Erstellt am: 3. 4. 2011 - 16:30 Uhr
Song Zum Sonntag: Naked Lunch
Bringt die Sensationen, Bringt ein Land voll der Gnade, bringt eure Erwartungen mit - dann lass mich auf dem Wasser Wandeln, mit einem Koffer in der Hand und lass mich auch deinen Traum leben, der für immer währt.
Ein melancholischer Klavierlauf wie von Neil Young aus seiner "Harvest"-Zeit, eine schöne, dünne, beschwörende Stimme wie ebendort - und fast jedes Wort mutet an wie ein Pop Zitat: Leadbellys "Cotton Fields", Lou Reeds und Ry Cooders "Suitcase in my hand", Roy Orbisons "Blue Bayou", Scorseses "Mean Streets", Gershwins "Cotton is High", My Bloody Valentines "Soft as Snow, but Warm Inside", dazu die Sirenen aus der Odysee und die fast religiöse Verzückung, die wir an der so genannten "echten" amerikanischen Musik, von Lightning Hopkins bis Antony & The Johnsons so lieben gelernt haben.
- Der Song zum Sonntag auf FM4
Über Naked Lunch macht sich auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar in der Presse am Sonntag seine Gedanken.
Arnold Pöschl
Naked Lunch live:
Amerika war schon immer ein Palimpsest, eine immer wieder erneuerbare, immer wieder mit den eigenen Projektionen beschreibare Leinwand der europäischen Künstlerschaft: Für Kafka das Bild des unverschuldeten Ostjüdischen Exils, für Knut Hamsun der regellose und kulturlose Sumpf, der den europäischen Mann entwürdigt und entgrenzt, für Karl May und den Österreicher Charles Sealsfield der Ort eines - teils emanzipatorischen, teils reaktionären - Bildes des Urwüchsigen und Unbeherrschbaren, wo die Gesetze der Natur noch gelten.
Für Naked Lunch, die mit diesem Lied die Aufführung von Franz Kafkas "Amerika" im Klagenfurter Schauspielhaus eröffneten, ist Amerika wohl ebenfalls eine ferne und seltsame Projektionsfläche aus ewigen Träumen und grausamer Größe - so klingt dieses schwere große Lied.