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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

2. 4. 2011 - 22:30

Fußball-Journal '11-27.

Ein systemischer Exkurs. Das 3-4-3 als Denkmodell.

Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch das neue Jahr wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und die Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.

Heute mit etwas, was ich sonst zurecht vermeide: einem unjournalistischen Vorschlag, wenig dezent als Gedanken-Modell verhüllt.

Die heute wieder beweisene Unwürdigkeit der österreichischen Bundesliga internationalen Vergleichen standzuhalten treibt mich dazu.
Denn dort, wo in einer seriösen Fußball-Zivilisation gültige Regeln beachtet und ihr Glaubwürdigkeit durch konsequente Exekutierung gestärkt wird wie in Deuschtland, dort bricht man ein Spiel, in dem ein Schiedsrichter attackiert wird ab (wie gestern bei St. Pauli gegen Schalke geschehen. Dort, wo Verschleierung und Anmateurismus regieren, in Österreich, spielt man trotz des Wissens um pure Wiederholungstäterschaft weiter - trotz bechergetroffenen Outwachlers und unzumutbarer Wurf-Orgien, trotz der Sicherheits dass eselhafte Langmut den Totengräber nur zuarbeitet.

Das was ich heute im Spiel von Ried gesehen habe, treibt mich dazu. Nicht weil das so grandios war (eher im Gegenteil, es war ein maues Match gegen Mattersburg), sondern weil die einzige Stütze einer minderprächtigen Mannschaft, ihr straffes Korsett, trotzdem funktionierte.

Das, woran ich kürzlich durch das Aufwärmen eines Classics, des Champions League-Finales 95 in Wien, erinnert wurde, durch die schöne optische Darstellung in meinem Lieblings-Taktik-Blog, treibt mich dazu. Nicht nur weil das damalige Milan die Blaupase für die gesamte heutige fantasie- und planlos agierende Trainerzunft in Österreich gilt; und nicht nur, weil Ajax ein variables System in einem straffen Korsett spielte und den Favoriten so aushebelte.

Analyse-Angst und Lösungs-Geilheit

Das alles würde nichts nützen.

Denn so sehr dieses Fußball-Journal auch meinen subjektiven Blickwinkel betont und meinungs-driven ist - dem dümmlichen Fehler der Ratgeber- und Besserwisserei, dem der hiesige Mainstream-Journalismus immer wieder verfällt, werde ich nicht nachgeben.

Klar, diese Kampaignisierung und die Instrumentalisierung von "Experten" und Coaches als Infogeber und "Kolumnen"-Schreiber ruft bei den Naiveren der Fans und Leser das Gefühl hervor das Aufzeigen von Alternativen und Lösungen wäre eine journalistische Aufgabe. Deswegen kommen dieselben Dödel, die den "Hat doch eh alles keinen Sinn!"-Spruch auf ihren initiativlosen Lippen führen, dann auch immer mit dem "Na dann lös' doch du die Probleme!"-Ansatz.

Der Wissenschaftsjournalist kann das Atom-Problem nicht lösen, der Wirtschaftsjournalist kann Krisen und Pleiten nicht verhindern, der Politjournalist ist gut beraten nie Politiker zu werden, der Kulturjournalist wird nicht dazu beitragen können, dass die Kunst besser wird - und genausowenig kann und soll der Sportjournalist seine Branche aufmischen.

Und: es ist auch nicht seine Aufgabe.
Nur weil sich etwa jüngst die Kronen-Zeitung für ein Comeback von Ivanschitz und Stranzl im Nationalteam stark machte heißt das nicht, dass derlei "Lösungs-Vorschläge" auch nur ansatzweise zu den journalistischen Pflichten gehören. Die Gestaltung der Zukunft bleibt den Initiatoren und Professionals der jeweiligen Bereiche vorbehalten - der Journalismus hat durch eine möglichst genaue und unstrittige Analyse Grundlagen-Arbeit zu deren Vorbereitung zu leisten. Nicht mehr und nicht weniger.
Ich denke dass die Lösungs-Geilheit vieler auch damit zu tun hat, dass sie die Analyse-Phase angstvoll überspringen wollen.

Das strenge Korsett für die Underdogs

Diese Analyse kann beißend und scharf sein und im Aufzeigen dessen, was schief läuft natürlich auf Alternativen verweisen - eine direkte Einmischung, ein stammtischhaftes Besserwissen und Dauer-Vorschlagen im raunzend-renitenten Unterton aber ist unwürdig; auch wenn es von zu vielen heimischen Medien (nicht nur im Sportbereich) so gepflogen wird.

Manchmal breche ich diese wichtige Regel und entwerfe Vorschläge, Maßnahmen-Kataloge, die die Analyse einen Schritt weiter denken. Und ich weiß um die Problematik diesr Vorgangsweise.

Deswegen jetzt, in aller Vorsicht: ein Vorschlag.
Und zwar der, einmal ein Gedanken-Experiment durchzuführen; eines, das ein paar Dinge aufzeigen könnte.
Bereit?
Okay.

Also: Paul Gludovatz hat mit der SV Ried eine Mannschaft, die deutlich weniger individuelle Klasse und geringeren Marktwert hat in die Lage gebracht auf Augenhöhe mit Teams zu agieren, die ihnen in jeglicher Hinsicht überlegen sind. Das hat mehrere Gründe - der bedeutendste von ihnen ist jedoch das strikte und strenge neue Spiel-System

Dieses 3-3-3-1 erinnert durchaus an das 3-4-3 der großen Ajax-Mannschaft der 90er.

Gludo/Gaals 3-4-3

Es ist maßgeschneidert für einen Außenseiter, der besser aufgestellten Teams und besser ausgebildeten Einzelakteuren gegenüber treten muss - weil durch die ganz klare Positionierung aller 11 Spieler die individuelle Veranwortung viel klarer verankert ist. Soll heißen: in Gludos 3-3-3-1 oder in Van Gaals altem 3-4-3 können keine Löcher zwischen den Formationen entstehen, weil die aufgehoben sind.

Wer sich die Spiele des Nationalteams aber auch die der wichtigsten Club-Mannschaften vergegenwärtigt, der weiß: genau das ist das Haupt-Problem des österreichischen Fußballs. Beim letzten Tiefpunkt wurde ja etwa (durchaus zurecht) über Dietmar Constantinis völlig irrsinniges 4-4-0-1-1 gewitzelt.

Denken wir das weiter durch: Österreich wird in seinen Quali-Spielen für Welt- und Europa-Meisterschaften immer auf zwei, drei, wenn nicht vier Teams stoßen, auf die das Gesagte zutrifft: besser organisiert, besser ausgebildet, höherklassig etc.
Zudem leidet das Team darunter, dass es taktisch und strategisch wenig engagierte Trainerteams nicht schaffen sie speziell immer neu einzustellen.

Warum also nicht dem ÖFB-Team dieses strenge Korsett verschaffen, in dem es Fehler minimiert und die Underdog-Rolle geschickt pflegen kann - anstatt mit immer neuen Ansprüchen immer neu zu scheitern?

Auch das damalige Ajax-Team war in seiner Grundsubstanz ein sehr junges: das 3-4-3 brächte eine Menge Sicherheit und Stabilität - auch weil es als Grundanforderung galt, dass jeder Spieler bis auf den Goalie imstande sein musste zumindest zwei der Positionen zu beherrschen.

Legen wir das auf die Personal-Praxis um.

So könnte das aussehen:

Das Gludo/Gaal-Modell hat zehn klar definierte Feld-Positionen: einen rechten Verteidiger, einen zentralen Verteidiger, einen linken Verteidiger; einen rechten Flankenspieler, einen zentralen Mittelfeldspieler, einen linken Flankenspieler, einen offensiven Mittelfeldspieler; einen rechten Flügelstürmer, einen Center, einen linken Flügelstürmer.
Das geht sich aus, denke ich.

Den rechten Verteidiger können Dragovic und Schiemer machen, beide sind auch spielaufbaufähig genug. Den zentralen Verteidiger würden Scharner und Stranzl beherrschen, aber auch Prödl, für den linken Verteidiger ist Pogatetz perfekt, Ibertsberger könnte das, auch Ortlechner.

Für den rechten Flankenspieler wäre Dag ebenso wie Garics ideal - ebenso wie für den linken Fuchs, aber auch Alaba oder Ibertsberger. Der zentrale Mittelfeldspieler kann Baumgartlinger ebenso sein wie Pehlivan, auch Alaba oder Leitgeb. Scharner und Schiemer sind in diesem System anderswo besser aufgehoben.
Der Ballverteiler in der offensiven Zentrale ist Junuzovic, aber auch Ivanschitz oder Kavlak, Leitgeb oder Beichler/Prager, wenn sie jemals wiederkommen.

Der rechte Flügel ist Harnik, er kann aber auch Arnautovic, Hoffer oder Kavlak sein.
Der linke Flügel ist Korkmaz, er kann aber auch Arnautovic, Jantscher oder Drazan sein.
Der Center ist Janko, Hoffer, Maierhofer, Linz, Wallner, Kienast oder Okotie, falls er jemals zurückkommt.

Die Nackerbatzl-Zone als Chance

Ich sehe in dieser Formation angesichts der aktuell zur Verfügung stehenden Spieler und angesichts der geringen Möglichkeiten was Trainerstab und Trainerwissen betrifft deutliche Vorteile gegenüber der durchwegs wirren Aufstellungs-Praxis der letzten Monate und Jahre.

Soll heißen: für den Lehrling, und das sind in Österreich sowohl Spieler als auch Trainer, ist ein straffes Korsett und eine genaue Job Description Vorraussetzung für eine halbwegs brauchbare Umsetzung.
Dass der ideale Coach dieses System umzusetzen Paul Gludovatz ist, fällt mir erst jetzt auf - das ist aber nicht der Sinn dieses Gedanken-Modells. Die Umsetzung dieses Systems traue ich fast jedem zu, sogar Constantini.

Ich bin kein übergroßer Freund des 3-4-3, ich halte es für historisch durchaus überkommen. Wenn man es aber so wie Gludovatz sein 3-3-3-1 in den Kontext der taktischen Nackerbatzl-Zone, also nach Österreich, überträgt, dann kann es eine gewisse Wirkung entfalten - und möglicherweise auch im internationalen Vergleich funktionieren.

Das System macht aus dem Nachteil des Hinterdreihumpelns einen Vorteil - es spielt mit der Provinzialität. Darin liegt seine Chance.

Gedanken-Modell beendet.
Ich kann mir auch sieben andere Modelle vorstellen - aber das scheint mir aktuell am schlüssigsten.