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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

6. 4. 2011 - 21:06

Journal 2011. Eintrag 70.

Diplomatische Idiotät. Wie ein 'Hitman' wie Moussa Koussa tagelang als Held gefeiert werden konnte.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag als Anregungs- und Denkfutter, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich das ganze Jahr über Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit der Frage, wie es möglich sein kann, dass Moussa Koussa der Welt tagelang als heldenhaft rebellischer libyscher Außenminister präsentiert wird, ehe sich die Medien dann endlich, eher widerwillig, mit seiner Rolle als Chef-Folterer beschäftigen.

Dass das auch damit zu tun hat, dass wir, die Konsumenten uns viel zu leicht von Schlagzeilen-Schlagobers ablenken lassen, versteht sich.

Moussa Koussa hat zwei Vorteile: einen lässigen Namen, der einem klangvoll über die Lippen geht. Und zum anderen die Fähigkeit der großen Opportunisten vom Schlage eines Fouche - sich zum bestmöglichen Zeitpunkt auf die Seite der Sieger zu schlagen.

Das bestätigten auch die Schlagzeilen, die Moussa Koussa letzte Woche machte: er, der libysche Außenminister, setzte sich in London ab. Was für ein politischer Schachzug, welch diplomatischer Eklat! Ist das Gaddafi-Regime damit endgültig erledigt?
Atemlos zerkaute die Weltpresse diese Tat, und wie immer, wenn ein Mann, den davor nur Insider kannten, in den Focus globalen Interesses gerät, zuckten die Headlines auf: "Vom Agentenlenker zum Dissidenten!"
Das Koussa nämlich lange Jahre der Geheimdienst-Chef der Gaddafi-Herrschaft war, das spuckten die Archive durchaus aus - und wenn sich so einer vom Chef abwendet - dan n muss das ein wahrhafter Dissident sein, oder?

Nach und nach, in den nächsten Tagen, in denen Libyen immer noch Thema ist, träufelt dann Information nach. Kousse wäre auch der "Vater von Lockerbie" gewesen, also mitverantwortlich für die Planung dieses doch durch und durch widerlichen Anschlags und seiner genauos grauslichen diplomatischen Nachwehen, die schließlich in einer auch irgendwie widerwärtigen Beschlagzahlung endete, mit der sich Gaddafi freikaufen wollte, um sich beim Westen einzuschleimen, wieder einmal.

Der Nägelzieher, der Gesandte des Todes

Mousse sei auch als "Gesandter des Todes" bekannt, heißt es dann - kein Wunder, als Geheimdienstchef. Das alles ficht aber die durch das globale Mediendorf getriebene Person nicht an: er bleibt der Außenminister, der sich was getraut hat.

Wer ein bißchen hinter diese Veröffentlichungen schaut, findet Erzählungen von Koussa als "Nägelzieher", als obersten Folterknecht. Und der nicht namentlich zitierte junge Libyer aus dem Establishment, den der Independent-Reporter für seine am Montag erschienene Reportage aus Tripolis traf, sagt es deutlich: "He had a bad record. He is a hitman."

Moussa Koussa, der Mann mit dem lustigen Namen, der wie was Superfeines zum Essen klingt, und der coolen "ich setz mich vom blöden Gaddafi ab"-Tat, ist also ein ganz normaler Mörder, ein Geheimdienst-Schlächter, wie er im Buche steht.

Und jeder, der jemals etwas über Libyen wusste, konnte und kann das bestätigen.
Wie zum Teufel kann es passieren, dass dieser Killer der Weltöffentlichkeit tagelang als veritabler Politiker, teilweise auch als "mutiger Dissident" vorgeführt wurde? Warum übernimmt jede nationale Teilöffentlichkeit ungeprüft oberflächlichle Agenturmeldungen ohne dass die einzelenen außenpolitischen Redakteure sich zumindest kurz selber über den Mann schlau machen. Wenn man über ihn nix in Wikileaks findet - dann wird es doch wohl andere Info-Quellen geben.

Der Vater von Lockerbie, der Hitman

Es gibt mehrere Antworten auf diese Frage: die eine hat wieder mit der schon gestern und auch vorgestern besprochenen Zeitökonomie des aktuellen Journalismus zu tun, aber das ist keine Ausrede.
Die zweite Antwort lässt sich auch aus etwas unlängst hier Veröffentlichtem erlesen, indirekt. In diesem Protokoll eines Pressebriefings der deutschen Regierung zu außenpolitischen Themen sind die fast noch feudal, in jedem Fall aber durchaus höfisch zu nennenden Rituale, nach denen Außenpolitik/Diplomatie ablaufen, nachzuempfinden. Da sind Vorsichtl und Rücksichtl König, da werden Formulierungen behutsam abgewogen, da darf keine falsche Betonung stören. So funktioniert die Welt der Diplomatie und mit ihr die Welt der außenpolitischen Journalismus: voller Indirektheit und an Feigheit gemahnender Vorsicht. Und das färbt auf die art der Berichterstattung ab: ein Außenminister, jössasna, olala!

Dass ein Amt oder ein Titel nicht dafür da sein können, die Person dahinter wegzublenden, vor allem, wenn sich deren Biografie deutlich über die Interessen des Landes/Amtes schiebt, sollte eigentlich klar sein, Kern des journalistischen Auftrags - letztlich auch Kern des diplomatischen Dienstes. Die Wikileaks-Depeschen vom Winter deuteten ja an, dass zumindest die US-Diplomatie sich intern durchaus in der Lage sieht ein Gfrastsackl als solches zu bezeichnen, egal ob es Außenminister, Vizekanzler oder Vizekönig ist.

Politisches Lobbying gegen kritische Auseinandersetzung

Daran schließt der dritte Hauptgrund an: es ist nicht opportun, ausländische Amtsträger mit Fragen oder Infos zu ihrer Person zu behelligen; nicht nur politisch und diplomatisch, sondern auch wirtschaftlich. Weshalb Regierungen und andere Verantwortungsträger (im Fall Libyen und Österreich etwa war das eine starke Lobby, Kärnten und die FPÖ) die Medien gern dran erinnern, dass eine kritische Auseinandersetzung mit diesen eventuellen Wirtschaftspartnern als störend, vielleicht sogar als Insubordination verstanden werden würde, die man womöglich sogar geheimdienstlich untersuchen lassen könnte.

Zu diesem indirekten Einfluss der Politik auf die Medien kommt noch der verlegerische: denn auch die sind gerne und oft mit Wirtschafts-Unternehmen verflochten, deren Interessen auch berührt werden könnten.

Jetzt, wo Gaddafi, der jahrzehntelang von einer großen Koalition aus Politik, Wirtschaft und Medien beschönigend als Irrer, aber als irgendwie lustiger Irrer, der noch dazu über sein Söhnchen und andere Investoren auch viel Geld in Österreich lassen würde, beschrieben wurde, international ausgeschissen hat, geht sich ein Bashing wieder aus. Plötzlich schreien auch jene Pfui! die vorher Bussi! gerufen hatten.

Und genau diesen Mechanismus (im großen, internationalen Maßstab) nützt Herr Moussa Koussa aktuell ganz clever aus. Er, der hitman, wird da vergleichsweise unbehelligt rauskommen. Die libysche Opposition in Europa will ihn zwar nicht, aber irgendein lässiger Job, vielleicht in der Sicherheits-Branche - Folterknechte sind imme rgefragt - wird schion herausschauen.

Außenpolitischer Journalismus und diplomatische Idiotät

Bei ausländischen Politikern wird nur dann auf die Person dahinter geschaut wenn es politisch opportun ist - weil jemand ökonomisch nix beizutragen hat, womöglich Evo Morales-mäßig ausscheren will oder aus speziellen Interessenlagen heraus diffamiert werden muss.

Der Rest erhält vom außenpolitischen Journalismus des Westens diplomatische Immunität. Wer als Minister herumfliegt, ist sakrosankt. Auch ein Moussa Koussa.
Anschaulicher kann sich der Wurmfortsatz der verheuchelten Diplomatie, der noch heuchlerische diplomatische Journalismus nicht einer diplomatischen Idiotät schuldig machen.