Erstellt am: 10. 4. 2011 - 13:12 Uhr
Fight Club
Wenn Rocky in den Ring steigt, dann fiebern auch Menschen mit, die noch nie einen Boxkampf im Fernsehen gesehen haben. Wenn jetzt Mark Wahlberg in "The Fighter" rechte Haken verteilt, dann trifft er damit auch Sportverweigerer wie meine Wenigkeit. Und zwar mitten ins Herz.
Boxerfilme bringen im besten Fall in körperlich spürbarer Weise die klassischen Hollywood-Botschaften auf den Punkt. Und das handelt immer vom Einsteckenkönnen, vom Austeilen, vom Durchhalten und Niemalsaufgeben.
You can make it, baby
Kein Wunder also, dass das Kino den Boxsport liebt. Bevor Sylvester Stallone in den siebziger Jahren den zerknautschten Italoamerikaner Rocky Balboa zur Leinwand-Ikone machte, tummelten sich bereits etliche Boxer in Melodramen und düsteren Noir-Thrillern. "The Set Up" ("Ring frei für Stoker Thompson", 1949) ist etwa ein persönlicher Favorit meinerseits, ein dunkles B-Picture von Robert Wise, in dem ein idealistischer Boxer von mafiösen Machenschaften verschluckt wird.
Die lakonische Absturzballade "Fat City" des großen John Huston und Martin Scorseses Meisterwerk "Raging Bull" ("Wie ein wilder Stier"), das sind Filme über Verlierer und Gebrochene, die nur im Ring noch einmal kurz aufleben. Nicht der jeweilige Gegner, sondern die Existenz wird darin zum Feind, das Schicksal verteilt heftige Faustschläge ins Gesicht und in die Magengrube.
Im grandiosen "The Wrestler" tauscht Darren Aronofsky zwar das Boxen gegen das Freistilringen, aber er treibt die Tragik auf die Spitze und lässt einen malträtiert aus dem Kinosaal taumeln.
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Den Antihelden mit der gebrochenen Nase stehen aber ebenso viele Heroen gegenüber. Mit seinem Dackelblick und dem unerschütterlichen Willen wird Rocky zum Vorbild ganzer Generationen. Fünf Filme lang prügelt er sich durch oftmals extrem trashige Szenarien, die sechste und letzte Runde wird dann zum absurden, aber durchaus rührenden Schwanengesang, in dem Stallone seine Figur ein letztes Mal zu den Boxhandschuhen greifen lässt.
Heldenhaft schlagen sich auch die eher nicht so zahlreichen Frauen im Boxerfilmgenre. Im packenden Indiedrama "Girlfight" wird Michelle Rodriguez zum Rolemodel junger, tougher Frauen. Auch Clint Eastwoods "Million Dollar Baby" erzählt von weiblicher Stärke, bis der Regisseur seine Geschichte in einer Flut von Tränen erstickt.
Jeder kann es schaffen, betet uns der Regisseur vor dem grausamen Ende in etlichen Szenen vor. Jeder, der wie die Protagonistin Maggie (Oscar gekrönt: Hilary Swank) in seiner Bruchbude immer wieder die Groschen zählt, sich von weggeworfenen Schnitzelresten ernährt und nur fest an den Erfolg glaubt. You can make it, baby.
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Sozialkitsch in allen Ausformungen gehört grundsätzlich zu den kämpferischen Kinoerfolgen. Der Weg aus dem Ghetto an die Spitze führt über gebrochene Knochen. Neben fiktiven Figuren richtet die Kamera dabei ihren Blick immer wieder auch auf reale Idole des Rings.
In "Raging Bull" zeigt Scorsese atemberaubend den Aufstieg und Fall des Jake La Motta, Robert de Niro liefert eine der intensivsten Darstellungen seiner Karriere. In "Ali" folgt der eigentlich stets für Überraschungen gute Michael Mann den Spuren des einzigartigen Muhammed Ali auf relativ konventionelle Weise. Auch die Dokus "Rumble In The Jungle" und "When We Were Kings" kreisen um das Boxgenie.
Bei weitem nicht so bekannt ist die Geschichte von "Irish" Micky Ward und Dicky Eklund, zwei höchst ungleichen Halbbrüdern aus dem heruntergekommenen US-Städtchen Lowell, Massachusetts. Ersterer ein zurückhaltender Straßenarbeiter, der von einem Erfolg als Profiboxer träumt, der andere sein völlig manischer Trainer, der selber nach kleineren Erfolgen wieder in der Gosse gelandet ist.
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Straight und solide
"The Fighter" lebt von einer ganz speziellen Ambivalenz. An der Oberfläche bedient der Film sämtliche Klischees des Boxerkinos, gleichzeitig versucht er ihnen doch zu entkommen, ihnen einen anderen Dreh zu geben, sie behutsam zu unterwandern.
Es ist eine Story innerfamiliärer Konflikte und sozialer Hürden, aber ohne zu tief in den Working-Class-Schmalztopf zu greifen. Die Tristesse des White-Trash-Milieus ist allgegenwärtig; aber auch jede Menge befreiender Humor. Und es geht auch, weit mehr als in "The Wrestler" oder "Raging Bull", um die Glorifizierung von sportlichem Ehrgeiz und Durchhaltevermögen, aber ohne das Pathos eines Sylvester Stallone.
Vor allem ist "The Fighter" fesselndes Schauspielerkino. Auf der linken Seite des Rings tänzelt der sympathische Mark Wahlberg, der den Film in jahrelanger Mühe auch auf die Beine stellte, als gutmütiger Mickey. Auf der rechten Seite gestikuliert ein völlig entfesselter Christian Bale als cracksüchtiger Dicky und kidnappt mit seinem Wahnsinn beinahe den Film. Melissa Leo brilliert als Übermutter und Managerin auf subtilere Weise, ihre Figur meint man auch von Bushaltestellen in Wien, Favoriten oder Grazer Vorstadtcafés zu kennen.
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Ausgerechnet David O. Russell, der spätestens seit "I Heart Huckabees" als einer der Regieexzentriker des US-Indiekinos gilt, hat einen bewusst schlichten, straighten, soliden Film gemacht. Und davon gibt es dieser Tage ohnehin viel zu wenige.
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