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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

8. 4. 2011 - 13:59

Musiklobbyistin wird EU-Urheberrechtschefin

Die designierte oberste Urheberrechtsjuristin der EU-Kommission, Maria Martin-Prat, war davor nicht nur fünf Jahre lang oberste Urheberrechtsjuristin der Musiklobby IFPI. Während ihrer gesamten Lobbyistenzeit war sie auch karenzierte EU-Beamtin.

Am Donnerstag trat die EU-Kommission zusammen, um die Ergebnisse einer öffentlichen Konsultation zur verschärften Durchsetzung des Urheberrechts zu sichten und zu diskutieren, deren Frist am 31. März abgelaufen ist.

Der dazugehörige Fragebogen der Konsultation liest sich streckenweise so, als wäre er von Lobbyisten der Unterhaltungsindustrie verfasst worden (siehe Box rechts). Es stammt aus jener Kommissionsabteilung, die Martin-Prat ab 16. April leiten wird.

Der Fragebogen

"Besteht Bedarf, dass private Computer durchsucht oder beschlagnahmt werden können, um Beweise für eine Urheberrechtsverletzung via Internet zu sichern?", heißt es in Punkt 3.3 des Questionnaires der Kommission. 5.3 behandelt ein mögliches Auskunftsrecht für die Medienkonzerne als "vorbeugende Maßnahme" und 6.2 stellt überhaupt infrage, ob "kommerzielles Ausmaß" als Voraussetzung noch zeitgemäß sei bzw. nicht überhaupt wegfallen könne.

Der Versuch, die steckengebliebene Richtlinie IPRED2 (Intellectual Property Rights Enforcement Directive) wieder in Gang zu bringen, geht damit in seine nächste Phase. Diese umstrittene Richtlinie soll IPRED1 ergänzen, mit der seit 2004 die zivilrechtlichen Maßnahmen gegen "Produktfälschung und Piraterie" verschärft wurden.

Strafrecht gegen Filesharer

IPRED2 definiert den strafrechtlichen Rahmen etwa für den Vertrieb gefälschter Medikamente und Luxuswaren, also Delikte, die in den Bereich des organisierten Verbrechens fallen. Bei Urheberrechtsverletzungen beginnt das Strafrecht erst dann zu greifen, wenn kommerzielle Interessen nachgewiesen werden können.

Deshalb versuchen die Interessensvertreter der Unterhaltungsindustrie seit Jahren, die mehrheitlich sehr jungen Tauschbörsenbenutzer in die Nähe schwerer Kriminalität zu bringen. IPRED2 war in Folge daran gescheitert, dass mehrere Mitgliedsstaaten darauf bestanden, mit dem vollen Katalog des Strafrechts gegen private Tauschbörsenbenützer vorzugehen.

Werdegang einer Toplobbyistin

Eine zentrale Rolle beim Treffen der Kommission am Donnerstag spielte die neue Referatsleiterin der Urheberrechtsabteilung in der Generaldirektion Binnenmarkt, Maria Martin-Prat, die am 16. April ihren Posten offiziell antreten wird.

Bedeutend ist das insofern, als Frau Martin-Prat fünf Jahre lang für die mithin wichtigste Lobbying-Organisation der Unterhaltungsindustrie in Topposition tätig war, nämlich für die International Federation of the Phonographic Industry (IFPI). Von 1995 bis 1997 arbeitete Martin-Prat bereits für eben diese Abteilung, der sie nun vorsteht, bei der Kommission, danach hatte sie in der Abteilung "Medien und E-Commerce" zu tun.

Für Lobbyismus karenzierte Beamtin

1999 wechselte sie zur IFPI als Direktorin für internationale Rechtsangelegenheiten und blieb das bis Ende 2004. In diese fünf Jahre fallen die Massenklagen der IFPI gegen Filesharer vor allem in den USA - ebenso wie die Verabschiedung der EU-Richtlinie IPRED1, in der das zivilrechtliche Vorgehen gegen Tauschbörsenbenutzer verschärft wurde.

Die IFPI hatte bis zur Verabschiedung von IPRED1 am 11. März 2004 nichts unversucht gelassen, Filesharer auch strafrechtlich verfolgen zu können. Die gesamte Zeit über, während die IFPI Kommission und Parlament in ihrem Sinne zu beeinflussen versuchte, war Maria Martin-Prat aber nicht nur IFPI-Direktorin, sondern auch Angestellte der Kommission.

Der erste Hinweis auf diesen Sachverhalt kam vom (generell empfehlenswerten) Blog Netzpolitik.org

Rückkehr ins Beamtentum

Wie aus dem Büro von Binnenmarktkommissar Michel Barnier auf Anfrage von ORF.at am Donnerstagabend bestätigt wurde, war Frau Martin-Prat während ihrer gesamte IFPI-Zeit von der Kommission lediglich karenziert, wenngleich ohne Bezüge.

Ab August 2004 war Martin-Prat, in deren Lobbyistenzeit noch die weltweite IFPI-Kampagne "Raubkopierer sind Verbrecher" fällt, dann wieder in bezahlten Positionen für die EU-Kommission aktiv. Zuerst wirkte sie im Finanzbereich, danach wieder im Bereich Binnenmarkt.

"Völlig normal"

In der EU-Kommission findet man es "völlig normal, dass Beamte auch etwas praktische Erfahrung auf dem Gebiet erwerben, für das sie zuständig sind". So heißt es wörtlich in der Beantwortung der Anfrage von ORF.at durch die Pressestelle von Kommissar Barnier.

Und weiters: "Es ist nicht fair, anzunehmen, dass Maria Martin-Prat befangen ist, weil sie in einem Abschnitt ihres Arbeitslebens das Beamtendasein mit einer Tätigkeit in der Industrie getauscht hat."

Schwierige Spurensuche

Die offenbar einzige Konferenz, in der Martin-Prat als IFPI-Direktorin für Rechtsangelegenheiten öffentlich in Erscheinung getreten ist, war an der Columbia Law School 2001.

Interessanterweise hat Martin-Prat fast keine Spuren im Netz hinterlassen. Alle in diesem Artikel erwähnten Daten aus ihrem Lebenslauf sind im Internet nicht auffindbar.

Die einzige offizielle Kurzbiografie, die aufscheint, erwähnt Martin-Prats fünf Jahre als Spitzenlobbyistin nur am Rande. Öffentlichen Veranstaltungen wie Konferenzen ging sie offenbar konsequent aus dem Weg, mit einer belegten Ausnahme.

"Den rechtlichen Rahmen verbessern"

Bei der Konferenz "Adjuncts and Alternatives to Copyright" an der Columbia Law School im Jahr 2001 wird Martin-Prats Funktion so beschrieben: "Die Rechtsabteilung des IFPI beschäftigt sich damit, den rechtlichen Rahmen, in dem die Unterhaltungsindustrie ('recording industry') operiert, zu definieren und verbessern."

Bei der 5. e-Government-Konferenz auf Ministerebene im November 2009 war Maria Martin-Prat als Leiterin des Units E1im Bereich Binnenmarkt ausgewiesen. In der dazugehörigen Kurzbiografie wird ihre langjährige Lobbyistentätigkeit für die IFPI als karenzierte EU-Beamtin mit keinem Wort erwähnt.

Diese Jobdefinition von 2001 passt exakt auf die nunmehrige Tätigkeit der designierten Direktorin für Urheberrechtsangelegenheiten in der EU-Kommission.

Einmal Lobby und zurück

Während sie bei der Genese der Richtlinie IPRED1 als IFPI-Lobbyistin versucht hatte, "den rechtlichen Rahmen für die Unterhaltungsindustrie zu definieren und zu verbessern", tut sie dasselbe nun für die Kommission in Sachen IPRED2.

Ein Kernbereich ihrer neuen Aufgabe ist es zum Beispiel, die Eingaben der verschiedenen Lobbys und Interessensvertretern zu sichten, abzuwägen und zu bewerten.

Die Stellungnahmen zu IPRED2

Genau darum ging es auch beim Treffen der Kommission am Donnerstag, denn da wurden die die Stellungnahmen zu IPRED2 diskutiert.

Darunter sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch solche der Unterhaltungslobby, deren Argumente die nunmehrige oberste Urheberrechtsjuristin der Kommission gegen die Argumente aus dem Telekomsektor, und jene von Konsumenten- und Datenschützern abwägen muss.

Der neue Posten Martin-Prats ist im Direktorat D der Kommission ("Wissenbasierte Ökonomie") angesiedelt, der Unit D3 hat die Bezeichnung "Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte".

Warten auf die Veröffentlichung

Genaueres lässt sich freilich erst dann darüber ѕagen, wenn sich die Kommission entschließt, die Eingaben zu veröffentlichen, was bis jetzt nicht geschehen ist.

Eine weitere Anfrage von ORF.at über die Details von Martin-Prats Tätigkeit für die Kommission direkt nach ihrer Rückkehr von der Musiklobby blieb bis zum Redaktionsschluss dieses Artikels unbeantwortet.