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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

30. 3. 2011 - 06:00

Arbeitsmoral

"Sohn, du musst Geld verdienen", sagte mir meine Mutter als ich 17 war und gab mir ein Ticket nach Varna.

Es ist cool, eigenes Geld zu haben, außerdem wird Varna im Sommer zum Zentrum des bulgarischen Party- und Kulturlebens. Die Stadt wächst auf eine Million Einwohner an und jeder will irgendwo sein Geld ausgeben. Ich nahm das Ticket ohne zu zögern entgegen.

Mein Einstieg in die Arbeitswelt war in "Goldstrand". Das ist eine Siedlung für Massentourismus in der Nähe von Varna. Menschen aus Ost-Deutschland, Tschechien und Russland geben zu Spottpreisen ihr Geld für Saufen und Essen aus. Sie laufen frei von jeder Verantwortung in eine Welt voll mit billigem Alkohol, billigen Drogen und billigen Frauen. Der Strand gehört den unzähligen Hotels, die wiederum der Mafia gehören.

Strand in Bulgarien

Goldstrand

Goldstrand

Mein erster Job war Strandputzer. Ich musste die Überreste der Partynacht entfernen. Da ich aber der einzige Strandputzer auf diesem Strand war, der jemals mit TouristInnen in deren Sprache sprechen konnte, wurde ich schnell befördert. Ich wurde Gepäckträger im Hotel mit dem unglaublich originellen Namen "Golden Beach Hotel - Goldstrand". Das sechsstöckige Hotel wurde, hauptsächlich aus Gipskarton, in nur sechs Monaten erbaut. Danach hat es - ich weiß nicht nach welchen Kriterien - seinen 4-Sterne Status erhalten.

Es ging immer etwas kaputt. Deshalb war mein bester Freund im Hotel der Hausmeister Bai Petko. Bai Petko erzählte immer, dass er Geschlechtsverkehr mit den Müttern von Personen und Sachen haben will. Das Wort "Mutter" verwendete er hunderttausend Mal am Tag, allerdings selten nicht im Zusammenhang mit dem Wort "ficken". Ich musste Bai Petko zu den Zimmern bringen und den Gästen erzählen, dass er gleich den Schrank, die Klimanlage, den Fernseher oder das Bad reparieren wird. Zum Glück sprachen die Touristen kein Bulgarisch.

Wenn es regnete, blieben die Aufzüge im "Golden Beach Hotel" immer stecken. Einmal blieb ich im Lift gemeinsam mit Bai Petko und Hannelore aus Köln hängen. Hannelore geriet in Panik, sie fing an zu schreien, auf alle zu Knöpfe zu drücken und rief schließlich ihre Mutter in Köln an, um zu verkünden, dass sie im Fahrstuhl stecken geblieben sei. Währenddessen stand Bai Petko in der Ecke und fluchte. Er fing bei der Mutter von dem, der diesen Fahrstuhl gebaut hat an. Es folgte die vom Hotelmanager. Nach ihr kamen sämtliche Verwandte vom Hotelmanager. Die nichtsahnende Mutter der armen Deutschen im Fahrstuhl am anderen Ende der Telefonleitung in Köln wurde auch nicht verschont. Am Ende kamen natürlich die Mütter von Regierungsmitgliedern und aller Politiker überhaupt dran. Die Arbeitsmoral von Bai Petko war mein erstes großes Vorbild im Leben.

Auch voll Moral: Mischa aus Serbien

In Sachen Arbeitsmoral bewundere ich auch meinen Kollegen Mischa aus Serbien. Ich und Mischa sind manchmal die Moderatoren vom Promotionsglücksrad einer großen schwedischen Möbelkette. Man kann sicherlich eine psychologische oder anthropologische Studie anhand dieses Jobs schreiben. "Die Wirkung des Wortes 'gratis' auf die Menschheit" oder so was Ähnliches.

Buntes Glücksrad

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Kleine Kinder und alte Omas schauen sich dieses blöde Glücksrad mit der gleichen verzauberten Miene an. Polen, Inder, Araber, Ungarn, Chinesen und ältere österreichische Männer mit Thaifrauen, die sie wahrscheinlich aus dem Internet bestellt haben, stellen sich an, drehen das bunte Rad und erwarten ein Eis oder einen Kaffee. Mein Kollege Mischa macht seinen Job sehr hingebungsvoll. Bei jedem Dreh verkündet er sehr laut den Gewinn: "Und sie gewinnen einen Saaaaaft!". Dabei macht er eine leichte Verbeugung und übergibt den gewonnenen Gutschein. Pech hat der glückliche Gewinner, wenn er statt einem Saft einen Kuchen will. Mischa ist ehrlich und lässt die Gutscheine nicht umtauschen. Ich versuche Mischa zu erklären, dass es dem Kaufhaus völlig egal ist, was man an diesem Glücksrad gewinnt und dass das Ziel der ganzen Sache ist, dass sich der Gewinner nebenbei eine Lampe, eine Kommode oder gar ein Sofa kauft. Mischa bleibt aber hart. Für einen Kuchen muss man sich noch mal anstellen. Ich bin sicher, auf Mischa wartet eine große Karierre. Hoffentlich in der Politik und nicht im Showbuisness.

Arbeit macht schön, meinten Einige. Arbeit macht das Leben süß, meinten Andere. Jedoch glaube ich, dass die meisten, die über die Tugenden der Arbeit predigen, eigentlich gerne mit Supermodels auf ihren Knien Champangner trinken und mit ihren Pistolen schießen.