheidung als Fetisch, als einzige Hoffnung für "Änderung, Wechsel und Reform" trägt den Keim des Scheitern schon in sich.
Die einzige Hoffnung ist: Josef Pröll
Prölls Scheitern ist also ein Alarm-Signal in mehr als nur einer Hinsicht.
Die Aufgabe Politik und Politikern wieder "mehr Respekt und Anerkennung" entgegenzubringen, kann und darf eben nicht an Einzelpersonen hängenbleiben, selbst wenn sie Super-Neffen sein sollten.
So bitter das ist: Österreichs demokratiepolitische Zukunft liegt in den Händen der paar Strippenzieher, die über die Macht verfügen das politische System, die politische Praxis, die Nebenregierungen und Realverfassungs-Blockierer neu zu strukturieren.
Aber da gibt es einen kleinen Hoffungsschimmer: und zwar, Achtung, Treppenwitz, durch einen Typen namens Josef Pröll.
Wenn sich der nämlich aus dem Tagesgeschäft in die 2. Reihe zurückzieht, in die Strippenzieher-Etappe (und es wird schon herumkolportiert, dass es da bei Raiffeisen durchaus Bedarf gibt, der allmächtige Christian Konrad wird demnächst 68...), und für die könnte es sich gesundheitlich vielleicht ausgehen, dann wäre da was möglich.
Wenn sich also der Josef Pröll von sagen wir 2015/18, der dann viel echte Macht mit ganz wenig öffentlichem Mandat angehäuft hat, dann noch an seine Reformer-Jugend in den Nuller-Jahren erinnern kann.
Dort, in den machtvollen Hinterzimmer-Bereichen, wo Beliebtheitswerte ebenso wurscht sind wie Karriere-Möglichkeiten-Abhängigkeiten oder Ängste vor Medien, dort zählt die Personalentscheidung nämlich noch etwas. Und nur von dort kann ein echtes Reform-Projekt ausgehen.