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Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

6. 4. 2011 - 11:35

Die Normalität des Unvorstellbaren

Jahr für Jahr sterben tausende afrikanische MigrantInnen und Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa. Autorin Maxi Obexer hat sich eine Geschichte darüber ausgedacht.

Darf man das? Darf man über Erfahrungen schreiben, die man selbst nie machen wird und Grausamkeiten erfinden, die anderen Menschen jeden Tag widerfahren? Darf man fremdes Leid und fremde Schicksale zu Romanseiten verwerten? Natürlich darf man das. Das gehört mit zum Wesen der Literatur, und es ist vielleicht sogar ihre Pflicht, aktuelle politische Probleme zu thematisieren, die wir sonst nur als Kurzmeldungen aus den Nachrichten kennen.

Autorin Maxi Obexer

Anja Müller

Maxi Obexer wurde 1970 in Brixen, Südtirol geboren. Sie ist freie Autorin von Theaterstücken, Hörspielen, Erzählungen und Essays. Zur Zeit ist sie Gastprofessorin für Szenisches Schreiben an der Universität der Künste in Berlin.

Dennoch mutet es eigenartig an, anmaßend fast, wenn eine gebürtige Südtirolerin, die normalerweise Bühnenstücke und theatertheoretische Essays verfasst, in die Rolle einer jungen Nigerianerin schlüpft und über deren Sehnsucht nach einem besseren Leben schreibt.
In "Wenn gefährliche Hunde lachen" macht sich die 20-jährige Helen auf die Reise nach Europa. Sie träumt von einem Journalismusstudium und steigt bepackt mit einem Bündel falscher Vorstellungen auf einen mit Leidgenossen überladenen Pick-up. Die Route wird zum Überlebenskampf. Schlepper setzen die Gruppe in der Sahara aus, gemeinsam mit ihrem Begleiter Ben geht Helen zu Fuß weiter und schafft es schließlich bis in die marokkanische Küstenstadt Tanger. Dort treibt Ben sie in die Prostitution, um ihrer beider Überfahrt nach Spanien zu finanzieren.

Europäische Fiktion

Obexer schildert Helens Trip in vielen kurzen Kapiteln, oftmals aufgebaut wie kleine Szenen. Dialoge und Rückblenden wechseln sich ab mit Briefen, die sie an ihre Familie schreibt. Darin beschönigt die junge Frau ihre Erfahrungen, macht sie erträglich, indem sie allen Strapazen und Demütigungen, dem Tod und der Verzweiflung, die ihr auf ihrem Weg begegnen, ihre Vision von Europa entgegen hält. Die lebensbedrohlichen Wetterverhältnisse in der Wüste werden zum poetischen Naturschauspiel, das Erdloch, in dem sie sich vor den Razzien der marokkanischen Polizei versteckt, zu ihrem eigenen Haus, und ihren Zuhälter macht sie gar zu ihrem persönlichen Schutzengel. Er gibt ja so gut auf sie Acht.

Diese Strategie des Selbstschutzes erscheint durchaus glaubwürdig. Obexer versucht auf diese Weise Helens Innenperspektive der oberflächlichen Wahrnehmung der meisten EuropäerInnen auf afrikanische Flüchtlinge und MigrantInnen entgegenzustellen. Wir sollen sie kennenlernen, ihre Motive verstehen, ihren Drang nach einem selbstbestimmten Leben erkennen.
Das gelingt der Autorin allerdings nur in Ansätzen. Helen bleibt, was sie nicht sein soll: eine Stellvertreterfigur, der Umriss einer Schablone. Naiv und hilflos. Ein Opfer. Ihre Gedanken und Briefe lesen sich eine Spur zu dichterisch, um einen ernsthaften Anspruch auf Authentizität stellen zu können, ihre gesprochenen Worte wiederum bleiben oft in Gemeinplätzen verhaftet. An keiner Stelle vergisst man, dass eine Europäerin sie ihr in den Mund legt. Alles in allem wirkt das Buch etwas künstlich.

Afrikanische Realität

Dabei ist die Autorin durchaus nicht uninformiert. Maxi Obexer kennt Nigeria von zwei mehrwöchigen Aufenthalten und hat mit Migrantinnen aus verschiedenen afrikanischen Ländern gesprochen. Deren Anekdoten hat sie teilweise unverändert übernommen. Anhand der Figur des Ben, der vom eritreischen Militär desertiert ist, beschreibt sie zum Beispiel wie die libyschen Behörden aus den Flüchtlingsströmen, die sie aus Europa fernhalten sollen, ihr lukratives Geschäft machen:

Die Schakale verlangten auch noch Geld dafür, dass sie uns zurückbrachten an die Grenze, also dorthin, wo wir gestartet waren. (...) Spätestens da hätte jeder kapiert, dass das alles untereinander abgesprochen war, die Fahrer, die uns nach Kufrah fuhren, die Soldaten, die uns dort empfingen und uns in den Kerker warfen, die Gefängniswärter, die uns an die Schmuggler verkauften, die Schmuggler, die uns freikauften und uns das Dreifache dafür abnahmen und so weiter.

Buchcover "Wenn gefährliche Hunde lachen" von Maxi Obexer

Folio Verlag

"Wenn gefährliche Hunde lachen" ist 2011 im Folio Verlag erschienen.

Die hässlichen Details werden in „Wenn gefährliche Hunde lachen“ nicht ausgespart. Gibt es kein Wasser, trinkt man Urin, die Sterbenden lässt man unterwegs einfach liegen, Hunger, Schläge und sexuellen Missbrauch nimmt man hin, solange man davon nicht wahnsinnig wird. Das passiert unschuldigen Menschen jeden Tag. Aber es wird ausgeblendet. Europa macht dicht, leistet sich eine effiziente Grenzschutzagentur und spart bei Auffanglagern und AsylantInnenheimen. Hüben wie drüben herrschen menschenunwürdige Zustände. Wer dennoch durchkommt, wird kriminalisiert, vom Arbeiten abgehalten und verkümmert durch völlige gesellschaftliche Gleichgültigkeit. Helens Beispiel zeigt diese Entwicklung im weiteren Verlauf des Buchs schön auf.

Wahrscheinlich ist Obexers fiktionaler Ansatz daher immer noch besser, als sich überhaupt nicht mit der Thematik auseinanderzusetzen. Die Schwierigkeit dafür eine angemessene Sprache zu finden, zeigt im Endeffekt nur, wie wenig wir EuropäerInnen uns solche Dinge vorstellen können, geschweige denn, wie wir damit umgehen sollen. Zurück bleibt eine dumpfe Ratlosigkeit:

Niemand, der als Mensch denkt, kann verstehen, dass hier Stunde für Stunde gestorben wird, tausendfach, Menschen, die nicht krank sind, sondern jung und stark, sie sterben dahin, während über ihnen die Flugzeuge dahin ziehen, in dieselbe Richtung, in der die anderen verenden. Das ist nicht zu erklären und es ist nicht zu verstehen und es wird niemals erklärbar und verstehbar sein.