Erstellt am: 9. 4. 2011 - 20:47 Uhr
Journal 2011. Eintrag 72.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag als Anregungs- und Denkfutter, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich das ganze Jahr über Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einer schönen Metapher für die Tapaisierung unseres aktuellen Medien-Verhaltens, die von den Medien selber (fälschlicherweise) auch bereits als ihre einzige Aufgabe begriffen wird.
Der FAZ-Feuilletonist Marcus Jauer vergleicht in seinem ebendort am Samstag, 9.4.11 erschienenen kleinen Essay mit dem irreführenden Titel Dioxin! die Problematik der umfassenden medialen Darstellung aller Welt-Geschehnisse mit der berühmten Schaltkonferenz der deutschen Bundesliga. Die diversen ARD-Landesanstalten schalten sich am Samstagnachmittag zusammen und übertragen live aus den Stadien - immer mit dem Fokus dort, wo gerade etwas passiert. Das Abo-TV hat dieses Format übernommen.
Und natürlich kennen das die Älteren unter uns auch aus Österreich: Sport und Musik im Ö3-Radio, "Achtung, Achtung!"-plärrende Reporter, die sich aus "Hütteldorf", der "Gruam", der "Südstadt" oder von der "Gugl" meldeten und mit aufgeregter Sprache womöglich öde Spiele zu Erlebnisse gemacht haben.
Das Problem, dass mittlerweile "global media" die gesamten Weltgeschehnisse in einer Art Dauer-Konferenz abbilden, sagt Jauer, ist nicht die Tatsache, dass die Fußball-Konferenz nach dem Schlusspfiff vorbei ist, und die globale Welt-Konferenz niemals Pause hat. Das Problem wäre vielmehr, "dass man bei keinem Tor, das fällt, erfährt, wie es genau entstanden ist, genauso wenig wie man erfährt, was im Anschluss geschieht, es sei denn, es fällt im Anschluss noch ein Tor."
Wertlose Highlights im Echtzeit-Alarm
Weil sonst nämlich weitergeschaltet, weitergeklickt wird.
Ägypten, Guttenberg, Fukushima, Libyen, Lobbyisten, Abidjan, Euro-Rettungsschirm, Ortstafeln... es geht wohl nicht mehr nur um die berühmte Sau, die durchs globale Dorf getrieben wird und halt jeden Tag eine andere ist. Jauer versteht das (neue) Problem dieses (nicht neuen) Rezeptionsverhaltens darin, dass man den Trugschluss erlegen, ist die Torszenen allein würden für das Verstehen des Spiels genügen.
Zum Thema Inszenierung des TV-Sports: hier eine interessante Dissertation zum Thema.
Das ist ja eine alte These von mir. Spielzusammenfassungen sind komplett wertlos, sofern sie nicht von einem wirklichen Experten durchgeführt wurden (und das sind 95% der Sportreporter nun einmal nicht): Und zwar weil die Aneinanderreihung von Torszenen, also Highlights nichts bedeutet. Den Spielverlauf verstehen kann nur der, der sich mit dem Spiel beschäftigt, es verfolgt, die Spieler kennt, womöglich schon vergleichbare Spiele gesehen hat und auch über das Umfeld Bescheid weiß.
Es ist definitiv nicht Aufgabe des Publikums, das alles können und kennen zu müssen - sondern die der Medien. Die begnügen sich allerdings mittlerweile mit der Teilnahme an der global gleichartig inszenieren, alarmistischen Echtzeit-Schaltkonferenz, in der sich die aufgeregten Headlines in schöner hektischer Regelmäßigkeit verdrängen. Wenn etwas so lange aktuell bleibt, dass auch Mainstream-Media nicht um eine Vertiefung herumkommt, merkt man wie das System ächzt und die nächste Sau, den nächsten Gau herbeisehnt.
Vertiefungs-Verbot und Bad Consumerism
Denn Vertiefung, das sieht das System nicht vor. Teilweise wird die sogar gesetzlich verboten, auch in Demokratien, auch in Österreich.
Ich habe das Phänomen anhand eines ganz konkreten Beispiels erst kürzlich thematisiert. Auch hier wusste man nichts, außer dass ein Tor gefallen ist. Und das allein ist deutlich zu wenig.
Klarerweise sind die meisten Konsumenten Resultats-Fetischisten, wollen wissen, was sie wann und wo am günstigsten nehmen sollen um den optimalen Effekt zu erzielen. Damit haben sie sich drastisch an das Idealbild, das in den Management-Handbüchern rund um den Globus angepriesen wird, angenähert.
In beiden Fällen wird auf das Umfeld und den Kontext keine Rücksicht genommen. Und in beiden Fällen scheitert das System genau daran.
Bad Management scheitert ebenso an seiner Scheuklappigkeit und seiner Unfähigkeit über die nachhaltige Aufrechterhaltung von Systemen, von denen mehr als nur die Ich-AG oder die Interessen der kleinstmöglichen Einheit profitieren.
Bei Bad Consumerism passiert dasselbe. Wer sich immer nur mit Info-Happen abspeisen lässt und sich womöglich auch noch einbildet aufgrund dieser groben Kenntnis über kurze Flashes, die aufgeregt reportierten Tore eben, Zusammenhänge erkennen zu können, der ist gefickt. Und wird in seiner Abhängigkeit bestätigt.
Der Tapaisierung der Welt per Schaltkonferenz
Das punktuelle Einzelwissen, das die aktuelle Tapaisierung der Medien-Kultur befördert, nützt niemandem etwas - es verbindet eine ständig näherrückende Welt auch nicht, im Gegenteil. Durch die Häppchen-Kultur rückt man wieder auseinander. Wo vormals die Anlass-Beschäftigung mit einem befremdlichen Geschehnis aus einer anderen Kultur noch Auslöser für intensive Beschäftigung sein konnte, wird heute in Minutenschnelle der Happen geliefert, mit dem man sich abspeisen lässt.
Jauer sieht das, die ständige Alarm-Bereitschaft, noch ein wenig apodiktischer: "Womöglich nutzen wir inzwischen eine andere Eigenschaft des Alarms, dass er nämlich alles andere, jeden komplizierten Zusammenhang, jedes moralische Problem und jede anstrengende Denkaufgabe für einen Moment ausblendet." Und der Moment, der würde im ewigen Alarmismus eben ewig dauern.
Das ist ein gutes Argument: Die Aufgeregtheit um alles, was so viel plastischer rundherum zu passieren scheint, (Resultat einer bunt-aufgeblasenen Oberfläche, mit der diese früher viel ferneren Ereignisse präsentiert werden) schlägt ja schnell in eine Art Betroffenheit um. Das jüngste Beispiel: Spenden für Japan. Und diese oberflächliche Co-Betroffenheit funktioniert als Ablenker vom Problem mit der eigenen Zivilgesellschaft natürlich hervorragend.
Die aufgeregten "Achtung Achtung!"-Schreie der Reporter, die Torszenen melden, kann ein guter Reinzieher sein, ein Neugierig-Macher. Wer sich weiter nur für die Highlights und nicht für das Spiel selber interessiert, sollte sich damit abfinden sein konsumistisches Leben als Häppchen/Schnäppchen-Jäger zu leben; als nützlicher Idiot im Schaltkonferenz-System.