Erstellt am: 1. 4. 2011 - 01:54 Uhr
Brooklyns hippste Band
Die Grazie des Unheilvollen
Es braucht ja nicht vieler Worte. "Oh baby don't shake hands with Lucifer", singt Dyter Bolin in einem Song mit dem ermunternden Namen 'Lucifer'. Er singt es immer wieder und wir wollen erst gar nicht wissen, was ihm da genau verlustigt gegangen ist. Längst sind selbst die zufällig Gestrandeten Gläubige seines Lamentos. Niemand an diesem Abend in der Glasslands Gallery konnte sich lange gegen die Kontinente einnehmende Stimme wehren. Bolins Organ lässt das Knochenmark kochen oder einfrieren - je nachdem. Nenn es Stone Cold Soul oder Hot Sauce Elektro. „Dark Wave“ steht jedenfalls am Beipackzettel. Das Wort System bedeutet im Englischen „System“. Einerseits. Andererseits steht es auch für „Systäm“.
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So wie derzeit viele fellow Brooklyn-Acts bedienen sich auch Bolin und seine Partnerin Nadja Abd El Farrag kräftig im Plastik-Instrumentalfuhrpark der Prä-Digitalära. Doch kaum ein anderer Act schafft es dabei so zu überzeugen. Das liegt nicht nur an der alle Höhen und Tiefen erklimmenden Stimme von Bolin, die sonst noch in den Aufnahmen befreundeter Bands wie Modernes Sprechen oder C.C.Catch zu hören ist, sondern auch an seiner Produktion.
Der Frisur- und Klangmeister zielt auf den maximalen Effekt am Trommelfell und nicht auf ein vintage Feel oder die vermeintliche Souveränität im Umgang mit den "richtigen" Referenzen. So lässt es sich erst recht völlig ungeniert auf den Putz hauen. Die Stücke der Debüt-LP 'Walking On A Rainbow' sind bevölkert von Soundviechern, die man von Goth, Industrial, Metal und Electro kennt. Hier erklingen die Hells Bells, dort wiehert ein schwarzes Ross aus dem Jenseits, die Drum Machine scheppert oder schießt Bassdrum-Salven, die Synthis tanzen Laser-Kreise, Gitarren schneiden, gedachte Phaser feuern aus der Zukunft in die Hölle. Und über allem trohnt mit grimmiger Würde die Stimme von Dyter Bolin.
Live wird das zunächst europäisch angegangen. Anstatt brav den Timetable einzuhalten, werden über einen langen Zeitraum Zwitscherkisten-Türme aufgewuchtet und verkabelt. Das Set beginnt mit kräftiger Verspätung, wird dafür aber gleich nach der ersten Nummer von Bolin abgebrochen. Die Monitore sind im Eimer. Bis der Defekt gefunden ist, zwingt der Starkstromvokalist das Publikum zum Witze erzählen. Man kalauert ohne Widerstand.
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Später muss es doch noch ohne Monitore gehen. Erst am Ende der Nacht sollten wir im sich lichtenden Lokal zufällig über ein loses Kabel stolpern, das die Schaltkreise miteinander verbinden hätte sollen. Aber egal. Die Stimmsalven fanden auch so ihr Ziel während der Automodus des mitgebrachten Stratomonsters Laser-Kathedralen in den Glasslands errichtete.
Am Ende war nicht mehr klar, wie lange diese Elektro-Götterdämmerung eigentlich gedauert hat. Die Auslöschung des Zeitgefühls ist natürlich als Kompliment zu verstehen. So herrlich schlecht am nächsten Tag habe ich mich schon Ewigkeiten nicht mehr gefühlt.
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Zugetragen hat sich das vergangenen Freitag im äußeren Zipfel von Williamsburg unten am Ufer des East River. Ich nenne die paar Blocks zwischen Grant Street und Williamsburg Bridge den "Keller Brooklyns". Hier lassen die lokalen Behörden immer noch einige Verrückte halblegal werken, in der Glasslands Gallery oder dem Death By Audio.
Kreaturen der Nacht - mit dem New Yorker Duo Light Asylum in der Laser-Kathedrale. Oder: Eine Fotoschau aus dem Keller Brooklyns.
Die Langspielpaltte 'Walking On A Rainbow' ist bestimmt über die Website der Band zu beziehen. Blue System werden hoffentlich auch bald eure finsteren Gassen erhellen. Keine Scheu, es gilt ohnehin: „Take your chance - 'cause baby all dreams will be crucified" (aus dem Song 'Lucifer').