Erstellt am: 1. 4. 2011 - 12:19 Uhr
Exportkontrollen für Überwachungstechnologien
Am Montag wird im Plenum des EU-Parlaments ein Entwurf für eine Verordnung diskutiert, der durch die Volksaufstände in der arabischen Welt schlagartig aktuell geworden ist.
Diese Verordnung soll den "Export von Dual-Use Gütern" neu regeln. Das sind Gerätschaften aller Art, die sowohl zivil als auch für militärische Zwecke genutzt werden können. Im Wesentlichen werden bestehende Regelungen konkretisiert und verschärft, insbesonders werden die Möglichkeiten zur Umgehung durch Re-Exporte über Drittstaaten eingschränkt. Verfasser bzw. "Berichterstatter" wie es im Brüsseler Jargon heißt, ist der österreichische Abgeordnete Jörg Leichtfried (SPE).
Europäische Überwachungstechnologien für Nahost
Zwei Änderungen (Amendments) dieser Novelle zur Exportkontrolle von "Dual Use"-Gütern fallen allerdings aus dem Rahmen, weil sie auf Technologien abzielen, die bis dato unbehelligt etwa nach Nordafrika und Nahost geliefert werden dürfen. Ausgenommen sind nur eine Handvoll Staaten, gegen die ein UN-Embargo läuft.
Equipment zur Überwachung von Telefonienetzen und dem Internet kann aus EU-Staaten wie Deutschland an alle möglichen diktatorischen Regimes exportiert werden, wenn es denn der "Strafverfolgung" gewidmet ist. Das deutsche Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) bestätigte auf Anfrage von ORF.at, dass dafür keine Exportgenehmigung nötig sei und: "Eine Pflicht, die Ausfuhr grundsätzlich nicht genehmigungspflichtiger Güter im Nachhinein anzuzeigen, besteht nicht."
Strafverfolger, Dissidenten
Der deutschen Exportkontrolle bleibt somit unbekannt, welche Überwachungsausrüstung made in Germany in den Telefoniennetzen Saudi Arabiens, Syriens, Tunesiens, Bahrains oder Ägyptens eingesetzt wird. Und zu welchen Zwecken: Wo friedliches Demonstrieren eine Straftat ist, werden diese Systeme natürlich auch zur Verfolgung dieser Art von "Straftaten" herangezogen.
"Die Ausfuhr der von Ihnen genannten Technik unterliegt grundsätzlich keiner Genehmigungspflicht" hieß es in einer schriftlichen Antwort des deutschen Bundesamts für Ausfuhrkontrolle an ORF.at.
Technologien, die ebenso zur Verbrechensbekämpfung eingesetzt werden, wie sie den Herrschenden als Instrument zur totalen Überwachung von Oppositionellen dienen, können bis jetzt also völlig unkontrolliert exportiert werden.
Das soll mit der novellierten EU-Verordnung anders werden, denn der neue Zusatz (Amendment) 39 beschreibt einen Export derartiger Güter dann als kontrollpflichtig, wenn dies "im Zusammenhang mit einer Verletzung der Menschenrechte, den demokratischen Prinzipien oder der Redefreiheit" steht.
"Lawful Interception"
Namentlich wenn dabei "Überwachungstechnologien und Geräte für digitalen Datentransfer zur Überwachung von Mobiltelefonienetzen oder dem Internet" ausgeführt werden. Als konkrete Beispiele dafür werden "Monitoring Centers und Lawful Interception Gateways" genannt.
Die neue Exportkontrollregelung im Volltext
Über diese Gateways werden Verkehrs- und Geodaten und SMS aber auch die abzuhörenden Telefonate selbst aus dem Netz des Betreibers an die Monitoring Centers von Polizei und Geheimdiensten. Kein Geheimnis ist, dass es sich in Nahost und Nordafrika dabei in der Regel nur um verschiedene Units ein- und desselben Unterdrückungs- und Folterapparats handelt. Bestehende Exportregelungen würden nur dann greifen, wenn nachweislich an einen militärischen Geheimdienst geliefert wird und die Überwachung deshalb nicht unter "lawful interception" fällt.
Die Despoten in Nordafrika und Nahost ziehen Überwachungstechnologien made in Germany, aus Frankreich und von den auf der Überwachungsmesse ISS in Dubai ebenfalls stark präsenten italienischen Firmen amerikanischen Produkten vor.
Die Gateways der Utimaco
Unter künftige Exportkontrollen fiele dann zum Beispiel auch ein Produkt des Aachener Unternehmens Utimaco, ein "Lawful Interception Management System".
Dabei handelt es sich um eine Art Gateway, der aus den technisch durchaus verschiedenen GSM/UMTS-Netzen von Herstellern wie Ericsson, Nokia-Siemens, Huawei usw. die ebenfalls unterschiedlichen Monitoring Centers von weniger bekannten Firmen wie zum Beispiel von ATIS Uher (Deutschland) andocken kann.
"Weder Libyen noch Ägypten"
Wenigstens ein Produkt des deutschen Hitech-Unternehmens ipoque wäre von der Neuregelung ebenfalls betroffen. Diese auf "Tiefeninspektion" aller Datenpakete in einem Netz spezialisierte Gerätschaft kann zum Bandbreitenmanagement ebenso wie zur gezielten Überwachung der Kommunikationsinhalte benutzt werden.
"Wir liefern ein Netzelement, das direkt an Monitoring Centers anschließt" bestätigte Malte Pollmann, in der mittlerweile zum Sophos-Konzern gehörenden Utimaco zuständiger Bereichsmanager. Utimaco war auf der Afrika/Nahost-Ausgabe der Überwachungsmesse ISS Ende Februar in Dubai mit Vorträgen und Workshops ebenso präsent wie andere europäische Firmen. Pollmann betonte gegenüber ORF.at, dass weder in Ägypten noch in Libyen Equipment von Utimaco im Einsatz sei.
Besonderen Wert legte Pollmann darauf, dass sich das Unternehmen selbstverständlich genau an die deutschen Exportregelungen halte. Von ATIS-Uher erging eine ähnliche Antwort auf eine Anfrage von ORF.at
Orignaltext ATIS Uher, leicht gekürzt
"ATIS systems hat - wie immer - an der Messe und Ausstellung ISS World in Dubai teilgenommen. ... Wir haben auch in diesem Jahr unsere Produkte präsentiert und selbstverständlich Interessenten aus aller Welt - so wie von Ihnen beschrieben - vorgeführt.
Die ISS-World ist eine Serie von Fachmessen für "Lawful Interception", die in jeder Weltregion andere Aussteller hat. Die Nahost/Afrika-Ausgabe in Dubai zielte denn vorwiegend auf Firmen ab, die in dieser Region Geschäfte machen.
ATIS systems ist spezialisiert auf die Herstellung von Lösungen für die Aufzeichnung und Auswertung von Kommunikation. ... Als deutsches Unternehmen unterliegen wir den Ausfuhrbestimmungen der Bundesrepublik Deutschland und der EU, und daran halten wir uns. Auch uns ist selbstverständlich daran gelegen, dass unsere Produkte nicht zur Unterdrückung von Menschenrechten eingesetzt werden."
Wie oben angeführt werden derlei Produkte, wenn sie für den zivilen Sektor bestimmt sind, derzeit grundsätzlich weder von den Ausfuhrbestimmungen Deutschlands noch der EU erfasst.
Exportkontrolle Im EU-Parlament
Berichterstatter Leichtfried ist optimistisch, das diese neuen Passagen im EU-Exportregelwerk die Plenarsitzung des Parlaments überleben werden, sicher ist das freilich nicht.
Für das "Lawful Interception Management System" von Utimaco ist eine recht detaillierte Poduktbeschreibung online. Bei ATIS Uher werden Monitoring Centers et al. sowohl für "Law enforcement" wie für "Intelligence Agencies" angeboten.
"Aus Deutschland ist sehr heftig lobbyiert worden, um deutsche Industrieinteressen nicht einer moralischen Überprüfung unterziehen zu müssen", sagte Leichtfried zu ORF.at. Dazu kommt, dass wie immer auch der EU-Ministerrat - das sind die nationalen Minister der 27 Mitglierdsstaaten - hier mitzureden hat. Neben deutschen sind vor allem italienische und französische Überwachungsfirmen in Nordafrika und Nahost stark vertreten, wobei auch Schwergewichte wie der Rüstungskonzern Thales darunter sind.
Nach der Debatte am Montag wird entweder Dienstag oder Mittwoch im Plenum abgestimmt.