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Alex Wagner

Zwischen Pflicht und Kür

4. 4. 2011 - 15:12

Nicht nur für Pensionisten

In "Café Anschluß" erzählt Michael Ziegelwagner von Stereotypen und spitzfindigen Verschrobenheiten, mit denen er als Österreicher in der deutschen Börsen-Metropole Frankfurt am Main konfrontiert wird.

Als ich zum ersten Mal einen Blick in das Buch werfe, sitze ich gerade in der S1 und fahre von München nach Freising. Die S-Bahn ist gesteckt voll. Mir gegenüber hockt eine junge Frau mit blonden Haaren und Brille. Wenige Stationen vor Freising macht der Zug unweigerlich eine Pause, der vordere Teil lässt sich vom hinteren S-Bahn-Abschnitt nicht abkoppeln, und wir stehen 20 Minuten irgendwo im nirgendwo. Perfekte Grundvoraussetzungen für einen Smalltalk. Die junge Frau spricht mich mit einem norddeutschen Akzent an, was ich denn da lese, und ob es gut sei, und ich antworte wahrheitsgemäß, ich wisse es nicht, weil ich gerade erst damit angefangen habe. Es gehe um einen österreichischen Humoristen, der berufsbedingt nach Frankfurt ziehen muss und dort von seinen Erfahrungen berichtet und von den Vorurteilen, denen er sich als Österreicher in Deutschland stellen muss.

Pinguine, einer davon ist rot-weiß-rot gestreift. Buchcover von Michael Ziegelwagner - Cafe Anschluß

Atrium Verlag

Café Anschluß ist 2011 im Atrium Verlag erschienen und wurde aus dem Österreichischen von Michael Ziegelwagner übersetzt.

Das "ß" in "Anschluß" lässt es schon vermuten: Bei "Café Anschluß" ist jemand aus dem Satiremagazin Titanic am Werk, einer der neuen Neuen Frankfurter Schule, der sich beharrlich gegen die Rechtschreibreform wehrt. Michael Ziegelwagner hat an der FH Wien Journalismus studiert und politische Sonette für Der Standard geschrieben. 2009 erhält er ein Jobangebot bei der Titanic in Frankfurt am Main, und der gebürtige St. Pöltener sieht sich dazu genötigt, Wien zu verlassen, und in die gläserne hessische Finanzstadt zu ziehen. Topfengolatschen und Zwetschgenröster lässt er in Österreich zurück, Apfelwein und grüne Soße dienen ihm fortan als Nahrungsquelle. Hinter jeder Ecke vermutet er österreichische Sehenswürdigkeiten, die Frankfurter Oper erinnert ihn an die Wiener Staatsoper und in der Tiroler Straße in Frankfurt hat er eine Wohnung gefunden. Aber alle Funde in der neuen Heimat stellen lediglich einen billigen Abklatsch der Originale seiner alten Heimat dar.

"Ob es gesund ist, Wien mit Frankfurt zu vergleichen? In diversen Studien zur Lebensqualität liegt Wien zuverlässig auf Platz eins, Frankfurt pendelt zwischen den Plätzen fünf und acht. Kein großer Abstieg also. Der Studiensieger Wien, soviel steht fest, besticht durch seine Geschichte und seine Architektur. Wahrscheinlich hat auch das reiche Frankfurt bei solchen Listen immer bestochen, denn über bedeutende Bauwerke oder eine repräsentable Altstadt verfügt Frankfurt nicht. Das meiste davon ist im Zweiten Weltkrieg kaputtgegangen. Hier wäre Wien ein gutes Vorbild gewesen, wo man die Alliierten bereits 1941 überzeugen konnte, das erste Opfer Hitlers und deshalb kein besonders attraktives Ziel für Bombenangriffe zu sein."

Anschluss, Hitler und die CDU

Scheint Ziegelwagner auf den ersten Blick mit seinen witzigen Schmähtirarden Deutschland aufs Korn zu nehmen, wird einem bei genauerem Lesen klar, dass er auch mit Österreich hart ins Gericht geht. Vor allem auf den unterschiedlichen Umgang der Deutschen und der Österreicher mit der NS-Vergangenheit und dem Rechtsradikalismus zielt Michael Ziegelwagner ab. Er beschreibt die konservative CDU als das rechteste, was die Deutschen wählen, eine Partei, die gesellschaftspolitisch leicht links von den österreichischen Sozialdemokraten stehe.

Weitere Buchrezensionen

"Hilter und Deutschland haben sich auseinandergelebt. Wenn ein Deutscher heute ein Restchen Rassismus in seiner Seele entdeckt, schämt er sich dafür. Der Österreicher akzeptiert es als Teil seiner Persönlichkeit. Ich merke es an mir selbst: Daheim bin ich rassistischer als in Deutschland. Während ich in Deutschland jegliche Form von Überfremdung goutiere, stört sie mich in Österreich;"

Ausgiebig stellt er sich vor, was wohl passiert wäre, wenn Hitler in Österreich geblieben wäre. Anstatt Europa hätte er nur Ungarn erobert, der Zweite Weltkrieg wäre in einer Woche zu Ende gewesen, Hitler hätte sich 5 1/2 Jahre früher erschossen und Niederösterreich, Wien und das Burgenland wären kommunistisch geworden. Auch Jahre nach dem Fall der Wiener Mauer würden sich Österreicher immer noch als Wösis und Östis definieren und der Checkpoint Blecha-Charly wäre ein echter Touristenmagnet.

Michael Ziegelwagner

Thomas Hintner

Um seine Sehnsucht nach Österreich zu stillen, sucht Michael Ziegelwagner das Café Anschluß auf und vermutet darin eine Reminiszenz an das Jahr 1938. Ziegelwagner wird aber schwer enttäuscht, handelt es sich hierbei lediglich um ein Internetcafe für SeniorInnen. Er bestellt eine Melange und bekommt Gulasch serviert. Nicht einmal die menschenfeindliche Berichterstattung der Kronenzeitung kann ihm sein Heimweh nach Österreich zunichtemachen.

Clash der Klischees

Michael Ziegelwagner versteht es, sämtliche Vorurteile und Stereotypen über Deutsche und Österreicher an einen Tisch zu bringen und abzurechnen: tabula rasa. Gewinner ist dabei keiner.

Nachdem das Thema "Fremd fühlen in der neuen Heimat" bereits in dutzenden TV-Auswanderersoaps niedergewalzt wurde, hat es mit Dirk Stermanns "6 Österreicher unter den ersten 5" den Weg in die komische Literatur gefunden. Darin hat der deutsche Stermann über seine Erfahrungen in Wien berichtet. Michael Ziegelwagners "Café Anschluß" ist die literarische Replik und braucht sich vor Stermanns Bestsellerroman nicht verstecken. Im Gegenteil.

Das jedenfalls alles hätte ich der jungen Frau in der S1 berichten wollen, hätte ich nur schon früher damit angefangen, das Buch zu lesen. So aber brach das Gespräch schnell ab, nachdem sie mir ihrerseits ein Buch über Katzen empfehlen wollte.