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Rainer Springenschmid

Punk & Politik, Fußball & Feuilleton: Don't believe the hype!

8. 4. 2011 - 15:59

"Das ist ja nicht nur ein Problem für die Roma!"

Zum 40. Internationalen Roma-Tag: Ein Interview mit EU-Kommissarin Viviane Reding.

Seit einem Jahr ist die Viviane Reding Vizepräsidentin der EU-Kommission und zuständig für Justiz und Grundrechte. Eines der Hauptanliegen der Luxemburgerin ist die Verbesserung der Situation der geschätzten 10-12 Millionen EU-Bürger, die den verschiedenen Volksgruppen der Roma angehören.

Kurz vor dem 40. Internationalen Roma-Tag, hat Viviane Reding eine neue EU-Rahmenstrategie vorgelegt, die die soziale Situation der europäischen Roma in den Bereichen Bildung, Arbeit, Gesundheit und Wohnen endlich verbessern soll. Sie fordert von den Mitgliedsstaaten konkrete Maßnahmen und Strategien und will die auch überprüfen.

Rainer Springenschmid: Frau Reding, in vielen Gegenden Europas hat es in den letzten Monaten Ausschreitungen oder auch Maßnahmen von Regierungen, die gegen Roma und Fahrende gerichtet waren, gegeben. Ich denke da vor allem an Italien, Frankreich oder Ungarn, oder auch an das Bettelverbot in manchen Gegenden Österreichs. Man könnte fast den Eindruck haben, die Roma wären mitten in der europäischen Roma-Dekade als Feindbild wiederentdeckt worden. Teilen Sie diesen Eindruck?

Viviane Reding: Ich mache mir Sorgen. Man sieht ja, dass die Roma-Bevölkerung nicht richtig integriert ist. Und da geht es ja um 10 bis 12 Millionen Europäer. Ich mache mir insbesondere Sorgen, weil es sich da ja hauptsächlich um Kinder und Jugendliche handelt. Die Roma-Bevölkerung ist eine junge Bevölkerung, die ins Leben hineinschaut, die ins Leben hineinwächst, und die eigentlich nicht dieselben Perspektiven bekommt, wie die restlichen Bevölkerungen.

Viviane Reding

EPA

Sie haben letztes Jahr einen heftigen Disput mit der französischen Regierung über die Massenabschiebung rumänischer Roma gehabt. Haben Sie das Gefühl, dass diese Auseinandersetzung etwas bewirkt hat? Spüren Sie einen Bewusstseinswandel?

Jedenfalls steht die Roma-Problematik auf der Tagesordnung. Das war ja ein Tabu, das man vor sich hingeschoben hat, um nur ja nichts tun zu müssen. Das ist jetzt vorbei. Die Roma-Problematik zu verheimlichen, das geht seit vergangenem Sommer nicht mehr.

Was sind die Ziele der europäischen Roma-Strategie?

Wir werden zuerst einmal einen EU-Rahmen machen: Was ist das Problem, das wir überall mit der Roma-Bevölkerung haben? Das ist sehr oft ein Problem von Ausgrenzung und Armut und von Kindern, die nicht zur Schule gehen. Nur 42% der Roma-Kinder gehen zum Beispiel in die Primärschule. Also Sie sehen schon, da gibt es wirklich spezifische Fragen, die dann auch spezifisch gelöst werden müssen. Und wenn ich da sage "spezifisch gelöst", dann heißt das, dass Europa zwar den allgemeinen Rahmen festlegt, aber die nationalen Regierungen aktiv werden müssen. Und deshalb müssen sie auch in diesem Jahr eine Roma-Integrations-Strategie ausarbeiten, um die Probleme jeweils zuhause zu lösen. Wir werden uns das dann ansehen, wie das in der Praxis funktioniert.

Die Roma sind ja eigentlich der Inbegriff eines europäischen Volkes. Warum setzt die EU nicht selbst konkrete Ziele?

Wir setzen sehr konkrete Ziele. Und zwar vier Ziele: Zuerst in der Bildung, wo ich ja schon erklärt habe, dass die Roma-Kinder zur Hälfte nicht zur Schule gehen, und danach natürlich keinen Beruf erlernen können. Das ist schon das zweite Problem: Wir sehen, dass die Roma in der Arbeitswelt sehr wenig vorkommen. Das ist aber nicht nur ein Problem für die Roma, das ist auch ein Problem für die Mitgliedsstaaten. Die Weltbank hat ausgerechnet, dass, wenn die Roma in jenen Mitgliedsstaaten, wo es sehr viele gibt, am Arbeitsmarkt teilnehmen würden, dann würde das einen Mehrwert von 2 Milliarden Euro im Jahr bedeuten. Weil dann weniger Ausgaben im Sozialbereich nötig sind, aber eine größere Produktivität erreicht wird. Das dritte Ziel betrifft die Gesundheitsvorsorge und die Gesundheitsversorgung. In einigen Mitgliedsstaaten liegt zu Beispiel die Kindersterblichkeit bei den Roma sechsmal höher. Und dann - das ist das vierte Problem - geht es uns noch um den Zugang zu Wohnungsmöglichkeiten, die Versorgung mit Wasser und mit Elektrizität. Also: raus aus der Armut hinein in ein normales Leben.

Wie schnell geht das denn? Wann möchten Sie eine erste Zwischenbilanz ziehen und sagen können, dass sich die Situation der Roma spürbar verbessert hat?

Wir sagen klar: Hier sind die Möglichkeiten, die von europäischer Seite zur Verfügung stehen. Macht jetzt eure nationalen Strategien, wie ihr das Problem zuhause lösen wollt, und zwar bis Ende des Jahres. Und dann werden wir im Frühjahr 2012 kontrollieren, ob diese nationalen Strategien etwas bewirkt haben, ob sie in die Praxis umgesetzt wurden, und was wir zusammen noch unternehmen müssen, damit wir das Problem in den Griff bekommen. Also, es wird keine Eintagsfliege sein, sondern ein kontinuierliches Programm, das dann schaut, ob Fortschritte erreicht werden oder nicht. Denn wir machen uns da nichts vor: Dieses tiefgreifende, strukturelle Problem kann nicht von heute auf morgen gelöst werden. Aber wir müssen heute anfangen, damit morgen die heutigen Roma-Kinder als Erwachsene ein normales Leben leben können.

Der Eiserne Vorhang ist vor über zwanzig Jahren gefallen, die Länder mit einem besonders hohen Anteil an Roma-Bevölkerung sind auch schon seit sieben Jahren EU-Mitglieder. Warum ist die EU erst jetzt soweit, hier von den Mitgliedsländern konkrete Maßnahmen einzufordern?

Ich habe seit ungefähr einem Jahr die Zuständigkeit für Gleichberechtigungsfragen. Im April 2010 hatte ich eine Strategie vorgelegt, um die Roma besser in die Gesellschaft einzureihen. Die hatte ich damals auf der Roma-Plattform in Cordoba vorgestellt. Im Grunde genommen war das eine ministerielle Veranstaltung, da sollten also die zuständigen Minister aus den 27 Mitgliedsstaaten zugegen sein. Damals kamen gerade einmal drei Minister. Das sage ich nur, um zu zeigen, wieviel Gleichgültigkeit gegenüber dieser Problematik an den Tag gelegt wurde. Und zwar nicht nur in den sogenannten neuen, sondern auch in den sogenannten alten Mitgliedsstaaten. Da waren schon alle daran schuld, nichts getan zu haben. Ich hoffe, wenn diesmal die Minister zusammen treten, um den EU-Rahmen für nationale Roma-Strategien in Angriff zu nehmen, dass dann alle Staaten, alle Minister dabei sein werden.

Viviane Reding

EPA

Jetzt ist es ja so, dass in den letzten Jahren die Zahl der populistischen und nationalistischen Parteien in Regierungen eher steigt als sinkt. Das heißt, Menschen die zum Teil selbst rassistische Aussagen gegen Roma getätigt haben oder Politik dezidiert gegen Roma machen, sollen dann für die Umsetzung von Anti-Diskriminierungsmaßnahmen zuständig sein. Ist das nicht ein Problem?

Jeder, der in einer europäischen Regierung sitzt, hat die europäischen Verträge - und zu denen gehört die Charta der Grundrechte - in die Praxis umzusetzen. Es handelt sich hier um mindestens 10 Millionen europäische Bürger. Ich glaube, wir tragen hier alle eine Verantwortung. Ich weiß auch, dass das einfach gesagt und schwieriger getan ist. Aber ich glaube, diese gesellschaftliche Verantwortung, die insbesondere die Verantwortlichen in Gemeinderäten und Stadträten tragen, muss einfach unterstützt werden. Und allein die Tatsache, dass über Roma diskutiert wird, ist wichtig. Die Medien haben - übrigens sehr schöne - Reportagen gemacht: Über diese unsäglichen Zustände unter denen viele Roma leben müssen; über diese Diskriminierung, dass Kinder in den Schulen nicht aufgenommen werden; über diese schrecklichen Zustände, dass Jugendliche, die ja gerne etwas anderes tun würden als auf der Straße herumzulungern, dass die keine Chance bekommen, einen ordentlichen Beruf zu ergreifen. Damit muss Schluss sein, und da gilt es wirklich, einen Aufruck der Menschlichkeit durch die ganze europäische Bevölkerung zu bewirken. Man gewinnt keine Wahlkampagne, indem man die Roma-Problematik angeht, das sollte man wissen. Aber Politiker sind ja nicht nur dazu da, eine Wahl zu gewinnen. Sie sind auch dazu da um Probleme zu lösen und um etwas weiter zu sehen als bis zur eigenen Nasenspitze.