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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

10. 4. 2011 - 16:06

Good bye, Tacheles

Eine Million Euro für die ehemaligen Bewohner des Kulturzentrums in Berlin Mitte

Berlin hat so viel Probleme: Soziale Probleme, städtebauliche Probleme, Finanzprobleme. Und die Regierung – der Berliner Senat – macht eigentlich fast immer alles falsch. Er verstrickt sich in krumme Geschäfte, verfängt sich im Filz der Bauindustrie und verkauft stadteigene Grundstücke zu billig. Wenn in Berlin mal etwas Gutes entsteht, so wie die einmalige Berliner Clubkultur, dann legt der Senat der Sache garantiert erst einmal Steine in den Weg und braucht Ewigkeiten, bis er einsieht, was alle anderen längst wissen, dass die Club- und Alternativkultur der Stadt ihr großer Reichtum und auch ein Anziehungspunkt für Menschen aus aller Welt ist.

Tacheles

Christiane Rösinger

Das war das Tacheles. Die Gastrobetriebe im Ergeschoß, haben sich den Abschied mit einer Million versüßen lassen.

Wie immer könnte aber auch alles viel schlimmer sein, in anderen glatteren Städten, wie Frankfurt oder München, kann man von Berliner Zuständen nur träumen.

Seit den wilden Neunzigern haben in Berlin-Mitte immerhin einige Besetzer-Projekte überlebt. Eines davon, das Kunsthaus Tacheles in der Oranienburger Straße, steht jetzt aber wohl endgültig vor dem Aus – und wenige Berliner sind deshalb besonders traurig.

Tacheles Hinteransicht

Claudine LAYRE

Hinteransicht des Tacheles von 1992

Denn das Tacheles steht in der Oranienburger Straße, und die ist mit ihren Sehenswürdigkeiten – Synagoge, Postfuhramt, Tacheles und Straßenstrich – zu einer reinen Touristenmeile verkommen. Sie gilt als Synonym für den Zerfall einer gewachsenen Ausgeh-Gegend und steht für Berliner Anti-Flair.

Kreuzberg für Touristen

Abend für Abend ziehen Hundertschaften von Besuchern durch die Straße, betrinkt sich die Jugend der westlichen Welt in geführten Pub Crawl-Touren, blockieren Sightseeing-Fahrradgruppen und andere Funbike-Vehikel die Straßen. Sämtliche Ladengeschäfte mussten in den letzten Jahren den Touristen- Restaurants weichen, und der Berliner meidet diese Straße seit Langem.

Stiegenhaus

Christiane Rösinger

vorbildlich graffitiziertes Treppenhaus

Nur das Tacheles blieb 21 Jahre lang, stellte in dem imposanten Gebäude aus der Kaiserzeit seine Schrottskulpturen aus, öffnete seine graffitiverziertes Treppenhaus für die Berlinbesucher und bewirtete die Touris in seinen Bars und Cafés.

Tausende Künstler haben in diesen 21 Jahren Ateliers in den vier Meter hohen Räumen betrieben. Mehr als zehn Millionen Besucher aus aller Welt haben in dieser Zeit das Tacheles besucht.

Untereinander aber sind die Tacheles Leute seit Jahren zerstritten, gespalten in eine Gastro-und ein Künstlergruppe giften sie sich gegeneinander an , stellen sich gegenseitig das Wasser ab. 1998 kaufte eine Immobiliengruppe das ruinöse Gebäude, es fand sich aber kein Investor, die Gruppe ging halb pleite, eine Bank sprang ein.

Bürgermeister Wowereit – gleichzeitig Kultursenator – will auch heute noch für den Erhalt des Hauses kämpfen, aber allgemein ist man der Tacheles-Zänkereien doch müde geworden. Man hat nicht einmal mehr Lust, die Nachrichten zu verfolgen.

Letzte Woche sollte es eine Zwangsversteigerung geben, die wurde kurzfristig wieder abgesagt, weil nun die Gastro-Fraktion des Hauses gegen Bezahlung von einer Million Euro freiwillig ausgezogen war und die Schlüssel übergeben hat.

Man habe Tränen in den Augen gehabt, so ein Sprecher der Gruppe, aber keine Kraft mehr, das Haus zu halten.

Tacheles Neubau Plan

Robert A.M. Stern

Robert A.M. Sterns wenig vorbildlicher Plan für ein weiteres sinnloses Wohn-und Geschäftshaus an Stelle des Tacheles.

Kreuzberg-Disneyparks?

Es werden wohl Freudentränen gewesen sein, eine Million ist ein schönes Sümmschen und vielleicht ging es den Café-Betreibern so den wie dem Rest Berlins: Man ist des Tacheles überdrüssig, interessante Dinge finden längst woanders statt. Einerseits. Andererseits: Hier wurden die Touristen wenigstens zusammen gehalten und konzentriert. Was passiert wenn an Stelle des Kunst-Hauses weitere sinnlose Bürogebäude und Einkaufspassagen entstehen, kommen dann nicht noch mehr Lebensgefühl- Graffiti-Streetart- Beobachter ins eh schon tourigeplagte Kreuzberg?

Vielleicht sollte man mal die ganze Stadtplanung neu überdenken. Vielleicht könnte man das verranzte Kunsthaus einfach abbauen und mit Hilfe der zwangsversöhnten Gastro- und Künstlergruppe auf dem stillgelegte Flughafen Tempelhof wieder aufbauen? Das Tacheles als Hauptattraktion innerhalb eines Kreuzberg-Disneyparks mit besetzten Häusern, illegalen Kellerclubs, inszenierten Räumungen, Dönerromantik, Wasserwerfereinsatz, historischen Mauerhappenings, multikulturellem Späti-Trubel, crazy Art-Spaces, Straßenmusik, Hippie-Sit-Ins auf Brücken über künstlich angelegte Kanäle?