Erstellt am: 5. 4. 2011 - 11:48 Uhr
Turkophobie für Anfänger
Als meinereiner vor mittlerweile doch schon ein paar Jahren in die Oberstufe kam, hatte ich die Wahl zwischen Italienisch, Spanisch und Französisch als zweite lebende Fremdsprache. Von anderen Schulen hörte man, dass dort sogar Russisch im Angebot wäre. Exotischer konnten wir uns das damals gar nicht vorstellen. Die Entscheidung fiel dann bei den meisten meiner Mitschüler und Mitschülerinnen nach Kriterien wie: "Ich will mal nach Mexiko auf Urlaub" oder "Es sprechen viel mehr Menschen auf der Welt Französisch als Italienisch". Ein großes Politikum war das alles nicht.
Wenn Türkisch ins Spiel kommt, schaut die Sache in Österreich da schon ganz anderes aus. Sobald bekannt wird, dass man im Bildungsministerium auch nur darüber nachdenkt, Schulen die Möglichkeit zu geben, als zweite lebende Fremdsprache auch Türkisch anzubieten, gehen die Wogen hoch.
Es ist scheinbar egal, ob auf irgendwelchen Milchpackerl "Süt" statt "Milch" steht, oder am türkischen Nationalfeiertag ein Wiener Radiosender mit eh vernachlässigbarem Wortanteil einen Teil der Moderationen für ein paar Stunden auf Türkisch sprechen lässt (um nur einige der Aufreger der letzten Monate zu nennen): Es geht vielen irgendwie zu weit.
Vor dem Denken kommt das Schreien
Beispiel 1: "Firmen beschriften ihre Produkte auf Türkisch, und schließlich will man die Türken auch noch vom Erlernen von Fremdsprachen befreien und sie in ihrer Muttersprache maturieren lassen", poltert der Generalsekretär der Freiheitlichen. Völlig ingorierend, dass die einzige verpflichtende Sprache in der maturiert werden muss immer schon Deutsch ist. Türkisch oder was anderes (außer den bisher wenigen klassischen Fremdsprachen) sprechende Menschen werden also bisher gezwungen, in mindestens zwei Fremdsprachen zu maturieren. Eine Bevorzugung im Sinne einer Befreiung kann ich da nicht wirklich sehen. Schlimmstenfall ein bisschen weniger Benachteiligung.
Beispiel 2: Die Bildungssprecherin des BZÖ ist - wenig überraschend - auch gegen Türkisch als zweite lebende Fremdsprache. Ihre Argumentation: "Kinder mit Migrationshintergrund müssen einmal die deutsche Sprache erlernen, bevor sie in die Schule gehen. Deutsch zu können, Deutsch zu sprechen und sich in dieser Sprache weiterbilden zu können, das müsste die grundlegende Aufgabe sein, die man auch in der Politik verfolgen muss." Ein möglicher Ansatz, aber eine glatte Themenverfehlung. Wer sich für Türkisch als zweite Lebende Fremdsprache entscheiden kann, hat es im österreichischen Schulsystem schon verhältnismäßig weit gebracht. Und - wir wiederholen - eine Türkisch-Matura bringt niemandem was, der bei einer Deutsch-Matura durchfällt. Kurz: Der oder die kann Deutsch.
Auch nicht unbedingt ganz im Kernbereich der Logik stehen einige Argumente der BefürworterInnen: Dass es für Nicht-deutschsprachig aufgewachsene Kinder wichtig ist, ihre "eigene" Sprache zu beherrschen, um Deutsch zu lernen, ist längst belegt und richtig. Allerdings geht es hier nicht um vier- bis zehnjährige Kinder, sondern um SchülerInnen zwischen zwölf und neunzehn. Auch da schadet ein gewisses Grundverständnis für Sprache natürlich in keinem anderen Bereich. Bei einem möglichen Maturafach Türkisch handelt es sich aber nicht um muttersprachlichen Unterricht in diesem Sinn.
In FM4 Connected
Wir diskutieren am 5. April ab 15 mit Gudrun Biffl, der Leiterin des Department Migration und Globalisierung, und Erkan Yildiran und Teoman Tiftik, zwei Redakteuren der Zeitschrift Biber über die Sinnhaftigkeit eines "Maturafachs Türkisch".
Dass ausgerechnet bei "Türkisch" alle normalen Argumente zum Erlernen einer Fremdsprache (wir erinnern uns: mehr Verständnis für andere Kulturen, aufgefetteter Lebenslauf, bessere Jobchancen, mehr Spaß im Urlaub) hintangestellt werden und alle so tun, als wär das ein neuer Schultyp für MigrantInnen, sollte uns zu denken geben. In Englisch maturieren ja auch nicht nur die Nachkommen Kaugummi kauender GIs und Italienisch-Matura ist nicht exklusiv für Pizzabäcker. Das ist ja alles auch durchaus ein bereicherndes Angebot an die einsprachig deutschsprachigen.