Erstellt am: 10. 4. 2011 - 22:41 Uhr
Fußball-Journal '11-29.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch das neue Jahr wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Heute mit der Feier der einjährigen Wiederkehr eines Fußball-Spieles in Estoril, Portugal. Dem Land, das wahrscheinlich drei der acht Europacup-Semifinalisten stellen wird.
Es war Samstag, der 10. April 2010. In Österreich hatte es 10 Grad, an der portugiesischen Atlantik-Küste etwa 25. Und trotz des Windes fühlte sich das heiß an, mediterran halt.
Beides, die um halb fünf am Nachmittag immer noch recht fleißig runterstechende Sonne und der dann doch immer wieder leise Kühle heraufbringende Wind, brachten sich immer wieder in Erinnerung, an diesem Tag bei meinem Aufstieg in das kleine Provinz-Stadion in Estoril.
Estoril, das spricht man so aus: „Schtorill“. Ja kein „E“ sagen, wenn du verstanden werden willst. Auch beim wunderschönen Stadtteil in Lissabon, Estrela. Sag „Schtrella“ dazu.
ilargi_ unter CC-Lizenz - http://www.flickr.com/photos/ilargi_/4032426019
Estoril ist ein klassischer Fluchtpunkt der Lissabonner, einer der Badeorte, die an der Küste aufgefädelt liegen, wenn man den Tejo, an dem die portugiesische Hauptstadt liegt, verlässt und wirkliches Meer vor sich sieht. Meer, das spürt man in Lissabon jede Sekunde lang, das dahinter Verlockungen und ferne Reiche bereithält. Afrika im Süden, und Amerika im Westen. Cascais, das noch dazu über einen malerischen Hafen verfügt, liegt gleich nebenan.
„Schtorill“ - Strand, Rennwagen, Casino ... und Fußball
Estoril ist sowas wie der fleischgewordene Traum eines Herrenmagazins.
Es gibt einen Strand, also die Aussicht auf Beach Beauties.
Es gibt eine klassische Rennstrecke mit haufenweisem 70er-Flair. Ayrton Senna gewann auf den an den Circuit de Catalunya in Barcelona erinnernden Kurs sein erstes Rennen, im Regen.
Und es gibt das Casino, das nicht erst seit dem James-Bond-Einsatz für Casino Royale ein internationaler Hotspot. Das Casino war mit die Inspiration für den Beginn von Ian Flemings „007“.
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Am Casino musst du nicht vorbei, wenn du das kleine Stadion im Hinterland der kleinen Stadt besuchst. Ich hab‘s trotzdem getan, obwohl sich der Umweg nicht lohnt; vor allem nicht, wenn man sich danach leicht verirrt.
Als ich, durchaus ein paar Minuten zu spät, mein Ticket bei der ausgesprochen fließend englisch sprechenden Dame an der Kassa kaufe, jault die kleine Menge gerade auf. Das Heim-Team hat sich ein Tor eingefangen.
Kellerduell in der Liga der Ehre
Das ist doppelt und dreifach bitter.
Zum einen, weil GD Estoril-Praia eh keine gute Saison in der 2. Liga, der Liga de Honra, spielt.
Zum anderen, weil der Gegner, AD Carregado, der durchaus abgeschlagene Tabellenletzte ist.
Und zum dritten, weil die Kommentare der Handvoll Die-Hard-Fans der Mannschaft sich nur in einer Richtung interpretieren lassen: Sie trauen ihrem Team aktuell kaum etwas zu. Nicht dass ich portugiesisch sprechen würde, ich kann einen Kaffee bestellen und mich notdürftig mit französischen Brocken verständigen, aber die Sprache des fußballerischen Fatalismus ist international.
Immerhin, nur ein paar Minuten nach dem Geächze gibt es dann Jubel: Einer von den kleinen Stürmern bei Estoril hat einen der vielen recht ineffektiven Angriffe erfolgreich abgeschlossen. Calé steht auf seinem Trikot, nein, er ist eher nicht so der John-Cale-Typ. Später werde ich nachschauen und lernen, dass er Élton Calé heißt, Brasilianer ist, von einem kleinen Club in der Provinz Sao Paolo kam. Vor Ort, auf dem Platz lerne ich, dass Calé gemeinsam mit seinem Landsmann Lulinha sowas wie der Hoffnungsträger des Vereins in der Krise ist.
Calé, Lulinha, Moacir und die anderen
Estoril spielt eine Art 4-2-4, mit zwei Flügelspielern, die sich wie Wiesel festbohren in der gegnerischen Abwehr. Dass diese geballte Angriffskraft (dazu kommen noch der Brasilianer Moacir und der Kameruner Jeremie Njock) doch nichts erbringt, das ist am ehesten mit einer schon fast lustvoll wirkenden Freude am Vernudeln des letzten Passes zu erklären.
Hinten sieht Estoril auch alles andere als sicher aus. Der erfahrene Tormann Paulo Santos stand zwar einmal im Nationalteam, strahlt aber auch keine Ruhe aus. Nur der rechte Verteidiger, der Kapitän Marco Silva treibt immer wieder an. Zentral macht Jardel, aber vor allem Tiago Conceição keine gute Figur - er muss auch raus in der 2. Halbzeit und Ismaily, der trotz seines Namens und seiner Spielweise kein Ägypter, sondern ebenfalls Brasilianer ist, rückt zurück in die Abwehr.
Das alles, und auch die finale Hereinnahme eines von den Fans durchaus mit Vorschusslorbeeren beklatschten amerikanischen Stürmers namens Tony Taylor, nützt nichts. Estoril kann das Tor des Gegners nicht mehr gefährden - die Halbchancen bleiben ungezählt, auch die schwächer werdende Sonne und der säuselnder werdende Wind nützen nichts. Es bleibt beim 1:1.
Fußball-Fado: das Unentschieden der Verlierer
Dieses Unentschieden kennt nur Verlierer. Dem hoffnungslosen Team aus Carregado nützt dieses Lebenszeichen, der Auswärts-Punkt, nichts. Und für Estoril bedeutet es, dass sie tiefer in den Abstiegs-Sumpf hineingeraten.
Von den restlichen vier Meisterschaftsspielen gewinnt Estoril nur eines - es reicht mit Ach und Krach. Trainer Neca wird gefeuert und ist seither arbeitslos.
Bis auf den nimmermüden Kapitän Marco Silva, João Coimbra und Tony Taylor ist keiner der damaligen Akteure bei einem runderneuerten Estoril, das heuer eine deutlich bessere Saison spielt.
Der unglückliche Tiago Conceição ist in den Amateurbereich abgestürzt. Ein paar sind weiter in der Liga de Honra, aber bei anderen Vereinen: Ângelo Varela bei Fatima, Jeremie Njock bei Arouca.
Einige der Brasilianer sind von ihren Clubs zurückgeholt worden - das ist im transatlantischen Verkehr zwischen Portugal und Brasilien durchaus üblich: Moacir spielt bei Botafogo Sao Paolo in der Serie B der Campeonato Brasileiro, und Lulinha ist in Bahia in der Serie A geparkt worden; und zwar von den großen Corinthians.
Einer von 517
Einige haben sich in die Superliga verbessert und geben so Zeugnis davon, dass an diesem April-Nachmittag in Estoril gute Einzelspieler auf dem Rasen standen, aber eben keine Mannschaft: Tormann Paulo Santos ist bei Rio Ave, Ismaily bei Sporting Olhanense, Verteidiger Jardel gar bei Benfica und spielt dort auch. Manuel Curto ist bei Naval 1º de Maio gelandet und Luiz Alberto und Élton Calé haben es zu Belenenses, dem dritten Hauptstadt-Club geschafft, und spielen jetzt in einem Stadion, das - von außen betrachtet - vielleicht das schönste der Welt ist, direkt am Meer, inmitten der pittoresken Altstadt von Belem.
Aber das wäre wieder eine andere Geschichte. Eine die anders riecht, mehr Wind hätte und ein wenig kühler wäre, jackenträchtig. Und eine, die eine Klasse höher spielen würde, und mehr als 517 Zuschauer hätte, und womöglich umfassender gecovert wäre als das 1:1 von GD Estoril-Praia - AD Carregado. Das war am nächsten Tag selbst A Bola nur ein kleines Gsatzl wert und braucht meine Erinnerungsarbeit deutlich dringender. Außerdem weiß ich noch, dass ich diesen Tag mit einem leichten Sonnenbrand beendet habe.