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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

3. 4. 2011 - 21:50

Journal 2011. Eintrag 67.

Verdunkelungs-Gefahr erkannt und gebannt. Über das Österreichische im Sprach-Alltag.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag als Anregungs- und Denkfutter, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich das ganze Jahr über Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute geht es zunächst um das im eben neu erschienenen Wörterbuch der Alltagssprache Österreichs enthaltene Gfrastsackl und dann um den dummen Fehler die vokale Verdunkelung zum Symbol für den Dialekt zu machen ohne die bewußt gesetzte Verkleinerung mitzudenken.
Oder: um das, was Österreich am besten kann - sich über Sprache definieren.

Vorgestern habe ich an dieser Stelle den schönen alten, von meiner Oma gern verwendeten Begriff des Gfrastsackls zitiert. Und ein paar Stunden nach dem Online-Stellen hatte ich plötzlich Zweifel. Was ist, wenn das nur ein interfamiliär verwendetes Wort war, das außerhalb einer engen User-Gruppe keiner mehr kennt? Sowas soll ja vorkommen: eine Freundin von mir (noch dazu eine Innenstädterin) verwendet in praktisch jedem Satz Worte, die außerhalb ihrer Herkunfts-Familie entweder unbekannt oder gänzlich anders konnotiert sind; was zu durchaus verwirrenden Kommunikationsstörungen und aufwändig zu reparierenden Missverständnissen führen kann.

Samstag beim Besuch im Buchladen fällt mir dann im Vorbeigehen eine Neuveröffentlichung auf, von der ich schon gehört hatte: Wörterbuch der Alltagssprache Österreichs heißt es, wurde vom Sprachexperten und Publizisten Robert Sedlaczek und seiner Frau Melita verfasst und schließt an die durchaus gute Tradition der immer auf den Letztstand gebrachten Erforschung des Lebendigsten an, was Österreich zu bieten hat: seiner Sprache.

Und ich finde bei „Gfrast, Gfrasst, das“ eine Erklärung der Herkunft, die Bedeutung (schlimmes Kind, böser Mensch) und die zusammengesetzten Worte „Gfrastsackl, das“ (Bedeutung: Schuft) bzw „Hundsgfrast, Saugfrast“ (Bedeutung: besonders übler Schuft).

Gfrast, Gfrastsackl, Saugfrast

Im Gegensatz zum von meiner Oma auch gern verwendeten Saugfrast, dessen Verwendung nur im Fall von Hass und Verachtung erfolgte, ist das Gfrastsackl ein vergleichsweise milder Ausdruck. Das hat auch mit der Verkleinerung, dem „Sackl“ zu tun. Der Diminutiv an sich zieht sich ja als Bereicherungs-Faden durch das Österreichische; er dient nicht als Selbstzweck wie im Schweizerischen oder Schwäbischen oder Fränkischen aber auch nicht als Verächtlichmacher wie es im Nord- und Westdeutschen oft der Fall ist, sondern dehnt die sprachliche Variationsbreite aus, ganz bewusst.

Für einen Halbstarken wie Marko Arnautovic wäre das „Gfrast“ zu schwach und auch zu verniedlichend, das „Saugfrast“ zu stark und in Anbetracht der geringen Tateinheit zu beleidigend – das „Gfrastsackl“ passt hingegen wie angegossen: es zeigt die Fortgeschrittenheit des Verlaufs des Selbstüberschätzungs/Poser-Syndroms an, weist gleichzeitig aber über die Verwendung des zwar abwertenden, aber nicht zum hoffnungslosen Fall erklärenden Sackls (dem Düdle, wie der auch gern verkleinernde Franke das nennt) auf die Heilbarkeit dieser Buben-Krankheit hin.

Im Umfeld des Gfrasts finden sich dutzende andere schöne Begriffe, die viel öfter verwendet gehören wie ich finde. Allein die Worte, bei denen ein „G“ auf einen anderen Konsonanten trifft und damit die Anmutung von afrikanischen Dialekten erlangt, sind Legion: Gfrett, Gfriess, Gwand, Ghörtsi, Gschrapp, Gspusi, Ghupft, Ghatscht, Gscheiterl, Griss, Gschert, Gwirks…

Gfrett, Gwirks, Gspusi, Gfriess

Und natürlich weißt auch das Sedlaczek-Buch im Vorwort auf die Bedeutung der Verkleinerung hin: das Glas Wien an sich kann gar nichts, zum Glaserl Wein hat man eine viel speziellere Beziehung, und wenn erst gar vom Weinderl oder dem Weindi die Rede ist, aber hallo!

Wirklich aufklärerische Wirkung erzielte das Buch aber bei mir als es auf einen ganz simplen und fast schon primitiven Fehler von schwachen Imitatoren des Wienerischen oder Österreichischen hinwies: Sedlaczek nennt da Jauch und Harald Schmidt, dazu kommt seit seinem „Willkommen Österreich“-Auftritt am Donnerstag auch Hebbet Grönemeyer.

Diese Österreich-Kenner setzen sich ja in ihrer „Ich mach jetzt ‘n ulkigen Dialekt nach“-Performance vor allem auf eines drauf: die Verdunkelung der Vokale, vor allem des „A“. Und weil sie das mit der Verkleinerung natürlich auch mitbekommen haben, flechten sie das auch gern ein – und fallen genau damit auf die Schnauze, verbal. Deswegen sind die Sprach-imitations-Versuche von Lieblings-Deutschen auch gerne so peinlich-plump. Wobei sich das auf die nicht-bayerischen Menschen beschränkt, auch weil sie eben nichts über das Bairische als Sprache wissen.

Regel B setzt nämlich Regel A außer Kraft.

Die Verdunkelung des A im Glos, pardon Glas, wird nämlich durch das –erl aufgehoben, und das sogar mit gegenteiligem Effekt. Aus dem Glos wird das Glaaaserl mit überbetontem hellen A. Aus dem Bort, verzeihung Bart, wird das Barterl (das aber eigentlich das deutsche Lätzchen bezeichnet), aus dem Koal wird der Karl, der Karli, der Kaaaali – den man sogar aus dem Mundl kennt.

Die durch den Diminutiv ausgetrickste Verdunkelung

Österreichisch wäre, wenn es sich ausschließlich nach dem Muster der Verdunkelung beschreiben lassen würde, eine wenig flexible Sprache und es würde womöglich so deppisch klingen, wie das, was Schmidt/Jauch/Grönemeyer in ihrer Oberflächen-Beobachtung so von sich geben.

Weil aber das Ausarbeiten von sprachlichen Nuancen und hochdifferenzierten Bedeutungsverschiebungen ein österreichischer Nationalsport ist (der auch dazu führt, dass die deutschen Literaturpreise in einem Maß von Österreichern eingeheimst werden, die rein demografisch auf keine Kuhhaut geht) wirken die vielen Formen der Verkleinerung in unserer Alltagssprache dagegen.

Verdunkelungs-Gefahr erkannt, Verdunkelungs-Gefahr gebannt.