Erstellt am: 12. 4. 2011 - 06:10 Uhr
"Krieg. Stell dir vor, er wäre hier."
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Die täglichen Nachrichten von Flüchtlingen, die in Europa Zuflucht suchen, reißen nicht ab. Tausende, die ihr Hab und Gut veräußern, ihre Familien verlassen, beschwerliche Reisen auf sich nehmen und sich ein Leben in Sicherheit erhoffen – in Europa. Um dort dann alles andere als willkommen zu sein.
hanser verlag
Janne Teller: "Krieg. Stell dir vor, er wäre hier". Aus dem Dänischen von Sigrid C. Engeler. Illustriert von Helle Vibeke Jensen. Hanser Verlag 2011
Das Leben in Europa scheint sicher. In ihrem Buch "Krieg" beschreibt die dänische Autorin Janne Teller das Gegenteil. Deutschland ist nach Streitereien mit den Nachbarstaaten aus der EU ausgetreten und im Krieg mit Frankreich. Innerhalb Deutschlands verunsichert eine "Gleichschaltungspolizei" die Bevölkerung.
Die Leserin, der Leser wird geduzt und nimmt die Rolle eines deutschen Jugendlichen ein. Die Mutter ist schwerkrank, der Bruder hat bei einer Mine drei Finger verloren und unterstützt gegen den Willen der Eltern die Milizia; die kleine Schwester liegt mit Granatsplittern im Krankenhaus, die Großeltern sind bei einem Bombenangriff gestorben. Nichts ist mehr, wie es einmal war. Nichts bietet Sicherheit. Nichts gibt Hoffnung. Soviel steht fest – ein Weiterleben in Deutschland ist äußerst gefährlich.
"Wenn bei uns Krieg wäre. Wohin würdest du gehen?" fragt sie harmlos am Beginn des Buches. Dabei ist schnell klar, dass es sich um keine Frage handelt, denn man hat ja gar keine Wahlmöglichkeiten, es bieten sich keine Alternativen.
"Wenn durch die Bomben der größte Teil des Landes, der größte Teil der Stadt in Ruinen läge? Wenn das Haus, in dem du und deine Familie lebt, Löcher in den Wänden hätte? Wenn alle Fensterscheiben zerbrochen, das Dach weggerissen wäre?" fragt Janne Teller weiter. Was würde man tun?
Janne Teller liest in Linz im Posthof
am Di., 12. April 2011 ab 20 Uhr
Mit äußerst viel Aufwand gelingt dem Protagonisten und seiner Familie die Flucht über Polen und die Ukraine nach Ägypten. Im dortigen Flüchtlingscamp versuchen sie sich zu integrieren, versuchen die Sprache zu lernen, einen Job zu bekommen, zur Schule zu gehen. Die Jahre vergehen, das Leben stagniert.
Zurück nach Deutschland zu ziehen, der große Traum der Eltern, ist völlig illusorisch – Deutschland ist nicht mehr der Staat, der er mal war. Die Familie wird nie mehr an ihrem alten Leben anknüpfen können. "Krieg. Stell dir vor, er wäre hier."
© 2004 Photographer Morten Holtum Nielsen
Janne Teller hat das Buch bereits 2004 geschrieben. Nach dem großen Erfolg von "Nichts. Was im Leben wichtig ist" ist nun auch "Krieg" ins Deutsche übersetzt worden. Für die deutschsprachige Übersetzung hat Janne Teller die Handlung nach Deutschland verlegt.
Sowohl das Original als auch die deutsche Übersetzung erscheinen optisch wie ein Reisepass.
"Stell dir vor, es wäre Krieg und niemand geht hin" war die passive, wegschauende Variante. "Krieg. Stell dir vor, er wäre hier." regt zum Mitdenken an. Durchaus vorstellbar, dass dieses Jugendbuch zur Schullektüre wird. Rassismus, Schicksale und Probleme von Kriegsflüchtlingen und verschiedenste Vorurteile können anhand des Buches besprochen werden. Hier gibt es keine Antworten – Janne Teller provoziert und regt zum Nachdenken an. Mit diesem Perspektivenwechsel schafft sie es einmal mehr, die LeserInnen quer denken und an vorgegebenen Werten zweifeln zu lassen und Empathie mit Flüchtlingen aufzubauen. Allein deswegen sollte man das Buch lesen.