Erstellt am: 13. 4. 2011 - 04:15 Uhr
TV On The Radio (in a movie)
Hat jemand ernsthaft geglaubt,
die US-Kongressabgeordneten würden ihren Müll selbst entsorgen? Der befürchtete Staatsinfarkt, er ist vergangenen Freitag doch nicht eingetreten. Die Müllabfuhr in Washington, DC, ebendort von einer Bundesbehörde geregelt, hat am Samstagmorgen wie eh und je hungrige Trucks mit schwarzen Plastiksäcken gefüttert. „In letzter Minute“ konnten sich Republikaner und Demokraten auf einen vorerst provisorischen, aber immerhin operativen Staatshaushalt einigen. Die Bundesbediensteten bekommen auch weiterhin ihre Paychecks in die Mail gesteckt. Das Land bewegt sich. Schwerfällig und ächzend, aber es bewegt sich. Über die Sparpläne wird auch weiterhin gestritten.
Tvontheradio.com
Eine Band, die sich über drei Alben lang intensiv mit den current affairs der USA befasste, lässt nun die Niederungen der gesellschaftlichen Grabenkämpfe hinter sich und strebt im neuen Machwerk nach den höheren Formen der menschlichen Existenz. Es geht um Liebe und solche Sachen.
TV On The Radio überraschten vor wenigen Wochen zunächst mit der Verlautbarung, doch noch weiterzumachen mit der Band, mit der Musik, um dann in Folge dieses Versprechen mit der Ankündigung eines neuen Albums zu untermauern und gleich einen aus 10 Clips bestehenden Film mitzuliefern.
Warum mich diese vielversprechenden Neuigkeiten ziemlich kalt gelassen haben, diese Frage stellte ich mir gestern kurz vor der Filmpremiere von ‚Nine Types Of Light‘ im Sunshine Cinema im East Village (Nick Zinner und David Sitek hatten gerade in der Reihe vor mir Platz genommen). Vielleicht, weil die ersten drei Werke der New Yorker in ihrer Gesamtheit eine so runde Sache waren, eine Chronologie der 00er Jahre Brooklyns und des moralischen Downfalls der dieses abgeschottete Hipster-Dorf umgebenden Nation. Mir erschien die Ankündigung der vorläufigen Bandauflösung nach dem letzten Album Dear Science logisch. Eine Band, die trotz Major-Label Verpflichtung nie in den Verdacht kam, Musik aus Kalkül heraus zu machen, sondern weil man das sagen, singen und schreien muss, was einem halt so am Herzen liegt, konnte von mir aus am Höhepunkt des Schaffens gern den Stecker ziehen, wenn es dem Ur-Statement, dem Initialmoment nicht mehr viel hinzuzufügen gibt. Insofern tut sich hier eine unerwartete Parallele zu einer Formation jenseits des East River auf, als deren deepes Korrektiv TV On The Radio stets gelesen wuden.
Interscope
Warum also als Band weitermachen?
Die neben Animal Collective musikalisch wohl außergewöhnlichste Formation der letzten Dekade hat ihren Platz in den Herzen der Widerwilligen und Trotzenden jüngeren Zunschnitts ohnehin auf alle Zeiten sicher. Die Solokarrieren ließen sich gut and und die von TV On The Radio mitgebründete Künstlerenklave Williamsburg müsste den verstreuten Mitgliedern der Band mittlerweile eigentlich auch schon fremd geworden sein. Ist doch das rootsy/artsy DIY-Aufbegehren der „School of 2002“ (u.a. frühe YYYs und Liars) einem um Etats der Kreativwirtschaft kämpfenden Arbeitsethos zahlloser Musik, TV, Design, IT, und Fashion Kleinfirmen gewichen. Also, warum nicht Schluss machen? Den Obama-Blues sollen doch bitte nachrückende Jungwölfe heulen.
Womit wir mitten im Thema der neuen Platte wären. Das Politische definiert sich bei ‚Nine Types Of Light‘, wenn schon, dann in Hauptsache über die Chiffren des Zwischenmenschlichen. Im Film, der aus 10 Video-Clips zu den 10 Songs des Albums besteht, gibt es nur eine, diese zukünftig wohl schwerst legendäre, „Diner-Szene“, in der David Sitek den „elefant in the room“ benennt und die aktuelle Lage der USA mit „Bush on the rocks“ beschreibt. Alle fünf Mitglieder der Band sitzen Tarantino-mäßig an einem Diner-Table und unterhalten sich über die Post-Break-Up Phase von TV On The Radio. Es ist eine großartige Parodie auf das unerwartete Dasein als Popstars der Indie-Rennaisance, die die Band am Ende doch ziemlich ratlos zurückgelassen hat, wie es scheint.
Diese Szene ist eine Kartharsis auf den davor gezeigten Clip, eine nostalgisch anmutende Montage aus Karrierestationen, zu dem das schwerst an Led Zeppelins ‚Thank You‘ gemahnende ‚Killer Crane‘ läuft. Danach setzt es eine Selbstdemontage von Sänger Tunde Adebimpe, der im Song ‚You‘ zum Gaudium des Kinopublikums als trashiger Prince-Imitator durch Coney Island stolpert. TV On The Radio knüpfen sich den Pop vor und treiben ihn an sich selbst aus. Am Ende kommt Tunde dennoch zum Schluss „there is no reason to let go“. Die englische Sprache kennt für dererlei Botschaften die schöne Phrase "mixed messages".
Mit ‚No Future Shock‘ und ‚Repetition‘ wird dann doch auch ein wenig an den gesellschaftlichen Verhältnissen gerüttelt. Der erstere Song/Clip führt das System Hollywood tanzend in den Abgrund (Regie Adebimpe), das sich hochjazzende ‚Repitition‘ beklagt unser Verhalten in sozialen Netzwerken, wo Rhythmus und Präsenz zu den wichtigsten Mitteilungsformen geworden sind. Die restlichen Stücke widmen sich in und aufrichtig dem Thema Liebe, die als Genre immer dann herhalten muss, wenn einem gerade nichts oder alles einfällt.
Christian Lehner
Christian Lehner
Visuell ist ‚Nine Types Of Light‘ der Flickenteppich, auf dem die Band im Video zu ‚Caffeinated Consciousness‘ in bester Dude-Manier reitet. Kein Wunder, die 10 Clips wurden von verschiedenen Produzenten animiert und gedreht. Adebimpe gab nur vage Richtungsangaben, sonst ließ er den RegisseurInnen freie Hand. Der Film ist eine Multitude an Kreativität auf low-budget-Basis und stimuliert bis zur letzten Minute, was man von der Musik nicht gerade behaupten kann. Die wirkt trotz überraschender Trendwende weg von der Elektronik und dem Funk aus ‚Dear Science‘ hin und zurück zum Art Rock ohne dazugehörende Bilder phasenweise unentschlossen und richtungslos im Midtempo-Geplänkel gefangen.
‚Nine Types Of Light‘ produziert mehr Frage- als Ausrufungszeichen. Dieser Tendenz folgt auch die philosophische, leicht esoterische Rahmenhandlung des Films. Zwischen den Musikvideos tauchen großformatige Gesichter von gut 20 SchauspielerInnen aller Altersschichten und Ethnien auf, die sich die guten alten Gaugin-Fragen stellen: Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?
Im Anschluss an die Filmpremiere hat sich Tunde Adebimpe freundlicherweise dazu bereit erklärt, mir einige Fragen zu Movie und Album zu beantworten. Zu hören ist das Interview heute in FM4-Connected ab 15 Uhr. Die Album Listening Session folgt am kommenden Dienstag ebenfalls in Connected.
Hier geht’s zum Stream des Films