Erstellt am: 6. 4. 2011 - 16:32 Uhr
"Beam me up, Toni!"
von Timo Abel
Juli 2010. Kaunertaler Gletscher. Tirol.
Touristenbusse, Motorradausflügler, kurze Hosen, Kinder. Und dazwischen: ein Marsmensch namens AOUDA. Der Tiroler Ulrich Luger ist einer der wenigen, der den Mars-Raumanzug tragen kann und darf. Er tappst - ein bisschen unbeholfen - über das Geröllfeld, am Weg zum sterilen Probenentnahmetest in der Gletscherspalte. Im Schlepptau hat er zwanzig WissenschaftlerInnen, via Satellitenschaltung ist er zur NASA verbunden, begleitet wird er von Kamerateams aus der ganzen Welt.
Die Aufgabenstellung an den AOUDA-Träger ist es, im klobigen Anzug Proben aus dem Eis zu entnehmen. Das ganze steril, denn sollte im Mars-Eis tatsächlich sowas wie ein Bakterium leben, dann sollte es sich, wenn geht, zurück auf der Erde nicht als Schnupfenvirus vom Marsonauten erweisen.
AOUDA ist der Prototyp eines Mars-Raumanzuges, der in Innsbruck für die NASA Marsmission, dem nächsten Großprojekt der bemannten Raumfahrt, entwickelt wird. In 20 bis 30 Jahren soll der erste Mensch auf den Mars steigen, eingepackt in Austro-High-Tech. "AOUDA ist salopp gesagt ein 45kg schweres Raumschiff zum Anziehen", so Entwicklungsleiter Gernot Grömer vom Österreichischen Weltraumforum (ÖWF).
"Man kann im Anzug essen, man kann aufs WC gehen, weiters haben wir uns überlegt, wie wir dem Anzugträger im Feld Gutes tun können. Vom USB Mikroskop über Sprach- und Gestiksteuerung ist alles verbaut. Da man im Raumanzug keine Maus bewegen kann, sind in den Fingern Beschleunigungssensoren eingebaut, mit denen man wie ein Dirigent den Cursor im Head-Up-Display steuern kann", so Grömer. "Der Anzug ist zwar erst eine Konzeptstudie, aber was auch immer dann auf dem Mars eingesetzt werden wird, wird sehr viele Parallelen und Ähnlichkeiten zu AOUDA haben."
Time Warp: Herbst 1943, Sagzahnschmiede, Kramsach, Tirol
Es pfeift. Ohrenbetäubend. Wie ein Kompressor beim Druckablassen. Immer zu Mittag. Dann knallt es auch wieder und keiner weiß, wo es herkommt. Vielleicht aus der Schmiede? Doch genau dahin lassen sie niemanden. Hunde, Patrouillen, hin und wieder eine Limousine aus Deutschland. Wissenschaftler. Wahrscheinlich. Am "Prüfstand Marmor" wird am entscheidenden Bauteil für das NASA Apolloprogramm, dem Triebwerk der Mondrakete geforscht. Aber das weiß natürlich noch keiner. Eigentlich plant man die ultimative Vernichtungswaffe. Propagandaname: "Vergeltungswaffe 2", Nazisprech: "V2".
Schon zu Beginn des Zweiten Weltkrieges gab es den Befehl an die technische Heeresversuchsanstalt in Peenemünde (auf der Ostseeinsel Usedom), eine Rakete zu entwickeln, die in der Lage war, eine Tonne Sprengstoff über 250 Kilometer zu schießen. Ein Unterfangen, das den Direktor der Anstalt, Wernher von Braun, ganz schön förderte.
Raketen auf London und Antwerpen sollten die Wende im Zweiten Weltkrieg bringen. Sie wären das Ass in Hitlers Ärmel gewesen. Daran hat Wernher von Braun gearbeitet. Nachdem die Alliierten jedoch Peenemünde ausgeforscht und bombardiert hatten, wurde die Forschungsarbeit ins Tiroler Unterland verlegt. In den noch geheimen "Prüfstand Marmor", so der Deckname der Sagzahnschmiede.
"Da am Boden sieht man noch die Gleisanlagen und die Drehscheibe". Der heutige Besitzer der Sagzahnschmiede, Hans Guggenberger, zeigt unter die Werkbank. "Hier wurden die Triebwerksteile aus den Jenbacher Heinkel-Werken in die Prüfboxen geschoben. Die Wissenschaftler gingen dann in den Nebenraum und von dort aus wurde die Zündung beobachtet." Auch die Sehschlitze gibt es noch. 15cm dickes Panzerglas im Lager der heutigen Kunstschmiede.
Verein Tirospace/Reiter
Die Triebwerke funktionierten und Wernher von Braun wurde zum heißbegehrten Kriegsjoker. In Rahmen der "Operation Overcast", bei der die Amerikaner sich 1945 das Können ausgesuchter deutscher Wissenschafter und Techniker sicherten, indem sie diese in die USA brachten, wechselte auch von Braun die Seiten. Mit im Gepäck: das erste Flüssigkeitsraketentriebwerk der Welt. Das wurde später nicht nur bei den Apollo Missionen eingesetzt, sondern auch heute noch in sämtlichen Trägerraketen.
Austro-Space: unendliche Weiten
Österreich spielt auch in der aktuellen Raumforschung eine überdurchschnittlich große Rolle. In den 1960er Jahren arbeitete Österreich schon an der Schaffung der Europäischen Raumfahrtagentur (COPERS), seit den 1970er Jahren ist Österreich an Programmen der European Space Agency (ESA) beteiligt. Grundlagenforschung im Bereich Plasmaphysik (Universität Innsbruck/Institut f. Theoretische Physik) oder Ionosphärenphysik (Universität Wien/Institut für Meteorologie und Geodynamik) haben Österreich zu einem interessanten Partner gemacht.
Dazu kommt die Lage, geographisch und politisch. "So wie Österreich Drehscheibe internationaler Geheimdienste im Kalten Krieg war, so schwingt heute immer noch mit, dass Österreich mit Russland, China und Amerika reden kann, ohne dass gleich Betriebsspionage im Raum schwebt", erklärt sich Astrophysiker Gernot Grömer (ÖWF) den regen Austausch auf österreichischem Boden. Er selbst war auch einziger Europäischer Teilnehmer der "Crew 11", beim internationalen Mars-Simulationsprogramm der NASA Mars Society 2002 in der Wüste von Utah.
Das Projekt AUSTROMIR, die sowjetisch-österreichische Kooperation, die letztendlich Austronaut Franz Viehböck ins All geschossen hat, zeigte, dass Österreich mit allen kann. Und will. Wenn es um die Forschung geht. Nicht ohne Grund hat auch die UNO ihr Weltraumbüro in Wien angesiedelt.
„Kein europäischer Satellit fliegt ohne Wärmeschutzfolien aus Österreich ins All“ (Gernot Grömer)
Österreich füllt Nischen. Wärmeschutzfolien für Satelliten. Geräte und Know-How im Bereich Geo-Exploration. Die Fallschirmöffnungs-Mechanik der Hygens-Sonde bei der Landung auf dem Sturn Mond "Titan". Weitere Puzzle Teile im Austro-Space.
April 2011. Rio Tinto. Spanien
AOUDA macht wieder einen Spaziergang. Diesmal durch die Wüste, in Spanien. Die nächste Mars-Simulation läuft dieser Tage an. Das International Mission Control Center wurde in Innsbruck installiert, und wieder gibt es Satellitenschaltungen zur NASA. Wieder begleiten Kamerateams aus aller Welt die tappsigen Schritte des Anzugtesters und wieder ist das alles mehr als nur ein kleiner Schritt in eine neue Welt.
ÖWF