Erstellt am: 12. 4. 2011 - 17:40 Uhr
Markus Wilhelm: Ein Unbequemer
In einem Cafe in Oetz, am Eingang des Ötztals treffe ich Markus Wilhelm zum Interview. Er hat zwei Stunden Zeit, bevor er wieder heim muss auf seinen Bauernhof. Es ist nämlich Schlachttag. Wenn man vor ihm sitzt, kann man sich kaum vorstellen, dass der unscheinbare Mit-Fünfziger seit über 30 Jahren publizistisch tätig ist und immer wieder Skandale zu Tage fördert. Jüngst hat er zum Beispiel aufgedeckt, dass Ernst Strasser nicht nur in Brüssel, sondern auch in Österreich lobbyistisch tätig war.
Schnell bringt Markus Wilhelm den Unterschied zwischen ihm und einem Redakteur der Tiroler Tageszeitung auf den Punkt: "Der TT-Redakteur will ja nix, ich will ja was, und zwar um's Eck fahren mit diesen Zuständen." Mit diesen Zuständen ist die Tiroler Politik gemeint, mit der sich Markus Wilhelm schon seit Jahrzehnten kritisch auseinandersetzt. Mit der kulturpolitischen Zeitschrift Föhn, die er 1978 gemeinsam mit Felix Mitterer, Hans Haid und anderen gegründet hat, hat diese Auseinandersetzung begonnen, richtig intensiv ist sie aber erst mit deren Neugründung als "Foehn", sechs Jahre später, geworden.
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Als "Aufklärungsmedium über Vorgänge in der Tiroler Politik und Wirtschaft" betreibt Wilhelm den Foehn 14 Jahre und 25 Ausgaben lang. Als Einmannbetrieb erreicht er mit der Zeitschrift eine breite Öffentlichkeit. 1998 stellt er die Zeitschrift überraschend ein und verschwindet für einige Jahre aus dem Fokus der Tiroler Öffentlichkeit. Erst Pläne für ein Kraftwerk in "seinem" Ötztal lassen 2004 seine publizistischen Ambitionen wieder hervortreten. "Ihr baut mir hier kein Kraftwerk hin." Mit ihr ist die TIWAG gemeint, der Tiroler Energieversorger in Landesbesitz. Sie wird zum Namensgeber seiner Website dietiwag.at. Mit der will er einer neuen LeserInnengeneration formal entgegenkommen.
Wilhelm verortet die TIWAG im Zentrum der Tiroler Politik, allein schon wegen ihrer finanziellen Potenz. Die TIWAG sei ein unerschöpfliches Füllhorn, weil die Wasserkraft in Tirol nicht ausgehe. "Das Wasser, das nach unten läuft, füllt dauernd die Säcke der TIWAG und der Politik." Und jeder, der Zugriff auf ihre Kassen habe, würde kräftig reinlangen. Günther Platter, als Tiroler Landeshauptmann auch Eigentümervertreter, bilde da keine Ausnahme.
Dabei hatte Wilhelm gehofft, dass nach Herwig van Staa eine Änderung kommen würde im Selbstverständnis der Tiroler ÖVP. Zu dessen Sturz als Landeshauptmann hat Wilhelm maßgeblich beigetragen. 2007 veröffentlichte er auf seiner Website einen Mitschnitt, auf dem zu hören ist, wie van Staa den ehemaligen deutschen Außenminister Joschka Fischer angeblich ein Schwein nennt. Van Staa hat das damals abgestritten und die Staatsanwaltschaft eröffnete ein Verfahren gegen Wilhelm wegen Ehrenbeleidigung, Täuschung und Beweismittelfälschung. Markus Wilhelm wurde in allen Punkten freigesprochen.
Es war nicht Wilhelms erster Prozess. 2005 hatte ihn die TIWAG geklagt, weil er geheime Cross-Boarder-Leasing-Verträge mit amerikanischen Briefkastenunternehmen online gestellt hatte. Die TIWAG klagt auf Unterlassung. Streitwert: existenzbedrohende 500.000 Euro. Doch Wilhelm gab nicht klein bei. "Wenn du einmal drin bist, musst du es durchziehen.", meint er. Und das Positive an einem Prozess sei, dass die Sache eine gewaltige Medienöffentlichkeit generiere. Nach über vier Jahren Prozessdauer war der Spuk für Wilhelm vorbei. Er hat gewonnen, gegen eine einstweilige Verfügung und gegen die Klage auf Unterlassung.
Der Zuspitzer
Neben seinen Gerichtsverfahren haben Markus Wilhelms Artikel ihm aber auch viele Sympathisanten eingebracht. Nach eigenen Aussagen gehört seine Website zu den größten Tiroler Websites. Nicht nur seine Thematik, auch sein Schreibstil zieht die LeserInnen an. Material und Informationen über Skandale findet man im Netz auch ohne ihn genug, aber Wilhelms Leistung liegt in der Zuspitzung. So will Wilhelm die Informationen, die ihm von allen Seiten zugetragen werden, als Waffen gegen die Missstände im Land einsetzen.
In Tirol sei er momentan konkurrenzlos, ausnahmslos alle Medien hingen am Anzeigentropf der TIWAG. Dass die Mediensituation im Land "einfach scheiße" sei, sei zwar super für seine Website, in Wahrheit hätte er aber gerne eine gute TT. Denn "es gibt genug Scheiße im Land für alle!"
Bei einem solchen Rundumschlag verwundert es kaum, dass die Tiroler Medienszene über Markus Wilhelm lieber schweigt. Im Gegensatz zu den Tiroler Zeitungen und Rundfunkstationen ist Wilhelm unabhängig vom Anzeigenverkauf oder von einem Einkommen aus dem Journalismus. Er lebt hauptsächlich vom Bauerndasein und von der Zimmervermietung und kann es sich deshalb leisten, das Land und sein größtes Unternehmen anzugreifen.
Markus Wilhelm
Aber angreifen will Wilhelm die TIWAG gar nicht, sondern sie, wie er es ausdrückt, "vor Schaden bewahren", und das Unternehmen schade sich am meisten selbst. Auch damit, dass es beratungsresistent sei und schon aus Prinzip das Gegenteil von dem machen würden, was er vorschlägt. "Wenn das Haus brennt und ich würde sagen, sie sollen es löschen, würden sie es nicht tun - sondern das genaue Gegenteil. Und dann denken sie mit viel Werbung und Agentureinsatz kommen sie da wieder raus."
Wenn auch die TIWAG und die Politik abblockt, glaubt Markus Wilhelm, dass in den letzten Jahren einiges in Bewegung gekommen ist, vor allem an der Basis. Die Leute hätten mehr Bewusstsein für die Vorgänge im Land entwickelt. Mit der ÖVP in Tirol würde es bergab gehen und das wäre auch sein Verdienst. Lieber würde er zwar etwas Aufbauendes leisten, zuvor müsse man aber "das ganze Gebäude abtragen".
Nach knappen zwei Stunden blickt Markus Wilhelm auf die Uhr, ruft nach der Kellnerin und bezahlt. Er entschuldigt sich noch dafür, dass er schon gehen müsse, aber daheim auf dem Hof seien Schafe zu schlachten.