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Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

24. 4. 2011 - 19:32

Tagebuch zum Jahr des Verzichts (16)

April: Süßspeisen / Mai: Rauchen (vorgezogen)

marc carnal

2011 wird Tagebuch geführt und verzichtet: Monatlich auf ein bestimmtes Sucht- und Genussmittel, auf Medien oder alltägliche Bequemlichkeiten. Jeder Verzicht ist klar eingegrenzt. Es gelten freiwillige Selbstkontrolle und dezenten Gruppendruck unter den Mitstreitern.

Sonntag, 17. April

■ Erstaunlich viele Menschen begreifen die genauen Unterschiede zwischen "Serie", "Staffel" und "Folge" nicht.

■ Wie ich bereits vor über sechs Jahren an dieser Stelle postulierte, habe ich noch nie in meinem Leben ein Ei gegessen, weder in Spiegel-, Rühr- noch Oster-Form.

Bis heute.

Besuche mit Kollegen Wurm den Simmeringer Flohmarkt. Nach einem Streifzug durch das mäßig sensationelle Warenangebot trinken wir Kaffee. Plötzlich legt mir der Kollege ein buntes Osterei auf den Tisch und fordert mich zum Duell. Nach erfolgtem Pecken komme ich in Verlegenheit, springe sodann über meinen Schatten und beiße erstmalig in meiner ansonsten erfüllten, in puncto Eierverzehr aber kargen Biographie in ein Hühnerei.
Es schmeckt nach nichts. So gesehen ist mir also auch nichts entgangen.

Montag, 18. April

Weltamateurfunktag - Der Feiertag der Verschrobenen

marc carnal

Putzen und trotzdem erreichbar sein - Der Traum vieler Hausfrauen, die bisher das Klingeln ihres Telefons nicht hören konnten, weil der Staubsauger zu laut war.

■ ORF.at beleuchtet die Etymologie des Wortes Etymologie des Wortes O.K. Der Zweisilber birgt mannigfaltige Einsatzmöglichkeiten:

  • Okeeeee?

Vierzehnjährige Girls, deren Ironiehorizont gesprengt wurde.

  • Oke-oke-oke-oke-oke-oke!

Rhetorische Notmaßnahme gegen einen Redeschwall

  • Ooooo-kay! (beide Silben gedehnt, möglichst amerikanisch ausgesprochen)

Autoritätsverweigernde Reaktion von eigentlich schon ausgestorbenen Jugendlichen der Marke "Sister Act 2"

  • OK….OK……Ja…..OK…. (schnell, abgehackt)

Füllwort bei Telefongesprächen, ungebrochenes Zuhören bekräftigend

  • OK... OK... OK... OK... OK (ebenfalls abgehackt, schnellerer Intervall)

Reaktion während engagiert vorgetragener, besonders packender Anekdoten, die eine knusprige Pointe versprechen.

  • Ohhhkehhh.

Verständnisheuchelnde Variante, gerne von Religionspädagogen oder Kindergärtnern eingesetzt, kombiniert mit bedauernder Mimik.

Dienstag, 19. April

■ Der russische Billigladen-Tandler in meiner Straße behauptet verlässlich bei jedem Kauf, dass er die erworbenen Geräte und Utensilien auch privat verwende und damit sehr zufriedenen sei.

Lasse mich von der Bärlauch-Saison dazu hinreißen, einen Mörser zu erstehen, eines der überflüssigsten Küchengeräte überhaupt.
Was sagt der Russe, als ich bezahlen will?
"Habe ich privat auch! Isse sehr gut!"

Ich bemühe alle Mut-Reserven und frage ihn, wofür er das Werkzeug denn gebrauche.
Er sieht zuerst mich und dann den Mörser ratlos an und antwortet dann vorsichtig: "Trommeln."

HA! Erwischt!

marc carnal

■ Fast ein Jahr nach meiner Behauptung, dereinst Bier einer Billigmarke gekauft und nicht genossen zu haben, was die Kollegen Wurm und Futtinger anzuzweifeln wagten, erbrachte ich heute den klaren Beweis. "Eines Tages stelle ich euch noch so eine Dose auf den Tisch!", spuckte ich letzen Sommer große Töne. Endlich ließ ich Taten folgen und die beiden Ungläubigen mussten sich zähneknirschend mit dem raren Produkt ablichten lassen.

■ Ich bin seit knapp zehn Jahren Kettenraucher. In dieser Zeit habe ich täglich durchschnittlich dreißig Zigaretten geraucht. Bisher habe ich also für rund einhunderttausend Zigaretten über fünfzehntausend Euro investiert.
Mein bisher letzter rauchfreier Tag dürfte 2004 infolge eines besonders hartnäckigen Katarrhs gewesen sein. Es ist knapp vor zwei Uhr früh und ich rauche meine drei letzten Zigaretten, auf jeden Fall bis Ende Mai, womöglich für immer.

Mittwoch, 20. April

■ Alles Gute zum Geburtstag, A.H.!

SKANDAL!
FM4-Neonazi gratuliert öffentlich dem Führer!

NEIN!
Beste Geburtstagswünsche meiner lieben Gattin Amina Handke!

■ Tag 1 der Rauchentwöhnung:
Nach zwei recht reglosen Stunden im Bett mit Leitungswasser und ansprechender Lektüre beginne ich mit einer freiwilligen Tortur. Anstatt jene Situationen zu meiden, die ich für gewöhnlich gerne rauchend verbringe, suche ich diese förmlich.

Zuerst schlage ich mir den Ranzen beim japanischen Mittagsmenü derartig voll, dass ich zu bersten drohe. Hernach nehme ich Kaffee im vertrauten Hinterzimmer des Café Schmid Hansl ein, bevor ich einen ausgedehnten Spaziergang unternehme, um dann im Raucherbereich Bier zu bestellen.

Das Unterbewusstsein brüllt mitunter nach Zigaretten, der Verstand argumentiert dagegen sachlich, dass es eigentlich keine Schwierigkeit sein darf, etwas nicht zu tun.
Mit diesem simplen Gedanken und hochwertiger Ablenkung in Form von Menschen, Speisen und Getränken lässt sich mein erster rauchfreier Tag seit sieben Jahren souverän bewältigen.

■ Einsam?
Hässlich?
Dumm?

Kein Problem!
Die Folgen 200 bis 250 des Ron Tyler Archivs als Playlist:

Donnerstag, 21. April

■ Mehrere Freunde behaupten, der unvergessliche Walter Schiejok (Konflikte!) sei bereits den Weg alles Irdischen gegangen und weile nicht mehr unter uns.
Die Bestätigung der Telefonistin des ORF-Kundendienstes scheint nicht besonders verlässlich zu sein, die Tippgeräusche im Hintergrund lassen darauf schließen, dass sie auch nur den Wikipedia-Eintrag bemüht.

Woher kommen wir?
Wohin gehen wir?
Lebt Walter Schiejok noch?
Und kann zumindest jemand die dritte Frage beantworten?

■ Tag 2 der Rauchentwöhnung:
Alles duftet! Achselschweiß, Flieder, Frittierfett, schon nach knapp zwei Tagen ist der Geruchsinn wieder auf Vordermann.

In meiner Wohnung riecht es beinahe wie in den Raucher-Demütigungs-Kammern am Flughafen, was retrospektiv erschreckend ist und einen Dauerbetrieb der Waschmaschine samt offenen Fenstern erfordert.

Die nächste harte Prüfung besteht darin, den Tag alleine zu Hause zu verbringen. Immer griffbereit eine volle Packung Zigaretten. Man will ja freiwillig aufhören.

■ Aperol Spritz, geh scheißen!

Freitag, 22. April

Tag der Erde

marc carnal

■ Verfassen Sie eine Interpretation dieses Bildes mit einer maximalen Länge von 500 Zeichen und vermeiden Sie dabei die Begriffe Missbrauch, Kampusch, Kinderschänder und Gewaltverbrechen.

■ "Bei dir war es immer so schön" ist das prächtigste Liebeslied der Welt.

■ Tag 3 der Rauchentwöhnung:

An einem Freitag vor einem langem Wochenende die Mariahilfer Straße auf der Suche nach Schuhen abzugrasen, ist grundsätzlich nicht empfehlenswert. Gepaart mit der Tatsache, dass es kaum gleichsam leichte, Fußschweiß verhindernde und schöne Herrenschuhe für heiße Sommertage gibt und der noch frischen Nikotin-Abstinenz wird der Shoppingnachmittag zum neurologischen Jahrhundertexpermiment.

Samstag, 23. April

Tag des Deutschen Bieres, Kinderfest und Welttag des Buches und des Urheberrechts - It's Partytime!

■ Tag 4 der Rauchentwöhnung:

Ich werde das Gefühl nicht los, dass Wiens Straßen ausnahmslos von Confiserien und Trafiken gesäumt sind.
Erstmals bringt mich das Jahr des Verzichts in erwähnenswerte Schwierigkeiten. Wie gerne würde ich die fehlenden Zigaretten mit Konfekt kompensieren und von mir aus hundert Kilo zunehmen! Hauptspeisen und Alkohol sind die einzigen Freuden, die mir noch geblieben sind.

■ Die gesamte Fastenzeit hindurch bekam ich das sogenannte Papst-SMS zugesandt. Hier mein persönliches Best of der Benedikt-Bonmots:

  • "Wir müssen mit Jesus Christus mit-denken und mit-wollen lernen. (Hä?! Anm. des Empfängers)" (14.03.)
  • "Gott hat unsere Vernunft erschaffen und schenkt uns den Glauben, indem er unserer Vernunft anbietet, diesen als wertvolle Gabe zu empfangen." (17.03.)

Da hat Gott nicht nur bei meiner Vernunft ordentlich gepfuscht. Wenn die Vernunft von Gott geschaffen wurde und gleichzeitig das Trägermedium unseres Glaubens ist, kann man den Allmächtigen ob der vielen Fehlfabrikationen nur anzweifeln. Nachdem Gott laut Fernsehreklame Kaffee-Tabs begehrt: Würde er sich nicht auch wundern, eine Maschine zu besitzen, in die sich nur zehn Prozent aller vom Hersteller feilgebotenen Tabs stecken lassen?

  • "Viele neigen heute zu der Anmaßung, niemandem etwas schuldig zu sein." (01.04.)

Ich nicht:
F.: 50€
R.: 220€
H.: 35€
Geduld, liebe Freunde!

  • "Ohne die Aussicht auf das ewige Leben fehlt dem menschlichen Fortschritt in dieser Welt der große Atem."

Blödsinn, Papst: Gerade die Endlichkeit des Seins treibt uns an. Vieles an Fortschritt entspringt dem Wissen um das rasche Ende des irdischen Gastspiels und die fehlende Existenz Gottes.

  • "Der Mensch muss lernen, dass er nicht gegen den anderen beten darf." (12.04.)

Wobei Wett-Beten durchaus Samstag-Abend-füllend sein könnte.

  • "Wenn ich niemanden mehr anrufen kann - zu Gott kann ich immer reden." (13.04.)

Und das verschickt ausgerechnet ein Mobilfunk-Anbieter!