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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

12. 4. 2011 - 20:18

Journal 2011. Eintrag 73.

Das erste Auftauchen der Blöd-Maschinen.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag als Anregungs- und Denkfutter, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich das ganze Jahr über Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit dem ersten Auftauchen der Blöd-Maschinen, die wohl den sommerlichen Diskurs prägen wird.

Vor zehn Tagen sitze ich im Flieger nach Barcelona und lese eine Geschichte, in der anhand eines Archetypen namens David K. vorgeführt wird, wie absurd sich in den letzten Jahren das Städtereisen entwickelt hat. Dieser K. ist ein "kosmopolitischer Radiomoderator" und (be)sucht in seinen Wochenend-Tripps nach London, Rom, Paris, Berlin und Barcelona dieselbe Szene, die auch sein Leben in Wien definiert. "Nach Berlin oder Barcelona jetten, das ist wie zuhause sein, nur anderswo" heißt es da über diesen Vertreter der mobilen Generation.

So hatschert und in allen Gelenken ächzend diese neuen Trend-Vertreter auch zusammengezimmert sein mögen, so sehr sollte die darin geäußerte Tendenz Anlass zum Nachdenken geben.

Denn natürlich tappt auch jemand der mit einer präzise reflektierten Erwartungshaltung ins "Fremde" reingeht, in dieselben Fallen wie der Pauschal-Touro oder der sanft animierte Club-Urlauber und blöder zurückkehrt als er in die Reise hineingegangen ist. Was dem Prinzip Reisen ja grundlegend widerspricht, wenn man es als Erweiterung von Wissen, Erfahrung und emotionaler Bandbreite definiert.

Da es mittlerweile weltweit (und das beträfe nicht nur die urbanen Zentren, sondern letztlich auch die abgelegensten Landstriche) auf Marktsegmente zugeschnittene Angebote gibt und da sich mittlerweile auch weltweit vernetzte und deshalb einander ähnlich gewordene Szenen gibt, ist die Gefahr in genau so eine Extension des daheim Gelebten zu geraten natürlich hoch.

David K., auf dem Weg nach Barcelona

Sie hat sich über die Jahre potenziert.

Bei meinen ersten Städtereisen-Außenaufenthalten waren es noch einige ganz wenige Anlaufpunkte wie der globale McDonalds, die sich längere Zeit auch noch durch national spezifische Angebotsleistungen unterschieden – mittlerweile hat sich auch das wegglobalisiert; wie praktisch alles.

Nun, ich bin hauptberuflich ja kein Radiomoderator (zwei Wochenstunden, das geht sich nicht aus) und ja auch kein hauptberuflicher Kosmopolit (dazu ist mein Beschäftigungs-Fokus in jeder Hinsicht zu österreich-bezogen und auch kein David.

Ich kenne im übrigen einen echten Radiomoderator, der genau das in dieser Presse-Geschichte Beschriebene schon seit langen Jahren macht (der sich sogar eine kleine Immobilie an einem solchen Ort zugelegt hat), allerding auf völlig anti-prenzlbergerische Art, dem ging und geht es nur um den Fluchtpunkt. Ich weiß also deutlich um die Gefahr, aber auch genauso deutlich um das falsche Klischee Trotzdem hab ich die letzte Woche vielleicht ein Spürchen besser aufgepasst nicht nur im Raval oder in Born zu versacken, war auf keinem Konzert und in keinem Club, habe mir kein Barca-Spiel angeschaut, sondern nur die Camp Nou-Tour gemacht, bin teilweise den Mainstream-Strömen gefolgt, habe teilweise in Hochkultur gemacht aber vor allem die meiste Zeit mit dem reinen Gegenteil von dem, was ich sonst in Wien mache, mit reinem Nichtstun also, verbracht.

Georg S., Wehrhafter im Kampf gegen Maschinen

Um nicht mit einem Bild zurückzukommen, dass von der Verblödungs-Maschinerie für jemanden wie mich, den „mobilen“ da, vorgeformt wurde.
Womöglich erfolgreich.

Am ersten Abend in Wien, anlässlich der Präsentation des „Amerika“-Projekts von Naked Lunch und Robert Stadelober, stehen danach dann die üblichen Verdächtigen herum, mit denen man sich gerne austauscht.

Und Thomas Edlinger kann nicht anders, er muss von dem Buch erzählen, das im Mai erscheint und das er jetzt schon auszugsweise lesen darf, die „Fahnen“, wie das in Lit-Biz-Fachjargon heißt.

Das Buch ist "Blöd-Maschinen: die Fabrikation der Stupididtät" von Markus Metz und Georg Seeßlen, den ich erstmals im Film-Umfeld wahrgenommen habe, ist Semiologe, Kulturwissenschafter, ein hochmoderne Anthropologe und Blogger. Markus Metz ist einer von Seeßlens Kollegen bei der Kultur/Wissenschafts-Gang Die Untoten einer Art Gegenmodell zu den Science Busters.

Von der Blöd-Maschine erzählt uns Seeßlen schon seit November nein seit Oktober 2009. Sie hätte bereits im letzten Herbst erscheinen sollen, und hat auch schon Eingang in die Lehre gefunden. Edlingers gemeinsam mit Fritz Ostermayer gestaltete FM4-Sonntagssendung "im Sumpf" ist ihm bereits seit Anfang des Jahres auf der Spur und wird den Blöd-Maschinen ihre Sommerserie widmen.

Thomas E., Vorableser und Fahnenträger

Das Cover von Blöd-Maschinen

suhrkamp

Die Grund-These knüpft aktuell an der Debatte an, die kürzlich auch hier anhand der Jung/Matt/Bild/Helden-Geschichte geführt wurde und sich zentral durch praktisch alle Betrachtungen zur Zeit schlängelt. Und eines von Edlingers Beispielen aus dem Buch ist dann prompt diese Geschichte: wie die Blöd-Maschine bei etwas zuschlägt, was man bislang als so ziemlich immun gehalten hatte: die bewusst unternommene Reise, die dem Erkenntnisgewinn dienen soll.

„Wir hassen den Gegenstand schon in dem Augenblick, in dem wir nicht anders können, als ihn zu kaufen.“ sagt Seeßlen einmal in einem seiner Blogs, die das Thema behandelten. Es geht gar nicht mehr so sehr um das bewusste Sich-Schmücken mit Attributen, Posen und Distinktions-Tools, es geht nicht mehr darum etwas zu kontrollieren: die Blöd-Maschinen haben die Kontrolle über uns und unseren Willen übernommen.

Das Buch erscheint am 25. 5. bei Suhrkamp.
Es wird ein interessanter Sommer.