Erstellt am: 11. 4. 2011 - 18:27 Uhr
Die Welt war immer schon komplex
Ich bin immer wieder verblüfft, wenn ich an mir selbst merke, in welcher diffusen Weise Lernen funktioniert. Am Anfang steht immer das "kann ich nicht, weiß ich nicht" und dann folgt dieses zunächst für einen selbst aussichtslos wirkende Losstarten mit der Wissensaneignung bzw. Übung. Die Hoffnung, dass man später mehr weiß und kann, ist zunächst ein unsicheres Pflänzchen, das man erst mal mit der eigenen Ratio stabilisieren muss. Das vielbeschworene Erweckungserlebnis oder der berüchtigte "Knopf", der einem aufgeht, ist eher die Ausnahme. Es ist mit dem Lernen vielmehr so wie beim Wachsen von Nägeln und Haaren: es passiert, aber in einer graduellen Weise, der man nie so recht habhaft werden kann. Du stellst langsam mehr Zusammenhänge her und bemerkst immer nur ab und zu, punktuell, anhand allzu auffälliger Indizien, dass der Lernerfolg sehr wohl passiert.
Knoten in der Kommunikation
Dementsprechend schwierig und durchwachsen war für mich immer Didaktik im Allgemeinen. Damit meine ich weniger die jeweilige Lehrmethode, sondern die grundlegende Kommunikation beim etwas Beibringen. Ich erinnere mich an Momente des Endlich-Verstehens bei Mathematik-Aufgabenstellungen in der Schule, bei denen ich nachher innerlich den Kopf darüber geschüttelt habe, wie umständlich, über unnötige Umwege mir das erklärt worden war.
Dieses Verkomplizieren, das ewige Kommunikationsproblem beim (meist schriftlichen) Weitergeben von Wissen, ist eine substanzielle Hürde, die weiterhin und trotz aller Bemühungen um neue Lehrmethoden, überall sichtbar ist - egal, ob in der Schule, auf der Uni oder beim Installieren des neuen Druckers. Wer einmal weiß, wie letzteres funktioniert, braucht sich die Betriebsanleitung beim nächsten Mal meist nicht mehr zu Gemüte führen. Tue ich es doch, interessehalber, ist die Verblüffung immer groß, in welchen ausladenden Sätzen und Schritten hier banale Dinge erklärt werden. "Ja", werden jetzt manche sagen, "du kennst dich damit ja aus". Fest steht aber, dass auch bei Unbedarften die gnadenlose Schritt-für-Schritt-Zerfransung meist mehr Verwirrung als Klärung stiftet. Oft reicht dafür schon der bloße Anblick auf die vielen Kapitel und Seiten.
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SEWilco / creative commons
Wie bändigbar ist die Aneignung von Wissen?
Das Problem ist, dass der komplexe, von Mensch zu Mensch unterschiedlich ablaufende Prozess der Wissensaneignung einer (zumindest im westlichen Kulturraum üblichen) rationalisierten, pseudo-gezähmten Form der Wissensvermittlung gegenübersteht. Für alles gibt es Bücher und Lexika, in denen ein Sachverhalt scheinbar klipp und klar erklärt und dargestellt wird. Dabei ist man meist einer wissenschaftlich begründeten Norm und Form untergeordnet, die für viele schwer verständlich und abstrakt ist. Kein Wunder, dass oft mäßig seriöse Bücher so erfolgreich sind, die eigentlich gar nicht so komplizierte Dinge in einer bewusst verständlichen, einladend formulierten Weise erklären, damit man sich als Leser/in endlich nicht mehr wie ein minderbemittelter Tor vorkommt.
Alles zur selben Zeit
Die Vermittlung von Wissen und die Ausbildung der eigenen Fähigkeit zum effizienten Lernen ist eine immense Herausforderung, die durch das digitale Zeitalter noch verstärkt worden ist. Der Hauptgrund dafür liegt aber kaum in der derzeit gern beschworenen "media literacy" im Umgang mit den Medien im Netz. Was soll diese allein denn schon besagen? Dass ich weiß, wie ich Suchbegriffe in YouTube eingebe und mir darüber im Klaren bin, was ein RSS-Feed ist? Solche Fähigkeiten auszubilden, erfordert nicht mehr als ein Mindestmaß an Intelligenz, Interesse und Experimentierfreundigkeit - das gilt für so gut wie jedes Alter.
Die Lern-Überforderung liegt mehr in der allgegenwärtigen Verfügbarkeit der unterschiedlichsten Themen, Meinungen und Aspekte, global, über Kulturkreise hinweg. Das Aussortieren von wichtigen und weniger wichtigen Informationen war immer schon ein Schlüssel des zielgerichteten Lernens und des Zurechtkommens im Leben, der nur durch Vorbildwirkung von Eltern und Erziehungsberechtigten erreicht werden kann. Das Internet als nicht versiegendes Füllhorn geballter Informationen macht diese Herausforderung lediglich immanenter und unmittelbarer. Aber nur, weil wir es jetzt viel klarer vor Augen haben, wie komplex unsere Welt ist, heißt es nicht, dass sie es im vordigitalen Zeitalter nicht auch schon war.
Keine Angst
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twentytwenty
Das Zukunftssymposion Twenty.Twenty beschäftigt sich in seiner vierten Ausgabe mit dem Thema "Allgemeinbildung 2020".
Die Veranstaltung dazu findet am 14. April in Wien statt, los geht's um 18h30.
Das Web als gefährliche Informationsbestie, die immer online und damit nicht zu bändigen ist, ist zahmer und harmloser als manche Autor/innen in ihren leicht verzweifelten Analysen glauben. Nur, weil Informationen und in weiterer Folge Wissen gerade neu produziert wird und sich Nachrichten durch schnelle Multiplikation via Web flächendeckender ausbreiten als mittels der "alten" Medien (Print und elektronisch), sind sie nicht automatisch umfangreicher und schwieriger zu handhaben. Im Gegenteil: Wer bereits gelernt hat, zu sortieren und priorisieren, ist via Internet schneller am aktuellen Stand als der klassische Journalist und Vielleser mit den fünf Tageszeitungsabos und dem Altpapier-Chaos in Wohnung und Redaktion.
Schwieriger ist es da schon mit dem tiefgreifenden, analytischen Wissen, denn das ist - im Gegensatz zum leicht abrufbaren, lexikalischen Faktenwissen - eben meist nicht bzw. nur lückenhaft in der derzeit so gerne abgefeierten Datenwolke zu finden, sondern vielfach weiterhin in Büchern, Zeitschriften und analogen Tonträgern aufgehoben. Alte und langsame Medien sind manchmal eben auch beständiger.