Erstellt am: 7. 4. 2011 - 21:39 Uhr
Journal 2011. Eintrag 71.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag als Anregungs- und Denkfutter, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich das ganze Jahr über Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit ein paar Beispielen von Musikern, die sich aktuell politisch engagieren. Beispiele, die von unerwartet über dubios bis erschreckend daherkommen.
Wirkliches politisches Engagement von Künstlern findet sich nur in gesellschaftspolitischen Notstandsgebieten.
Wer sich in einem vergleichsweise liberalen, freigeistigen oder sozial ausgewogenen Kontext bewegt, kann vielleicht eine bestimmte Facette propagieren, eine Teilöffentlichkeit bekannter machen oder Lichterketten entfachen - ins Herz des politischen Engagements, das die vollständige Auflösung des Künstler-Egos bedingt, wird dieser Typus nie vorstoßen können.
Ist auch besser so: Einzelne Parteien oder Politiker zu empfehlen (wir erinnern uns an viele brave Britpopper, die sich deutlich zu Tony Blair bekannten...) kann in großer Peinlichkeit enden; ebenso wie Single-Interest-Vorstöße. Wolfgang Ambros etwa wollte einstmals (ganz ernsthaft) eine Anti-Steuer-Partei begründen, was nur an seiner eigenen Bewegungslosigkeit scheiterte.
Die, die sich wirklich engagieren (Willy Resetarits, der selige Georg Danzer) taten das im Rahmen von NGOs - was natürlich eine politische Wirkung hat, sich aber eben nicht ins Herz der Auseinandersetzung trifft. So wie die CSSR-Dissidenten: Vaclav Havel wurde vom Dichter, Stücke- und Charta-Schreiber zum Staatspräsidenten, auch weil er und seinesgleichen die einzigen waren, die sich jahrzehntelang gegen die Unterdrückung zur Wehr setzten.
Je schlimmer die Zustände, desto mehr steht der Künstler unter Zugzwang, wenn er/sie eine gesellschaftliche Agenda hat und glaubwürdig sein will.
Dr. Alban sagt: "Hello Africa, tell me how you're doin'!"
Klar, der Mann ist Schwede. Dr. Alban. Und Zahnarzt. Und 80er-Eurodisco-King mit “It's my life”, “No Coke”, “Look Who's Talking”, “Sing Hallelujah”. Und „Hello Afrika“, dem ersten Hit mit Leila K. Läuft heute noch rund in der Eighties-Disco, der ironischen Selbstbedienungs-Plattenkiste aller aktuellen Hipster-DJs, von Marflow bis Just.
Die erste Gesangs-Zeile von Hello Afrika geht so: "Hello Nigeria! That's my motherland." Von dort kam Alban Uzoma Nwapa im Alter von 23 nach Schweden, wo er heute noch lebt.
Wenn er nicht in Nigeria ist und Wahlkampf betreibt. Und zwar dafür, wählen zu gehen. Dafür macht Alban sich mit seiner Foundation, der DAAF, der Dr. Alban Awareness Foundation stark. Kein Promo-Scherz, sondern völliger Ernst: "Voter education and awareness campaign towards the general election in Nigeria 2011".
Diese Präsidentenwahl findet am 9. April, also am Samstag statt. Und Albans Kampagne zielt einzig und allein drauf ab, die Menschen dazu zu bringen ihre Stimme abzugeben. "Ich will dass wir starke demokratische Institutionen haben; wie in Europa", sagt er und betrieb Wählerbildung vor Ort mit Handouts und T-Shirt-Verteilung und via Internet und via TV-Spots. Um die zu finanzieren, tingelt Dr. Alban durch Europas Discos und singt die alten Hadern.
Nigeria ist nominell eine Demokratie, eine präsidiale Republik, aber eine von Korruption und ethnischen Konflikten in alle Richtungen durchzogene.
Albans Ziel für die Zeit nach den Wahlen: eine neue Immunitätsregelung, um gegen korrupte Mandatare vorgehen zu können. Albans DAAF ist also irgendwie eine NGO, die auf Wahlberatung und Demokratisierung spezialisiert ist; und ihre Kraft über populäres Lobbying bezieht.
Eigentlich, denke ich, wären Initiativen wie diese Sache der alten und neuen Kolonial-Mächte, der Briten, der EU, der USA und auch der UN: Förderprojekte zur politischen Bildung. Dass ein Musikus im Glitzerdress sich nicht zu blöd und schade ist für diesen Job, den ja irgendjemand tun muss, das rührt mein Herz an.
Alpha Blondy ist verzweifelt
In diesen Tagen rückt Seydou Koné seine Sonnenbrille noch dichter an die tiefgezogene Kappe und wirft die Rastalocken nach vorne. Er wird ungern angesprochen. Nicht auf seine Person und schon gar nicht auf das, was in seinem Land passiert. Koné ist als Alpha Blondy der vielleicht größte Reggae-Star Afrikas. Und er ist Ivoirer.
Sein Land, die Côte d'Ivoire, hierzulande gern altmodisch die Elfenbeinküste genannt, befindet sich in einem grotesk internationalisierten Bürgerkrieg. Der eigentlich abgewählte Präsident Gbagbo weigert sich die Macht an den bei den letzten Wahlen bestätigten neuen Mann Alassana Ouattara abzugeben. Die internationale Staatengemeinschaft unter der lechzend kriegslüsternen Führung der neokolonialmacht-fantasiegeschwängerten französischen Außenpolitik der Marke Sarkozy, die - wie auch in Libyen - der Ablenkung von den inneren Schwierigkeiten dient, trägt ebenso zur Verwirrung der Lage bei wie die tiefen Gräben der politischen und ethnischen Spannungen im Land. Dazu kommt auch noch die Einmischung der Nachbarn Angola, die Gbagbo stützten.
Alles eh schon schwer genug zu durchblicken.
Alphy Blondy, der Superstar, ist kein unpolitischer Akteur. Er hat mit den Wailers gearbeitet, alte jamaikanische Schule, und er hat oft genug in seinen Stücken die neuen afrikanischen "Demokraturen" gegeißelt. Er ist seit 2005 UN-"Ambassador of Peace" für sein Land.
Blondy hat im Juni der Vorjahres, als endlich die international strikt beobachteten Wahlen stattfanden, ein riesiges Friedens-Konzert gespielt, das als Symbol für die neue Einheit, für diesen politischen Neubeginn der Côte d'Ivoire stehen sollte.
Blondy entstammt einer islamischen Familie aus dem Norden, trotzdem hat er lange Gbagbo, einen Christen aus dem Süden unterstützt. Und er blieb pro Gbagbo, als sich der alte Präsident im November weigerte, dem neuen zu weichen. Outtara stünde für "Francafrique", für diesen Neo-Kolonialismus durch die Hintertür.
Aber genauso wenig traut Blondy den Vermittlungsversuchen der Organisation afrikanischer Staaten (CFA): "Das sind keine Demokraten; die können unsere Probleme nicht regeln".
All diese Konfliktlinien teilen das Land und auch die Bevölkerung. So ein Konzert wie im Vorjahr, sagt Alpha Blondy, könnte ich heute nicht mehr geben - die Menschen würden sich umbringen.
Und er, der lange, wohl zu lange Gbagbo unterstützt hat, ehe er erkannt hat, dass es besser wäre, sich rauszuhalten, ist nicht mehr die Integrationsfigur früherer Tage. Die Politik, sagt er in einem Interview mit der Liberation, zerfetzt dieses Land; es ist zum Weinen. Die Politik, das sind aber alle. Auch vormalige Unterstützer und Standpunkt-Bezieher wie Alpha Blondy. Aus der Nummer wird er länger nicht rauskommen, ganz egal wie sich die Lage entwickelt. Denn die Gräben werden bleiben, und der Superstar läuft Gefahr in einen hineinzufallen.
Sweet Micky, Präsident Tet Kale
Wyclef Jean hatten sie die lange Nase gezeigt. Hauptwohnsitz in den USA, aber sich in der alten Heimat wichtigmachen? Sicher nicht.
So gesehen ist ein anderer Musiker in die Bresche gesprungen - und hat es tatsächlich geschafft. Noch nicht offiziell, die Resultate kommen erst am 16. April - aber zum Sieger wurde er bereits erklärt: Michel Joseph Martelly ist der neue Präsident des gebeutelten halben Inselstaats Haiti.
Martelly war schon vorher Präsident, der "President of Compas", einer von ihm quasi erfundenen haitianisch-kreolischen Tanzmusik. Und ja, das klingt und sieht genauso aus wie man es sich vorstellt: happypepi-touristisch. Sweet Micky hat sich damit aber durchaus auch in die Herzen der Massen gesungen und sein Geld dann nicht nur in Bars und Nightlife investiert sondern eine Stiftung gegründet und sich systematisch politisch eingemischt. In der Bewegung gegen den mehrmaligen Präsidenten Aristide schärfte der süße Micky, der aufgrund seiner Glatze auch Tet Kale genannt wird, sein Profil. Und, wie in Haiti durchaus üblich, haben Volkstribunen, die einiges Versprechen, großen und schnellen Zulauf. Die Wahl gewann er mit 68%, der Kampf gegen Armut und für Bildung und Wiederaufbau spiegelte sich auch in den professionell gemachten Wahlkampf-Videos wider.
Dass Micky seinen Wahlkampf in kreolischer Sprache bestritt anstatt das Oberklassen-Französisch zu verwenden, brachte ihm zusätzliche Sympathiepunkte.
Alles super, oder?
Seltsamerweise wollen sowohl der schon wieder zurückgekehrte Aristide als auch Baby Doc Duvalier, der Diktator, dessen Sippe Haiti vor Aristide Jahrzehnte im Würgegriff hielt, Tet Kale unterstützen. Journalisten, die ihm das oder dubiose Geschäftsbeziehungen zu mächtigen Militärs vorwerfen, bedroht er schon einmal. Sweet Micky wäre nicht der erste haitianische Volkstribun, der zum Despoten versumpft. Da kann er noch so viel Musikalität in sich tragen.