Erstellt am: 15. 4. 2011 - 19:11 Uhr
"Es ist sehr wohl Unwille da und auch Wut"
In der Berichterstattung rund um das Erdbeben, den Tsunami und die Atomkatastrophe in Japan wurden auch viele beliebte Japan-Klischees verwendet: von den "stoischen Japanern" über die angebliche Technikgläubigkeit bis zum großen Strombedarf aufgrund vollelektrisierter Wohnungen.
Ich habe mich mit Elsa Okazaki, Natsuko Okamoto und Ayumi Kondo, die alle drei in Wien leben und japanischen Migrationshintergrund haben, zu einer Gesprächsrunde getroffen. Wir haben uns darüber unterhalten, was ihnen an wiederkehrenden Stereotypen aufgefallen ist und wie sie darüber denken.
Ayumi Kondo betreibt in Wien das japanische Lebensmittelgeschäft 'Nippon ya' und dem Teeladen 'Cha No Ma', Natsuko Okamoto und Elsa Okazaki sind vom Team von Help for Japan.
Sind euch Klischees oder Stereotypen aufgefallen, die besonders oft herangezogen worden sind?
Elsa: Die Ruhe und die Disziplin der Japaner, die man immer gezeigt hat. Natürlich ist die Gesellschaft in Japan vielleicht ein wenig so, aber die Leute waren auch sehr betroffen oder wütend. Sie zeigen es nur anders.
Natsuko: Ja, die Ruhe war immer da und auch die Frage: Wieso regt sich niemand auf? Wieso wird niemand aggressiv? Das wurde immer dargestellt als: ‚Sie schlucken alles.‘
elsa okazaki
Ayumi: An dem Tag im September, an dem sich das große Erdbeben in Tokio jährt, bekommt man einmal im Jahr Erdbebendrill in der Schule. Wo dann alle die Sachen üben, die man, wenn ein Erdbeben kommt, auch einhalten muss. Also man ist schon auf ein großes Beben vorbereitet.
Aber natürlich ist auch nicht alles so stoisch abgelaufen, eine Freundin, die außerhalb Tokios wohnt, hat mir zum Beispiel erzählt, wie sie in den ersten Tagen nach dem Beben in einer Bäckerei war. Das war im nicht direkt betroffenen Teil, aber trotzdem war eine ewige Schlange vor der Bäckerei. Und eine junge Frau kommt herein und sieht nicht, dass da eine Schlange ist, und geht zum Schalter nach vor. Die Verkäuferin hat die Situation auch nicht mitbekommen und verkauft der jungen Dame etwas. Das hat eine ältere Dame aus der Schlange so erbost, dass sie der anderen mit der Zange, mit der man normalerweise Brötchen aufnimmt, auf den Kopf gehaut hat und sie beschimpft hat. Nach kurzer Zeit haben sich alle beruhigt und die ältere Dame hat sich bei der jungen Dame entschuldigt und gemeint, es sei grad alles ein wenig schlimm für sie und sie wollte da jetzt nicht so böse sein und es wäre ein Missverständnis gewesen. Also ganz emotionslos ist es sicher nicht abgelaufen.
Help for Japan
Sonntag, 17.4.2011, ab 15 Uhr, Pratersauna.
Geboten wird neben japanischem Essen und einem Art- und Mode-Sale auch hochkarätige Musik: Dorian Concept und Bauchklang treten auf, als DJs sind unter anderem Peter Kruder oder Sofa Surfers dabei
Natsuko: Sowas sieht man selten! Wirklich! Im Japanischen gibt es die Ausdrücke Honne und tatemae: das, was in einem drinnen ist, und das, was man nach außen vorgibt, die Maske. Und die ist im Alltag schon immer vorhanden. Im Privaten lässt man aber natürlich schon alles raus! Die Leute sind sehr wohl erbost, auch über die Regierung, über die Medienpolitik, was übermittelt wird oder nicht etc. Das wird aber hier nicht gebracht. Aber es ist sehr wohl Unwille da und auch Wut.
Von westlichen Medien wird immer auch ein wenig gemutmaßt: Da wird nicht alles erzählt, da werden auch Sachen verschleiert…
Ayumi: Ich glaube, dass wir als absolute Laien alle keine Ahnung haben, was das alles genau bedeutet. Uns werden alle möglichen Zahlen an den Kopf geworfen. Ich möchte die Regierung nicht in Schutz nehmen, aber ich glaube, dass die eine gewisse Zeitlang auch keine Ahnung hatte, was wirklich los ist. Nur war ich schon auch sehr wütend, wenn Vergleiche mit sowjetischem Regime kommen, dass man keine Informationen herausgibt. Ich glaube, es wurden zu viele Informationen herausgegeben und es gibt keine Experten, die sie für uns Laien sammeln und aufbereiten. Ich hab auch das Gefühl, dass vor allem die deutschsprachigen Medien vom ersten Tag an mit dem SuperGAU als Schlagzeile gearbeitet haben. Und die können davon ja dann auch nicht mehr runter! In den amerikanischen und britischen Medien ist, was ich so mitbekommen habe, ein wenig ruhiger und auch mehr auf Fakten basiert berichtet worden. Ich glaube aber auch, dass wir in Österreich und Deutschland da noch einen Megaknacks von Tschernobyl haben.
Ayumi: Hinzu kommt noch das Sprachhandicap. Das ist ein Grund, warum sich Japan oft nicht in der Art präsentieren kann, wie es gerne möchte. Es gibt zwar genug Übersetzer und Dolmetscher, aber auf eine so plötzliche, große Katastrophe war man unvorbereitet. Ich habe auch einiges darüber gelesen, wie schlecht Japan auf Englisch informiert hat. Also auf Japanisch gab es einige Nachrichten, aber sie konnten oder wurden nicht auf Englisch übersetzt. Einige Medien haben dann die wichtigsten Stichwörter, die sie auf Japanisch so verstanden haben, genommen und Schlagzeilen daraus gemacht. Wenige Tage nach dem Beben hat man z.B. gelesen, dass 40 Millionen Tokioter dem Tode geweiht sind.
elsa okazaki
Ein anderes Thema, das ich noch gerne ansprechen würde, ist die angebliche Technikaffinität oder vielleicht auch die angebliche Begeisterung für Atomkraft…
Ayumi: Japan befindet sich jetzt in einer Zeit von Jishuku, das heißt einer Art von Enthaltsamkeit, Zurückgezogenheit und der Trauer. Und im dunklen Tokio, wo die Neonlichter abgedreht sind, merkt man aber jetzt auch, dass man ohne diese Sachen auskommt!
Natsuko: Und die Leute stellen auch fest: Aahh, das ist ja schön, man ist nicht mehr so geblendet. Vor allem die Jungen, die haben das ja nie anders gekannt! Also es findet auch im Alltag ein großes Umdenken statt und eine Bewusstseinsänderung.
Ayumi: Japan ist aber schon ein sehr technikgläubiges Land, ich kann mich erinnern: Immer wenn Verwandte zu Besuch kamen, ging es um susundero oder susundenai; ist man fortschrittlich oder weniger fortschrittlich und die Länder wurden verglichen. Es gibt schon auch Häuser und Wohnungen, wo alles elektrisch läuft, von der Badewanne bis zu Klospülung. (Gelächter) Und man darf da jetzt nicht darüber lachen, da wurden Millionen investiert für etwas, das im Notfall nicht funktioniert!
Natsuko: Als ich als Kind zum ersten Mal auf einem dieser beheizten Klos war, ich bin nur aufgesprungen und hab gedacht: 'Was ist da jetzt los?!' Als Erklärung kam: 'Aber das ist doch benri!', ein Ausdruck für praktisch. Alles muss praktisch sein! Jeder Handgriff, der abgelöst werden kann durch eine elektrische Tätigkeit, ist super.
Elsa: Ich glaube nicht, dass die Japaner jetzt darauf verzichten werden. Vielleicht schaut man sich aber nach anderen Energiequellen um.
Aber wie ist die Stimmung gegenüber Atomkraft? Findet man die jetzt weniger gut?
Elsa: In Japan ist man sicher sehr wütend auf TEPCO. Es gab ja auch Demonstrationen, die sind zwar zahlenmäßig nicht vergleichbar mit denen in Europa, aber es sind schon Leute auf die Straße gegangen.
Ayumi: Ich denke, jetzt ist auf alle Fälle ein Bewusstsein da. Wir sind - noch ein japanischer Begriff - in dieser Heiwaboke gewesen, das bedeutet „von Frieden abgestumpft sein“, weil es uns in Japan so lange so gut ging. Man hat sich halt nicht wirklich interessiert, nicht für Politik nicht für Wirtschaft, wenig Beteiligung daran, was im Rest der Welt passiert... Jetzt wurde man auf alle Fälle wachgerüttelt. Aber man darf auch nicht vergessen: In Tokio und nördlich davon ist man einfach noch täglich betroffen. Man ist vielleicht dagegen, aber es wird noch einige Monate und Jahre dauern, bis man wirklich wütend wird, das kommt schon noch. Aber jetzt geht es erst mal ums Überleben.
Die Frage des Essens könnten wir jetzt noch anschneiden…
Ayumi: Also ich habe einen japanischen Laden hier in Wien, den meine Eltern vor vierzig Jahren gegründet haben. Tatsache ist: Japan ist ein extrem teures Land und Österreich ist im Vergleich zu anderen Länder ein extremes billiges Sushi-Land, drei Sushis kosten hier 1,90 € oder so. Das heißt, hier verwendet man japanischen Produkte, die aber nicht in Japan hergestellt werden. Was ich damit meine: Natürlich haben Firmen den Hype um die japanische Küche längst erkannt und mittlerweile wird zum Beispiel Reis aus japanischer Saat in Norditalien angebaut usw. Aber bei den Sushipreisen kommt der Seetang aus China, der Reis aus Italien und der Fisch aus Norwegen. Gerade Fisch ist das allerteuerste in Japan und gerade der wird sicher nicht aus Fukushima direkt nach Wien importiert! Also in der Hinsicht ist die ganze Panikmache der Medien wirklich nur Panikmache.
Natsuko: Das gleiche gilt für japanische Lokale und Restaurants, die jetzt wohl ein bisschen gemieden werden. Es ist doch logisch, dass die Zutaten für die Gerichte aus dem hiesigen Land kommen oder von möglichst nahe.
Ayumi: Wir wurden in unserem Laden wenige Tage nach der Katastrophe gefragt, ob die Sojasauce verstrahlt sei. Also bis die Sojasauce ab der Produktion, bis wir sie bestellt haben, nach Österreich gelangt, dauert das mindestens zwei Monate! Und die Sauce muss mindestens ein halbes Jahr lagern, bevor man sie überhaupt Sojasauce nennen kann. Diese irrationale Angst war schon sehr interessant. Es wurden ja auch Apotheken wegen Jodtabletten gestürmt usw.
Elsa: Diese Hysterie habe ich auch nicht verstanden bzw. ich fand das sehr traurig und geschmacklos.
Dieses Element ist nicht mehr verfügbar