Erstellt am: 3. 4. 2011 - 13:56 Uhr
Faust aufs Auge
Weil gar nicht so wenige Menschen da draußen zu Verschwörungstheorien neigen, stellen sie sich den Popjournalismus als eine vollkommen korrupte Zone vor. Egal ob es sich nun um Musik oder Film handelt, gerne ist von Freunderlwirtschaft die Rede, von geheimbündlerischen Netzwerken und geschmierten Kritiken.
Mir war dieser Blickwinkel, die (Medien-)Welt bloß als ein abgekartetes Spiel zu betrachten, immer zu simpel, seit Zillionen Kommentare in diversen Onlineforen in diese Richtung geifern, ekelt er mich an.
Vielleicht bin ich einfach nur ein zu verschwindend kleines Rädchen im Popgetriebe, aber selber wurde ich erst recht nie von einer Plattenfirma oder Filmcompany bedrängt, doch eine positive Besprechung zu verfassen. Luxuriöse Präsente beschränkten sich auf Kugelschreiber und Promo-Umhängetaschen, mysteriöse Geldbeträge trudelten nie auf meinem Konto ein.
Eine Form der Bestechung gibt es dann aber doch, sie ist emotionaler Natur und hat unmittelbar mit meiner Harmoniesucht zu tun und einer Begeisterung für leidenschaftliche, energetische Gesprächspartner.
Bei Pressereisen auf einen Regisseur und Schauspieler zu treffen, die ganz entflammt von ihrem Film erzählen, das prägt. Es färbt ab, verändert den Horizont, eredelt auch nachträglich Produktionen, die während des Kinobesuchs bereits verblassen.
Warner Bros
Und so sitze ich in einem gediegenem Londoner Hotel mehreren Gruppen von jungen Frauen gegenüber, deren Präsenz mich wie ein schüchterner Schulbub im Sessel herumwetzen lässt.
Emily Browning war mir vor ihrer Hauptrolle in "Sucker Punch" unbekannt, ihr ganz eigenartiges Charisma kommt in Persona entschieden mehr zu Geltung als hinter Schichten filmischer CGI-Nachbearbeitung. Jenna Malone und Abbie Cornish kommen aus der Indieecke, die letztere ist der heimliche Star der Runde. Mit einer Reihe mitreißender Hauptrollen im preisgekrönten "Somersault", dem Junkiedrama "Candy" oder Jane Campions "Bright Star", erspielte sie sich den Ruf einer der aufregendsten Actricen ihrer Generation.
Ach ja, neben ihr sitzt Vanessa Hudgens, die Kinder unter euch kennen sie aus diversen "Highschool-Musicals", im Kontrast zur wortgewandten Abbie beschränkt sie sich weitgehend auf Nicken und Kichern. Extrem eloquent dagegen die etwas ältere Carla Gugino, eine Spezialistin für edgy Rollen im aktuellen Genre-Kino und TV.
Die Interviews sind kurz und knapp, kleine Pressjunket-Häppchen, machen dennoch großen Spaß. Mit einem Funkeln in den Augen reden Emily Browning und Abbie Cornish über die Macht der eigenen Vorstellungskraft, über Fantasie als Waffe im Kampf gegen eine triste Wirklichkeit.
Der Eskapismus, dieses ewige Schreckgespenst der Erzieher und Jugendschützer, ist für diese Frauen keineswegs nur schlecht besetzt. Realitätsflucht, wenn sie einen künstlerischen Ansatz hat, meint Abbie sinngemäß, kann auch einen therapeutischen, befreienden Aspekt haben.
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Realitätsflucht ist das Thema, um das sich alles in "Sucker Punch" dreht. Ob Zack Snyders neuer Film dabei künstlerische Ansätze birgt oder doch nur eine einziger, überlanger feuchter Fanboy-Traum ist, darüber streiten sich gerade die Rezensenten.
Auf sehr leichte Bekleidung und schwere Bewaffnung setzt der Fantasy-Blockbuster. Die selbstbewussten Darstellerinnen sehen aus wie Anime-Lolitas, die aus einem Metalcore-Video entflohen und in einem Stripclub gelandet sind. Dabei handelt es sich eigentlich um die Patientinnen in einer psychiatrischen Klinik, irgendwo in der amerikanischen Provinz der 60er Jahre. Um sich aus dem horriblen Alltag wegzubeamen, in dem ständig die Lobotomierung droht, erfindet Babydoll (Browning) in ihrem Kopf pittoreske Landschaften.
Mit ultrakurzen Röcken und einschlägigen Zöpfchen mähen sie und ihre Gefährtinnen dort gigantische Samurais, feuerspeiende Drachen und mutierte Nazisoldaten nieder, allesamt aus der digitalen Trickkiste. Jeder tote Zombie bedeutet einen Hoffungs-Pluspunkt in der psychiatrischen Hölle.
Gut, die Männer in dem Film werden, mit Ausnahme einer weisen Vaterfigur, ausschließlich als sadistische Fieslinge, korrupte Geilspechte oder sabbernde Idioten portraitiert. Steckt unter der hyperstilisierten Oberfläche aber deswegen tatsächlich ein Feldzug für weibliche Selbstermächtigung?
Oder ist "Sucker Punch", mit seinem Mix aus Steampunk, Manga, Burlesque, "Blade Runner" und "Lord Of The Rings" nur eine martialische Unterwäscheschau für pubertierende Geeks und alte Herren gleichermaßen?
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Zack Snyder lässt mich im Interview diese Fragen gar nicht aussprechen, er baut sie, beinahe NLP-geschult, gleich in seinen langen Monolog ein. Der Kontroversenkönig des gewaltsüchtigen Kommerzkinos, wir erinnern uns an "300" und "Watchmen", stilisiert sein Multimillionen-Spektakel zum provokativen Diskussionsstreifen.
Wer erst den Regisseur fragen müsse, ob "Sucker Punch" Sexismus bedient oder Girlpower forciert, der ist seinen bewussten Fallen auf den Leim gegangen, meint er. Dieser Film, ist sich auch die Cast mit dem Regisseur einig, stelle einige heikle Fragen.
Vor allem zeigt er aber endlose Bilderfluten. Im Gegensatz zu Christopher Nolan, dessen "Inception" ebenfalls an der Grenze von Traum und Erwachen angesiedelt ist, hat sich Snyder inzwischen völlig von klassischen Erzählansätzen verabschiedet. Altmodischer Unfug wie eine funktionierende Story oder Dramaturgie findet man in "Sucker Punch" nur noch in Spurenelementen.
Ein Meta-Film über die unzähligen Traditionen des Genrekinos wollte er machen, sagt Snyder, eine Reflexion über den Eskapismus und dessen gute und schlechte Seiten. Ich glaube, ich habe eher eine gefühlt fünfstündige Musikvideo-meets-Computerspiel-Orgie gesehen, eine Kriegserklärung an das Feuilleton und an den Verstand, die auf die eigene Leere noch stolz ist.
Aber jetzt kommt es: So viel Selbstbewusstsein beeindruckt irgendwie schon wieder. Der sinnentleerteste, artifiziellste, überzogenste Blockbuster im bisherigen Kinojahr fasziniert auf perverse Weise. Oder kann ich die sympathische Besetzung nicht vom Film selbst trennen? Ich bin mir da gerade nicht so sicher.
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