Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Die Besteigung der Eiger-Nordwand unter einer Treppe"

Mari Lang

Moderiert, beobachtet und probiert aus – neue Sportarten, Bücher und das Leben in der Ferne. Ist Ungarn-Fetischistin.

30. 3. 2011 - 23:11

Die Besteigung der Eiger-Nordwand unter einer Treppe

Eine Kletterroute wie das Leben: Der Debütroman von Max Scharnigg ist ein literarischer Gipfelsturm.

Einmal im Leben ganz oben stehen - am Gipfel des Eiger. Davon haben schon viele geträumt. Im Sommer 1938 ist es erstmals einer Gruppe von österreichischen und deutschen Bergsteigern gelungen eine der längsten und anstrengendsten Kletterrouten der Alpen zu bezwingen, Steinschläge und Lawinen zu überwinden. Aber nicht nur Alpinisten sind seit jeher fasziniert von der rund 1.650 Meter hohen Wand. Auch Filmemacher, Dichter und Schriftsteller haben sich immer wieder mit der Schweizer Eiger-Nordwand auseinandergesetzt. Der deutsche Journalist Max Scharnigg, der u.a. für das Jugendmagazin der "Süddeutschen Zeitung" schreibt, ist einer von ihnen.

Eiger-Nordwand

flickr.com/chuckoutrearseats

Blick auf die Eiger-Nordwand

Vor kurzem ist sein Debütroman "Die Besteigung der Eiger-Nordwand unter einer Treppe" erschienen, eine Geschichte, die einem kleinen literarischen Gipfelsturm gleichkommt. Darin erzählt er die Geschichte von Nikol Nanz, einem jungen Journalisten, der einen Artikel über die mühevolle Erstdurchsteigung des Eiger schreiben will. Die Arbeit daran wird jedoch zu einer mühevollen Erstdurchsteigung seines eigenen Lebens.

Max Scharnigg: Die Besteigung der Eiger-Nordwand unter einer Treppe

Hoffmann und Campe

Als der junge Mann eines Abends heimkommt, findet er vor seiner Wohnungstür etwas, das ihn völlig aus der Fassung bringt – grüne Lederschuhe. Von drinnen hört er eine Männerstimme und seine Freundin, die seit Monaten das Bett nicht mehr verlassen hat, psychosomatisch erkrankt ist und jeglichen Kontakt zu ihren Freunden abgebrochen hat. Die Erzählung beginnt realistisch, gleitet jedoch schon nach wenigen Seiten ins Absurde und Kafkaeske ab.

Der Ich-Erzähler macht kehrt und verschanzt sich unter der Treppe des Wohnhauses – tage-, ja, wochenlang. Sein Stoffwechsel setzt aus und in einer Art Dämmerzustand schreibt er an seinem Artikel über die Bergsteiger Anderl Heckmair und Ludwig Vörg. Bis ihn eines Tages ein Nachbar in seinem winzigen Verschlag entdeckt. Herr Schmuskatz, so heißt der grauhaarige Alte, lädt ihn auf ein Paprikahendl zu sich in seine Wohnung ein. Zwischen verstaubten Büchern und durchgesessenen Stühlen entspinnen sich bald intime Gespräche zwischen den beiden, in denen man von der symbiotischen Beziehung des jungen Journalisten zu seiner Freundin erfährt und unterhaltsame Anekdoten aus der Jugend des Herrn Schmuskatz hört.

"Als Bub hatte ich mich in die Miss Universum verliebt. [...] Lisl Goldarbeiter war eine Berühmtheit, ein Star, zumindest in Wien. [...] Der Vater ungarischer Jude, ich weiß nicht mehr, war er Wirt oder Koch oder, eh, jedenfalls ging bald die Geschichte von seinem Paprikahendl durch die Stadt. Es war das liebste Essen der Lisl, in jedem Interview sagte sie das, auch in Amerika. Das Paprikahendl vom Papa! [...] Und weil mir diese geheimnisvolle Speise endlos verwehrt war, steigerte ich mich in einen regelrechten Paprikatrieb hinein."

Weitere Leseempfehlungen:

Der Münchner Max Scharnigg findet in seinem Debüt eine gute Mischung aus Sprachakrobatik und Sätzen, die so wirken, als wären sie nur mal so dahingeschrieben worden. Immer wieder bleibt man entzückt an einfachen und doch so treffenden Formulierungen wie "das Paprikahendl warf mich um" hängen. Und man staunt über die Leichtigkeit mit der der Autor die reale Geschichte der Erstbesteigung der Eiger-Nordwand mit der surrealen Besteigung des Treppenhauses verwebt. Eines Nachts machen sich der junge Nanz und der alte Schmuskatz auf, um mit Steigeisen und Seilen bestückt in den zweiten Stock zu gelangen, zurück zur Wohnung des Journalisten und seiner Freundin, und rasch merkt man, dass es hier im Grunde um eine Art innere Besteigung geht. Der Ich-Erzähler muss die lähmenden Hindernisse seines eigenen Alltags und den Gipfel seiner Ängste erklimmen. Erst dann kann er wieder langsam den Abstieg antreten.

"Ich sah mich um. Etwas hatte sich hier verändert, aber ich konnte nicht gleich sagen, was es war. […] Da, in den Augenwinkeln, bemerkte ich etwas Altes, das sacht ein paar Federn ließ."

Wortspiele Wien

Wortspiele Literaturfestival Logo

Wortspiele

Die Wortspiele Wien finden am 31.3. und 1.4.2011 im Porgy & Bess statt.

Max Scharnigg liest am Donnerstag, 31. März 2011, im Porgy & Bess aus seinem Debütroman "Die Besteigung der Eiger-Nordwand unter einer Treppe". Bei den Wortspielen, dem Internationalen Festival Junger Literatur, das zum siebten Mal in Wien stattfindet sind u.a. arrivierte Autoren wie Michael Stavaric, Xaver Bayer und Clemens J. Setz zu Gast. Außerdem lesen Debütanten wie Judith W. Taschler und Marjana Gaponenko.