Erstellt am: 4. 4. 2011 - 21:25 Uhr
Journal 2011. Eintrag 68.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag als Anregungs- und Denkfutter, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich das ganze Jahr über Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einem Co-Plädoyer für das, was der Wiener Publizistik-Professor Fritz Hausjell Einschleich-Journalismus nennt - anhand eines aktuellen Beispiels aus der taz, die originellerweise andere Printemedien getäuscht hat, um die Schärfe der Trennung zwischen Redaktion und Anzeigenabteilung zu überprüfen.
Für Menschen wie mich, die es verpasst haben, war die Self-Promotion mit der der Wiener Publizistik-Professor Fritz Hausjell am Rande eines (langen, zerfaserten, teilweise verlogenen und ein bissl faden, dann aber in Momenten durchaus aufregenden) Mediengesprächs auf der Plattform Supertaalk (hier eine lesbare Kurzversion) auf sein jüngstes Plädoyer hingewiesen hat, durchaus nützlich.
Journalisten müssen täuschen dürfen heißt es und plädiert - im Gefolge der Sunday Times-Aufdeckung der Geschäfte des Ernst Strasser - für einen Journalismus detektivischen Ausmaßes. Mit Einschleichen, Täuschen, Irreführen, Mitschnitten, Undercover-Einsätzen, Wallraffschen Methoden.
Damit spricht Hausjell ein umstrittenes Thema an - vor allem der österreichische Journalismus hat mit diesem Zugang ein großes Problem. Hausjell erinnert an die Kontroverse rund um das durch Vortäuschung falscher Tatsachen erreichte erste Porträt des Kardinals Groer durch Susanne Riegler; die dafür von den Investigativ-Granden von Worm abwärts gekreuzigt wurde. Wegen dieser übergoßen Betulichkeit kam der Kardinal, der die Knaben so gern streichelte, erst viel später und viel zu spät ins mediale Schlaglicht.
Aktuell ist in Österreich nur noch der grausliche kleine Bruder des Undercover-Journalismus aktiv, der sich im Windschatten der Wega in kleinkriminelle Milieus einschleicht und dort die Sumpfblüten der Gesellschaft noch einmal demütigt. Eine Art Einschleich-Journalismus im Security-Milieu, ideal für die postdemokratische Gesellschaft, wenn erst einmal die Rechtspopulisten das Sagen haben.
Renaissance des ausgestorbenen Undercover-Reporters
Ansonsten betrachtet Hausjell den Undercover-Journalismus in Österreich als ausgestorben und fordert - angesichts der Deutlichkeit mit der der Fall Strasser durch seine Qualitäten ausgestellt war - seine Wiederkehr.
Das wird schwer. Denn zum einen gibt es von Verlagsseite kein wirkliches Interesse an Aufdeckungen, die zumeist ja zu Lasten potentiellen Anzeigenkunden gehen könnten - und zum anderen lässt der aktuelle Marktdruck außer Copy-Paste und Schnell-Schnell ja auch nichts zu. Freie Journalisten, die sich für eine Recherche lange Zeit nehmen können sind wiederum ökonomisch leicht unter Druck zu setzen, weshalb sich auch hier niemand finden wird, der den Wallraff oder die Sunday Times macht. Abgesehen davon müsste man dafür wirklich gut ausgebildet sein - und in Österreich steckt die Journalismus-Ausbildung immer noch in den Kinderschuhen.
Dieses Wochenende nun gab es im Standard eine Entgegnung zu Hausjell, die jedoch so uninteressant und ideenarm ist, dass ich sie nicht einmal verlinken möchte. Zeitgleich präsentierte eine deutsche Zeitung, die ihr Reputations-Portefeuille sowohl in Richtung "sehr unabhängig" als auch in Richtung "sehr bissig und kritisch" erweitern konnte - die "tageszeitung" aka "taz".
Die Käuflichkeit der Presse
"So käuflich ist die Presse" covert sie und führt im Wochenendteil unter dem Titel Ich kauf mir eine Zeitung vier Seiten lang die Ergebnisse einer verdeckten Ermittlung vor, einer bei der täuschen, tarnen und lügen, irreführen, einschleichen und falsche Identitäten vortäuschen ebenso enthalten waren wie die pure Anstiftung.
Skandalös, wenn man der einen Meinung anhängt - brilliant im Sinne Hausjells.
Der taz-Redakteur Sebastian Heiser versuchte bei diversen Printmedien (zehn Beispiele sind es dann geworden), als Lobbyist einer Agentur getarnt, für ein geeignetes Umfeld zu sorgen, damit seine Kunden Werbung schalten. Das bedeutet bestimmte Artikel zu bestellen, zu beeinflussen, Themen zu bestimmen oder die ganze Sache gleich selber zu schreiben.
Das Ganze findet nicht im vorderen Teil der Presse-Produkte statt, es geht um die Bereiche, bei denen jeder Branchen-Interne weiß - da ist sowieso seit schon immer alles geschoben, blanke PR: Reise, Motor, meistens aber sind es "Sonderbeilagen".
In Österreich leben die meisten Special-Interest-Magazine ausschließlich von verkauften Geschichten, manche Hefte (Mode-, Beauty-, Frauen-, Wohn-, Motormagazine etc.) enthalten gar nichts anderes. Und auch die diversen Sonderbeilagen, die einem immer wieder aus den Tageszeitungen entgegenfallen (vor allem aus denen, auf denen groß Qualität draufsteht), entstehen genau so.
Die Erhellung des Täuschers...
Die taz testete: Die Zeit, Handelsblatt, Frankfurter Rundschau, Bild und BamS, die Westdeutsche Allgemeine (WAZ), den Spiegel, Geo, Neues Deutschland und zwei Provinzblätter.
Beim Spiegel, dem Handelsblatt und auch bei Bild ging gar nix. Die Zeit zeigte sich im Bereich ihrer "Stiftungsseiten" interessiert, die Bild am Sonntag hätte ein achtseitiges Extra-Journal zu einem erwünschten Thema lockergemacht, das Gegenüber bei der Frankfurter Rundschau ächzte zwar deutlich, machte dann aber vieles möglich, die WAZ bot Reise und Motor ganz selbstverständlich an, Geo hat mittlerweile auch ein eigenes Heft (Geo Saison) für den gekauften Content und beim Neuen Deutschland verkauft man Artikel gleich auch noch mit Rabatt und macht nebenbei auch (quasi als Zugabe) die Redakteure ("Künstler") nieder.
Ein teilweise unerwartetes und in jedem Fall gruseliges Sittenbild, diese zehn Stationen, die Sebastian Heiser abgegangen ist. Eines, dass er ohne Einschleich-Mentalität nie hätte zeichnen können - was aber dringend notwendig ist.
Denn nur auf diesem Weg kann sich Erhellung einstellen, wo Verdunkelung den Status Quo verhüllt.
...besiegt die Verdunkelungs-Gefahr.
Dass die taz-Reportage nebenbei auch noch ein Thema anspricht, für das es in Österreich überhaupt kein Bewusstsein mehr gibt, die Trennung von Redaktion und Anzeigen, ist mindestens genauso bedeutsam. Seit die Fellner-Medien diese Trennlinie, die Journalismus erst seriös macht, bewusst durchbrochen haben und die anderen da nachgezogen haben - gänzlich ohne Unrechtsbewusstsein mittlerweile - ist die Branche ja völlig versaut.
So gesehen stützt die samstägliche taz-Extrabeilage nicht nur Hausjells Forderung nach mehr Einschleich- und Täuschungs-Journalismus; sie fordert österreichische Nachahmer geradezu heraus, in ihren Bereichen für ähnliche Transparenz zu sorgen.
Und wieder siegt die Bedeutung des Inhalts über Nörgeleien an der Form.