Erstellt am: 6. 4. 2011 - 12:41 Uhr
Europas Flüchtlingspolitik
von Johannes Pollak
Johannes Pollak
Johannes Pollak ist Professor für Politikwissenschaft an der Webster University Vienna sowie Leiter der Abteilung Politikwissenschaften am Institut für Höhere Studien.
Fast 260.000 Menschen haben im Jahr 2010 in den 27 Mitgliedsländern der Europäischen Union aus religiösen oder politischen Gründen um Asyl angesucht. Viele davon in Frankreich und Italien. Frankreich wies 80% der Ansuchen zurück, Italien 60%. Diese hohe Ablehnungsrate korrespondiert mit der Haltung der europäischen Bevölkerung: Zwar befürwortet eine Mehrheit der Europäer Werte wie Offenheit und Liberalität, eine erschreckend große Zahl sieht jedoch Migration als Bedrohung.
Die gegenwärtige Lage in Nordafrika, welche die Flüchtlingszahlen ohne Zweifel erhöht – wer bleibt schon freiwillig in einem Kriegs- und Krisengebiet? – wirft einmal mehr die Frage nach einer europäischen Koordination der Flüchtlingsströme auf. Konnte man in den letzten Wochen den Eindruck gewinnen, dass sich Innenminister diverser EU-Mitgliedsländer darin gefielen, Italien für die Aufnahme der Flüchtlinge aus v.a. Libyen und Tunesien zu loben – und damit gleichzeitig jede eigene Verantwortung von sich zu weisen – warnen NGOs wie Ärzte ohne Grenzen vor den katastrophalen hygienischen Zuständen in den Auffanglagern auf Lampedusa. Der italienischen Innenminister Roberto Maroni – ein Mitglied der nicht gerade für ihre Freundlichkeit gegenüber Asylwerbern und Flüchtlingen bekannten Lega Nord – droht den EU Mitgliedsländern mit der Öffnung der innereuropäischen Grenzen für Flüchtlinge: Italien hätte nicht unbedingt ein Interesse daran, die Anwesenheit der Flüchtlinge in den Auffanglagern zu kontrollieren.
Nur mit Mühe überdecken solidarische Lippenbekenntnisse offensichtliche Interessengegensätze. Diese sind leicht auf einen Punkt gebracht: die südlichen EU Staaten erwarten Solidarität, sprich die Verteilung von Asylwerbenden und Flüchtlingen auf alle Mitgliedsländer, die nördlichen Staaten verschließen sich diesem Wunsch.
EPA
Kein gemeinsames Fremdenrecht
Europas derzeitig nur rudimentär vorhandene Asyl- und Flüchtlingspolitik besteht aus drei Säulen: rigoroser Grenzschutz, um illegale Einwanderung zu bekämpfen, die Verbesserung der Lebensstandards in den Entsendeländern und Regelung der Zuständigkeit für die Abwicklung von Asylanträgen. Was fehlt, ist ein gemeinsames Asyl- und Fremdenrecht, welches die Aufnahmebedingungen und –verfahren regelt. Laut der sogenannten Dublin-II Verordnung darf jeder Asylsuchende nur in einem EU-Mitgliedstaat Asyl beantragen. Zuständig ist dasjenige Land, in das die erste Einreise erfolgte. Bis die Prüfung des Antrags erledigt ist, muss der Asylwerber im betreffend Mitgliedstaat verbleiben. Und Mitgliedstaaten behandeln Asylsuchende ganz unterschiedlich, als negatives Beispiel kann Griechenland gelten. Jenseits von akuten Krisen ist der Landweg das bevorzugte Mittel der Einreise, insbesondere der Weg über Griechenland. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, ein Organ des Europarates, stellte im Januar 2011 fest, dass Flüchtlinge nicht mehr aus anderen EU-Staaten nach Griechenland abgeschoben werden dürfen, weil das Asylverfahren dort gegen die Menschenrechtskonvention verstößt. Mit anderen Worten: die Situation der Asylwerbenden und Flüchtlinge in Griechenland spottet jeder Menschenwürde.
Hinzu kommt, dass die Anerkennungsquoten von Land zu Land ganz unterschiedlich sind: die Anerkennungschance für einen irakischen Flüchtling variiert beispielsweise zwischen 2% und 71% - je nachdem, wo der Asylantrag gestellt wird. Wird ein Antrag ablehnend beschieden, so kann in keinem weiteren EU Land ein Zweitantrag gestellt werden. Was recht vernünftig klingt, übersieht die Schwierigkeit für viele Migranten, überhaupt einen Asylantrag stellen zu können. Einige EU-Mittelmeeranrainerstaaten fangen Flüchtlingsboote bereits auf hoher See ab und schicken Flüchtlinge entgegen internationalem Recht ohne Verfahren in ihre (oftmals nur vermuteten) Herkunftsländer zurück. Darüberhinaus bestehen bilaterale Rückführungsabkommen mit nordafrikanischen Staaten (so z.B. zwischen Libyen und Italien): Menschen, die aus oder über diese Länder versuchen, illegal in die EU einzureisen, können dorthin abgeschoben werden – ohne zeit- und geldraubendes Verfahren.
Auch im Fall von Krisen, welche einen sprunghaften Anstieg der Flüchtlingsströme bewirken, bleiben die EU-Länder auf sich allein gestellt. Zwar kann die Europäische Kommission Vorschläge zur solidarischen Verteilung der Flüchtlinge unterbreiten und finanzielle Nothilfe bereit stellen, die Entscheidung über die Aufnahme liegt jedoch bei den Mitgliedstaaten. Was aber, wenn das Einreiseland weder fähig noch willens ist, UNHCR-konforme Standards zu gewährleisten?
EPA
Gemeinsames Asylsystem bis 2012?
Geplant ist nun, bis 2012 ein gemeinsames europäisches Asylsystem zu schaffen. Die Grundlagen für ein solches System wurden bereits 1999 auf der Tagung des Europäischen Rates in Tampere formuliert und später im Haager Programm aus dem Jahr 2004 weitergeführt (heute Stockholmer Programm). Kernpunkt ist die Vereinheitlichung der Kriterien für die Asylgewährung, um damit auch Anerkennungsquoten (die z.B. in Deutschland höher sind als in Frankreich) zu harmonisieren. Darüberhinaus soll ein europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen eingerichtet werden, um die Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten zu erleichtern.
Italien, Spanien, Griechenland und Malta tragen die größte Last in Bezug auf Einwanderer aus dem Süden – eine Solidarität mit diesen Ländern besteht jedoch nicht, was wiederum zu Migrationsströmen innerhalb Europas führen kann. Frankreich sendet zur Zeit tunesische Flüchtlinge, die sich von Italien bis zur Grenze Frankreich durchgeschlagen haben, wieder nach Italien retour – und verletzt damit laut der EU Innenkommissarin Cecilia Malmström das Schengen-Abkommen, das eine Kontrolle der innereuropäischen Grenzen nur im Falle einer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit zulässt. Eine solche Bedrohung heute auszumachen fällt ebenso schwer, wie die vielbeschworene Solidarität zu sichten.
In FM4 Connected
Am Mittwoch, 6. April: Wir sprechen mit Herbert Langthaler über die Situation der Flüchtlinge im Mittelmeer und die Wahrscheinlichkeit einer gemeinsamen EU-Ayslpolitik
Mit dem geplanten europäischen Asylsystem wird dem langgehegten Wunsch der südlichen Länder nachgekommen, die "Last" an Flüchtlingen gerechter zu verteilen (wie auch im Art. 67 des Vertrags von Lissabon festgehalten). Die Einigung auf ein solches System war nur durch das Offenlassen der Details zu erzielen, denn Länder wie Österreich, Großbritannien, Schweden oder Deutschland lehnen eine strikte Quotenregelung aus Angst vor mehr Migranten ab. Resultat ist ein Flickenteppich aus unterschiedlichen Regelungen, die bei Bedarf recht dehnbar sind. Einig ist man sich lediglich darin, die Überwachung der europäischen Außengrenzen besser zu gewährleisten, u.a. mit Hilfe der Grenzschutzagentur FRONTEX, die die Zahl der grob geschätzten 500.000 bis 1 Million jährlich illegal in die Union Einreisenden verringern soll. Dafür standen zwischen 2005 und 2010 insgesamt 1,82 Milliarden Euro zu Verfügung. Für die Flüchtlingsbetreuung, Integration und freiwillige Repatriierung waren es im selben Zeitraum € 700 Millionen.