Erstellt am: 7. 4. 2011 - 12:52 Uhr
Bass in da Place
Wieso kriegen meine geliebten Arbeitskollegen immer Lachkrämpfe, wenn ich mich in Richtung von Veranstaltungen bewege, die etwas mit Natur oder Sport zu tun haben?
Fotos: Lukas Hollenstein
Diesmal Snowbombing. Heinz Reich, Veteran dieser Veranstaltung, schüttelt den Kopf. Natalie Brunner und Wintersport passen für ihn nicht zusammen.Und Recht hat er. Wenn ich in die temporäre England-Enklave Mayrhofen aufbreche, dann werden meine Aktivitäten deshalb auch ausschließlich nocturner Natur sein.
Ein für meinen momentanen Geschmackskosmos sensationelles Line Up britischer Clubmusik wird da seit Montag un noch bis Freitag im Zillertal für ein überwiegend britisches Partypublikum auf die Bühnen und hinter die Decks gebracht. Dienstag spielt Magnetic Man, das Großraum-Raveprojekt von Skream Benga und Artwork. Ich habe schon beim Erscheinen des Albums nicht so recht gewusst, wohin mit dieser Verschmelzung von Drum'n'Bass, Dubstap und - Igitt, ja -Trance. Da ich mich ungern von meinen Lieben "Ignorant" schimpfen lasse, die Fire oder Flying into Tokio brillant finden, ist es klar, ich muss dahin, um besser zu verstehen, warum ich Magnetic Man so überhaupt nicht vertrage.
Freitag Nachmittag bekomme ich ein Erinnerungsmail, ob ich Weichbirne eh im Focus habe, dass Magnetic Man am Dienstag spielt, nicht, dass ich dann am Donnerstag auftauche und mein Interview einfordere.
lukas hollenstein
Unter großen Qualen wälze ich mich Dienstag morgen aus dem Bett, um die Expedition zu starten. L. mein großer Freund und Fotograf hasst mich dafür und sitzt statisch bleich am Beifahrersitz. Sein Navi hasst mich auch und schickt mich über Bundesstraßen und den Nationalpark Hohe Tauern ins Zillertal. Bei der achten Kehre der Bergstraße wird mir schlecht. L. muss weiterfahren.
Vielleicht hat Heinz Reich doch recht, und ich sollte keine Berg-Expeditionen auf eigene Faust anzetteln. Als Beifahrerin geht’s mir besser. Ich check meine Mails. Hui, Magnetic Man hat auf mich vergessen, kein Interview. Ich kann die Natur genießen, die Bergstraßen, an deren Rand kleine Blümchen sprießen, bringen mich zum romantischen Schwelgen. L. faselt irgendwas von einer idealen Kulisse für einen Zombiefilm. Ich freu mich schon auf den Kontrast: mir britische, urbane, basslastige Clubmusik in frischer Bergluft, die manchmal nach Dung stinkt, vorspielen zu lassen und zum Chillout durch grüne Haiden zu wandeln. Mayerhofen begeistert mich, zu dem absurden Kontrastprogramm kommt eine dritte Komponente hinzu: die Locastions. Von 70er Jahre Disco bis hin zu Monarchie-Nostalgie-Kitsch-auf-hohem-Level-Hotels ist hier alles im Programm.
lukas hollenstein
Im Sissy-Themenpark Hotel treffe ich Miss Dynamite. Der Pianospieler klimpert loungig-flauschig vor sich hin, an den Hirschgeweihen hängen rote Plastikherzen und auf den holzvertäfelten, automatischen Schiebetüren sind irgendwelche Wappen aufgemalt.
lukas hollenstein
Miss Dynamite packt ihr Leben und das Hotel auch nicht so ganz. "Ich komm grad aus Jamaika und als ich auf dem Balkon stand und in diese Bergpanorama schaute dachte ich mir nur, damn my life is weird."
lukas hollenstein
Ich lasse ihr natürlich keine Verschnaufpause und hacke in Bad Cop Interviewmanier nach: Jamaika? Buisness or Pleasure? Es wird ja Zeit für ein eigenes Album.
Sie hat gerade massive Hits mit DJ Zinc...
... und Magnetic Man, schön und gut aber was ist mit der inhaltlichen Selbstverwirklichung. Schneller als ich Booo! sagen kann, wird das geschehen.
Welcher Producer, das will sie noch nicht verraten und von Dubstep, New Garage und Reggae alles wird im Programm sein.
Es ist 21.45, ich such den Ort an dem mein vorprogrammierter Held des Abends - Totally Enormous Extinct Dinosaurs - spielen wird.
Auf der Suche treffe ich Jungs in scheußlichen pinken Jacken, bereits im Liebestaumel, die mir "I Love you" ins Ohr schreihen, andere werfen ballartige Dinge auf meinen Kopf, Hulk Hogan und seine Posse sind auch da.
lukas hollenstein
Mich beschleicht der Verdacht, dass ich in irgendeiner Form blutend aus dieser Nacht gehen werde. L. stellt klar, dass im Fall von Konflikt unsere kleine toughe Unit sehr schnell von einem Wir zu einem Ich schrumpfen wird. Das Motto: "Jeder flüchtet für sich alleine". Typen, die "Event Steward" auf ihren Jacken stehen haben, stehen herum, sorgen dafür, dass keine Gegenstände in Richtung Kopf von irgendjemand fliegen und weisen mir den Weg zu Totally Enormous Extinct Dinosaurs.
lukas hollenstein
Er spielt im Keller eine Konfernztentrums, das fürs Snowbombing umfunktioniert wurde. Die Anlage ist so mächtig, dass L. meint, er kann keine Fotos machen wegen der Vibration des Bass und weil es ihm die Optik verzieht.
Ich bin EKH erporbt und mir ist das wurscht. Drei Minuten später hab ich Kopfweh. Totally Enormous Extinct Dinosaurs rockt einen Sommer of Love, im Jahr eins nach Hudson Mowhak Kinder Rave Geburtstagparty der Extraklasse. Sein Sounduniversum klingt so, als wäre er auf Field Recordings Expedition im Prater unterwegs gewesen, ein Rummelplatz, verfremdete Glocken, Claps, fette Wattebässe zum Reinkuscheln, Cut up Vocals und sehr schöne Harmonien.
Ich prophezeie Totally Enormous Extinct Dinosaurs eine kometenhafte Karriere, aber die prophezeie ich jedem, dessen Musik ich mag. Er selbst ist wie immer als Dinosaurier verkleidet und mit mächtigen Goldketten behängt. Seine Tänzerinnen haben ein Flinstones-Disco-Outfitt an, das so aussieht, als hätten sie einen Humana-Container gefladert. Gegen Ende seines Set geht ihm das eigene Material aus und er spielt Breakcore Samba Mutationen und auch alte Rave Nummern. Als das Licht angeht, fühle ich mich wie in der "Don`t Sektion" des Vice Magazins. Dicke, schwitzende Mädchen haben sich als Kegel verkleidet und eine Gruppe von Wahnsinnigen hat sich schwarze Paste ins Gesicht geschmiert und Afro Perücken aufgesetzt. Ich frage einen der Typen, warum und wieso und er meint, er wollte sich als der kolumbianische Fußballspieler Carlos Valderrama verkleiden und seine Freunde meinten es sei ok, but now I feel so wrong.
lukas hollenstein
Nächster Stop: Magnetic Man im Racket Club. Ich komme durch den Hintereingang, eine holzvertäfelte Bauerstube und bin völlig fassunglos, als ich die Stiegen runtergehe und mitten in einer sicher mehrere tausend Menschen fassenden Halle bin.
lukas hollenstein
Mistajam, einer der nettesten Typen des Universums, spielt Grime, jawohl, neuen wiederauferstandenen, gut produzierten Grime und mehrere tausend Typen gehen dazu ab. Ich bin glücklich will nur mehr sowas hören und L. bemerkt, dass es wohl mehr Gestalten wie mich braucht, um das geschätzte 7:1-Mann-Frau Verhältnis in Richtung Ausgewogenheit zu bringen. Ein Typ, nennen wir ihn mal ein gutes Argument gegen XTC, fängt an, L. zu knuddeln, während Heavy von Chase & Status gemeinsam mit Dizzee läuft. Ton und Intention passen nicht zusammen, wir flüchten. Magnetic Man fängt an.
Martialischer Bombast droht mich zu erdrücken. Es ist sehr dark, der Sound zerrt, es gibt keinerlei Nuancen, der MC brüllt, eine Energie, die ich von D'n'B-Parties kenne. Nennen wir es mal ein Gemetzel, denn die Dynamik eines Sets fehlt. Ich gebe auch auf, ich scheitere, ich kann mit Magentic Man nicht das Geringste anfangen. (Wünsche, Anträge, Beschwerden bitte ins Forum)
Miss Dynamite spielt zeitgleich mit Magnetic Man in einem Club. Man merkt, sie ist in dieser Umgebung zu Hause und nicht auf den großen Festivalbühnen, wo ich sie letztes Jahr einmal scheitern sah. MC Dynamite ist die vielseitigste und beste MC, die ich jemals gesehen habe. Druckvoll, perfekt im Timing in stimmlicher Höchstform.
lukas hollenstein
Auch sie spielt Fire, die Nummer, die ich 30 Minuten zuvor in der seelenlosen Großraumrave-Version von Magnetic Man gehört habe. Es liegen Universen dazwischen, kulturell, gefühlsmäßig und musikalisch. Ich werde immer den kleinen schwitzigen Club der Tennishalle vorzeihen. Die Leute können alle Texte und zum ersten Mal erlebe ich es, dass das Mikro ins Publikum gehalten wird und die Crowd weiterrappt.
Was für ein Hit: Redlight .feat Ms Dynamite "What you talking about!?"
Nach ihrem Set wird Jungle-Legende Shy FX auf das Dubstep/Grime Wunderkind Joker treffen. Ich wanke erschöpft ins Hotel. Die Stadt wirkt wie eine Kulisse. Der Abend war großartig, das Snowbombing hat mich völlig überzeugt.
Eigentlich schade, dass hier englische Acts für ein zu 99% englisches Publikum spielen. Wenn ich mich für dreimal Ausgehen im Jahr entscheiden müsste: das Snowbombing wäre dabei.