Erstellt am: 30. 3. 2011 - 12:14 Uhr
40 Jahre elektronische Musik
Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los. Man soll die ganze Angelegenheit mit dem 90er-Euro-Dance-Dingens doch bitte nicht allzu hochkochen. 80er-Jahre-Revival ist jetzt also endlich - immerhin in den Kreisen der kühlsten Coolness - durch, an allen Ecken flüstern die 90er, in der Indiekrach-Gitarre, im Flannellhemd, die geile Leder-Freizeit-Jacke aus My So-Called Life wird wieder hip, und der Dancefloor, der bezieht sich auf Trash und Reel 2 Real, aber auch auf Voguing und die Phase, in der total korrekter House seine Duftmarken im Mainstream hinterlassen hat.
daniel gebhart de koekkoek
Möchte man Spuren hierfür finden, eignen sich beispielsweise "Blue Songs", das aktuelle Album von Hercules & Love Affair, und das wunderbare Video zur dazugehörigen Single "My House" als Einsatzgebiet besser denn "Wolfram" von Wolfram. Es braucht eben einen Aufhänger, und, dass jetzt Andy Butler, der Kopf von Hercules & Love Affair, den Promotext zum Debütalbum des prominent durch die Welt gurkenden Kärtners verfasst hat und dort vollmundig das Wort "Euro" bemüht, schlägt ungewollte Wellen. Wellen, ähnlich den Wellen der Doofheit, die sich einzig aus der Tatsache speisen, dass um irgendwas und irgendwen ein "Hype" veranstaltet wird: Ein "Hype"! Alles macht er schlecht.
Permanent Vacation
Man muss also "Wolfram" von Wolfram, dem einstigen Unterwäsche-Model für Yohji Yamamoto, nicht danach bewerten, dass hier ein International Jet-Setter am Werk ist, ein Coolness-DJ mit wirren Haaren und zwanzig Handvoll heißen Promis im Telefon-Speicher. Wenn Andy Butler "Euro" sagt, dann meint er nämlich auch Kraftwerk: So ist Wolfram nicht bloß geschickt-frecher Netzwerker, der mit Glück und Chuzpe durch die Szenen stolpert, sondern überlegter Arrangeur und ein Verknüpfer von Codes und Phasen, der die Geschichte der Popmusik kennt. "Wolfram" widersetzt sich der Zuschreibung an ein bloßes Gimmick.
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Gut, Wolfram Eckert, als Co-Host der durchaus "legendären" E-nix Gang-Bang Parties und DJ sicherlich in Österreich, aber auch zwischen NYC und Schwabing lange kein Unbekannter mehr, ist der Ironie und dem Humor nicht abgeneigt: Debile Flyer, das dann und wann verwendete, geschmacklich fragwürdige Pseudonym "Diskokaine", und vor Jahren - vor dem "augenzwinkendern" Schlecht-Ist-Gut-Gedöns - konnte bei ihm im Vorprogramm von 2 Many DJs auch schon mal Scooter auf den Plattentellern landen.
Wenn Wolfam - wie schon ausreichend dokumentiert - den guten alten Haddaway für den Track "Thing Called Love" ans Mikrophon bittet, macht er das natürlich im vollen Bewusstein, hier einen geilen Move zu landen, der nicht grade von Subtilität lebt, sondern zuvordererst Assoziationen weckt und die nostalgische Ader - im Guten wie im ganz Übeln - kitzelt. Wäre die Nummer aber nun eine schlechte, dann wäre auch der Gag ein schnell erschöpfter. So aber kann man über wenigen Zutaten schwebend - Drum-Machine, Synth - aus dem Schmelz von Haddaways Stimme eine Tragik herausahnen und immerhin vermuten, dass der Mann vielleicht lieber ein ernstgenommener House- oder- Soul-Sänger geworden wäre.
daniel gebhart de koekkoek
Wolfram, der Mensch, und "Wolfram", das Album, betonen von gut 40 Jahren elektronischer Musik inspiriert zu sein, und wer hinhört, wird hören: Mit haufenweise Gästen in gerade mal acht regulären Stücken, plus einer leicht modifizierten und einer stärker für den Dancefloor aufdiscofizierten Version eines Album-Cuts, umreißt Wolfram anhand einiger weniger beispielhafter Stationen das Koordinaten-System "Elektronik". Höchstvermutlích nicht mit großer Agenda, hier eine Kartografie der Maschinen-Musik zu betreiben, sondern wohl eher beiläufig - mit dem Geschmacksfühler zwischen den Orten und dem Wunsch nach Stilpluralismus.
Die hinlänglich bekannte und großartige Lead-Single "Fireworks" mit neben Andy Butler auch Kim Ann Foxman von Hercules & Love Affair ist die anhand schwülstiger Synthie-Melodie so ziemlich einzige sehr eindeutig an den 90ern andockende Nummer.
Das gemeinsam mit dem DFA-Duo Holy Ghost! (das ja jetzt bald endlich auch mit seinem lange, lange erwarteten Debütalbum vorstellig werden wird) entwickelte "Hold My Breath" ist ein komplett in den Nuller-Jahren verankertes Stück supersweet Zuckerguss-Pop, das dergestalt in den vergangenen zehn Jahren des öfteren entstanden ist, wenn es irgendwelchen Indie-Typen mit funky Post-Punk im Hinterstübchen gelungen ist (oder das Gegenteil davon) mit ihren Mitteln ihre Vorstellung einer True-Disco-Nummer nachzustellen.
Wolfram
Mit Sänger Paul Parker, der - produziert von Legende Patrick Cowley - vor gut zwanzig Jahren einen Nummer-Eins-Hit sein Eigen nennen konnte, kommt Wolfram mit Hi-NRG in den 80ern an, dazwischen gibts dunkle Carpenter-Soundscapes und eindeutige Verbeugungen vor, genau, Kraftwerk. Bei "Norway" mit Sebastian vom das Pathos vielleicht doch etwas zu ernst nehmenden Synth-Pop Duo Heartbreak mag man vielleicht kurz an Trash denken, beim 10-minütigen, ausfransenden und gemeinsam mit Patrick Pulsinger zusammengedrehten Techno-Jam mit Kraut-Schräglage "Teamgeist" keine Sekunde.
Ein Album wie eine Compilation: Hier ist es, das Bindeglied zwischen den Epochen und den Styles, die gut sortierte, durcheinandergewürfelte Plattentasche und das Flickwerk Supreme, das natürlich auch mit koketten Oberflächenreizen hantiert und abgewetzen Retro-Signalen winkt. Man soll sich nicht vom billigen Charme blenden lassen.