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Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

6. 4. 2011 - 07:12

42

Per Anhalter durch einige Stationen der Weltraumliteratur.

"That quite definitely is the answer. I think the problem, to be quite honest with you, is that you've never actually known what the question is."
(The Answer to the Great Question of Life, the Universe and Everything)

Der Traum von der Reise ins All ist so alt wie der Traum vom Fliegen. Man findet ihn in alten Stammesmythen, in Erzählungen der Hochkultur, ja selbst in alttestamentarischen und christlichen Überlieferungen. Die Art und Weise, um ins All zu gelangen, reicht dabei von technischer Innovation bis zur blanken Satire: Da ist die Rede vom Einsatz von Adlern und Wildschwänen, vom großen Luftschiff oder einem Ballon aber auch von der simplen Treppe rauf ins All.

Luftschiff in den Weltraum

John Harris

Immer noch eine Utopie

Die Gattungsbezeichnung "Science Fiction" kennt man in der Literatur erst seit den späten 1920er Jahren. Der Begriff wirkt aus heutiger Sicht etwas anachronistisch, jedoch setzt er sich damals eindeutig gegen andere Bezeichnungen wie "naturwissenschaftlicher Roman", "technischer Zukunftsroman" oder "wissenschaftliches Märchen" durch. Wesentliche Merkmale der Science Fiction: Die Intention fantastische Phänomene rational zu erklären und ihr eine wissenschaftliche Plausibilität zugrunde zu legen. So sehr sich die Science Fiction damit vom Genre der fantastischen Literatur abgrenzen will, so sehr verbindet die beiden die gemeinsame Utopie von pluralen Welten, die neben- und ineinander existieren können.

Die Gattung wird immer auch von kommerziellen Faktoren bestimmt. Mit dem Verkauf von Träumen kann man viel Geld machen, und so finden sich Science Fiction-Texte bald in jedem literarischen Medium: in eigenen Zeitschriften und Buchreihen, in Roman- und Heftserien. Ihnen gemeinsam ist die starke Tendenz zur Verbildlichung, dem Wunsch die Medienrealität des Buches mit jener der Leser zu verbinden: Erste literarische Modelle eines Flugzeuges sehen wie Vögel aus, Raumschiffe wiederum wie Zeppeline. Der aktuelle Stand der Technik beeinflusst immer auch die literarischen Werke (und wie man später merkt, auch umgekehrt).

Mit der Geburtsstunde der Science Fiction nehmen auch ihre unterschiedlichen Variationen zu: Space Opera, Military Science Fiction, Cyberpunk, Steam Punk, Space Western, New Weird, etc. Der Weltraum wird zum neuen Abenteuerterritorium, es gilt, fremde Galaxien, unbekannte Planeten, verborgene Zivilisationen zu entdecken. Dabei fungiert die Science Fiction immer als Spiegelbild unserer eigenen Zivilisation, kritisiert gesellschaftliche Missstände und offenbart soziale Utopien. In der Science Fiction lässt sich die Faszination nach dem Unbekannten ausleben, der Blick in den Sternenhimmel ist eine Landkarte voller Optionen.

Im Folgenden wäre kein Platz für alle wichtigen Werke der Science Fiction (das überlasse ich den geschätzten LeserInnen im Forum, mit Verweis auf umfangreiche Webseiten wie diese), aber ich möchte zumindest drei Texte hervorheben, die meinen Blick auf den Weltraum verändert haben.

Von Utopien...

Jules Verne ist einer der Ersten, der technische Plausibilität in seinen Texten einführt. Seine sogenannten "Mondromane", also der 1865 veröffentlichte Text "De la Terre à la Lune" (Von der Erde zum Mond) und dessen Fortsetzung "Autour de la Lune" (Reise um den Mond, 1870), sind, lange bevor irgendwer den Begriff "Science Fiction" in den Mund nimmt, wegweisend für ein ganzes Genre. Jules Verne bedient sich einer eigenartigen Mischung aus Bewunderung und Satire der amerikanischen Technikbegeisterung. In diesen Romanen ist Amerika ein Land, in dem jeder Traum technisch umsetzbar scheint, auch ein gigantischer Kanonenschuss rauf zum Mond.

Ausschnitt aus Jules Vernes "Von der Erde zum Mond"

Henri de Montaut

Ein Entwurf von Henri de Montaut (1872)

In dem Buch sind die Amerikaner nach Ende des Bürgerkriegs schrecklich gelangweilt und wollen sich ein neues Betätigungsfeld suchen: den Weltraum. Eine granatenförmige Kanone, ein Überbleibsel des Krieges, soll auf den Mond geschossen werden. An Bord: drei Männer und zwei Hunde. Eine Wette, wie man sie von Jules Vernes "In 80 Tagen um die Welt" kennt, rückt die Bücher in die Nähe der Abenteuerliteratur: Der Weltraum ist lange vor der ersten bemannten Mondfahrt ein ähnlich mysteriöses Gebiet wie der Amazonas. Trotzdem nimmt Jules Verne viele Faktoren der späteren bemannten Mondreise vorweg: den Überschuss an Sauerstoff in der Kapsel, die Topographie des Mondes und die vollkommene Schwerelosigkeit im All. Er kennt sich aus, er bezieht sich mehrmals auf die Mondkarten der deutschen Astronomen Wilhelm Beer und Johann Heinrich Mädler. Schon damals werden Träume durch solche Utopien genährt und H.G. Wells legt einige Jahre später einen ähnlich erfolgreichen Mondroman vor: "The First Men in the Moon".

Um den Einfluss dieser Romane richtig einschätzen zu können, reicht ein Blick auf das Medium Film. Erste Filmversuche, wie Georges Méliès' "Le Voyage dans la Lune" (1902), bedienen sich der Visualität von Jules Vernes Beschreibungen. Am Mond kommt die Besatzung von Jules Verne übrigens nie an: Sie verkalkuliert sich in ihrer Kursberechnung.

...und ihren Relativierungen

Einer der größten kreativen Großmeister der Science Fiction ist der polnische Autor Stanislaw Lem. Lems kluge Entwürfe technischer Zukünfte, die unter anderem auch in seinen Kolumnen nachzulesen sind, zeigen wunderbar auf, dass Utopien immer mit einer gewissen Doppelbödigkeit auftreten. In seinem wohl bekanntesten Roman "Solaris" steht dazu passend der Satz: "Wir brauchen keine anderen Welten, wir brauchen Spiegel." Lem verfügt über fundierte naturwissenschaftliche Kenntnisse, die er in seinen Texten eindrucksvoll mit philosophischen und moralischen Fragestellungen zu einer zeitkritischen Diegese verknüpft. Und so fungiert die prophetische Erzählkunst des polnischen Visionärs immer ein wenig auch als Gesellschaftskritik.

Solaris-Verfilmung von Steven Soderbergh

Fox

Auch Clooney darf mal ins All, in der "Solaris"-Verfilmung von Steven Soderbergh

Stanislaw Lem kann in seinen Büchern, und das schätze ich so an ihm, immer vermitteln, dass die Erde nur ein winziger Teil etwas Größeren ist. Er relativiert damit unsere eigene Existenz im Universum. Auch wenn Lem zu Lebzeiten seinem Frühwerk einige Mängel bescheinigt, ist "Transfer" (1961) jener Text, der mich am meisten beschäftigt hat. Er handelt vom Piloten Hal Bregg, der nach einer mehrjährigen Raumfahrt auf die Erde zurückkehrt, die sich in seiner Abwesenheit gesellschaftlich verändert hat. Auf den ersten Blick zum Guten: Die Menschen leben durch die sogenannte "Betrisierung" gewalt- und aggressionsfrei. Es gibt keine Konflikte, keine Kriege, ja nicht einmal mehr Unfälle, bei denen man sich verletzten könnte. Die Welt wird so zwar komplexer, aber im Auge des lange abwesenden Betrachters auch langweilig und leidenschaftslos.

Die Flucht von der Erde wird zur Alternative. Bei Lem existiert zwar immer noch der Wunsch, in den Weltraum zu gelangen und neue Welten zu entdecken, jedoch sind seine Figuren nicht mehr von der Abenteuerlust getrieben, ja nicht einmal mehr von Langeweile wie bei Jules Verne. Seine Charaktere sehen das Weltall als letzten Ausweg der Menschheit. Die Erde als Mittelpunkt des Universums ist kein Ort zum Leben mehr.

The Meaning of Liff

Arthur: Ford, I don't know if this sounds like a silly question, but what am I doing here?
Ford: Well, you know that. I rescued you from the Earth.
Arthur: And what has happened to the Earth?
Ford: It's been disintegrated.
Arthur: Has it?
Ford: Yes, it just boiled away into space.
Arthur: Look. I'm a bit upset about that.
Ford: Yes, I can understand. But there are plenty more Earths just like it.
Arthur: Are you going to explain that? Or would it save time if I just went mad now?

Meine Sicht auf den Weltraum grundlegend verändert hat Douglas Adams' Romanreihe "The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy". Das ist in der Tat eine kleine Liebeserklärung, denn man spürt, wenn Texte auch durch die Größe ihrer Autoren reifen, und Adams ist unbestritten einer der smartesten Persönlichkeiten der letzten Jahrzehnte. Empfohlen sei in diesem Zusammenhang auch Neil Gaimans wunderbare Hommage an die Reihe: "Don't Panic. Douglas Adams & The Hitchhiker's Guide to the Galaxy". Adams kommt übrigens die Idee zu seinen Büchern, als er betrunken in einem Acker bei Innsbruck liegt, in der einen Hand den "Anhalter durch Europa", und dabei in den Sternenhimmel starrt. Das passt, finde ich.

Don't Panik

Hitchhiker's Guide to the Galaxy

Kaum jemand zuvor formuliert die Nichtigkeit, die Unsinnigkeit, ja auch die Tragik unserer menschlichen Existenz so prägend, wie Douglas Adams. Sein Protagonist Arthur Dent, die arme Sau, die nicht nur sein Haus verliert, weil es dem Bau einer Autobahn weichen muss, sondern dann gleich seinen ganzen Planeten, weil dieser dem Bau einer intergalaktischen Umgehungsstraße für Raumschiffe im Weg steht, wird keineswegs aus freien Stücken in den Weltraum befördert. Trockener britischer Humor und die ihm innewohnende ewige Skepsis machen das Abenteuer hier zur ungewollten Last, ähnlich wie wenn man sich einen Weisheitszahn ziehen lassen muss. Wird in den meisten Science Fiction-Romanen der Weltraum als "place to be" beschrieben, würde Arthur lieber im Bademantel vor dem Fernseher hängen. Weltraum? Keinen Bock.

Und so stolpern Arthur und sein Freund Ford Prefect durch die Galaxien, treffen auf den paranoiden Androiden schlechthin (Marvin!), Deep Thought und jede Menge Weisheiten, wie etwa, dass man immer ein Handtuch dabei haben sollte, dass Panik strikt unangebracht ist und natürlich 42.

Marvin, der paranoide Android

flickr.com/danny198

"Life? Don't talk with me about life". Ach, Marvin...

42 ist die Antwort schlechthin und gleichzeitig auch der Umwurf der Science Fiction. Fantastische Utopien wissenschaftlich zu erklären wird hier so satirisch wie genial auf eine zweistellige Zahl heruntergebrochen, deren Berechnung, Sinn und Stellung so komplex ist, dass das alles ohnehin keiner versteht. Schon gar nicht die, die sich das ausgedacht haben. Douglas Adams relativiert mit Humor unser ganzes Leben, unser Streben den Weltraum zu erkunden und entblößt dabei die Nachteile unserer wissbegierigen, sensationsgeilen Zeit - ach wie gern hätte ich von ihm einen "Facebook-Roman" gelesen.

Weitere Leseempfehlungen:

Wenn Leute wie Zaphod Beeblebrox den Weltraum für uns erkunden, dann wissen wir ja, wo wir stehen: "If there's anything more important than my ego around, I want it caught and shot now."

Oder abschließend:

"There is a theory which states that if ever anyone discovers exactly what the Universe is for and why it is here, it will instantly disappear and be replaced by something even more bizarre and inexplicable.
There is another theory which states that this has already happened.
"