Erstellt am: 28. 3. 2011 - 12:30 Uhr
Glühen 5
Im Radio:
Am Donnerstag, 31. März, gibt es ab 20.30 Uhr ein Homebase Spezial zum ersten sound:frame Wochenende mit Interviews und Live-Mitschnitten mit u.a Lindström, Teebs, John Roberts u.a.
Die Idee mit den Partystraßenbahnen ist eine großartige. Unterkühlt hineingeworfen in sofortigen Feier-Hochdruck, schiebt man sich mit einer der vier Bahnen, von DJs beschallt und fast ausschließlich Prachtmenschen umgeben, durch die Stadt hinaus in die Ottakringer Brauerei, um dort zu erfahren, wie das von höchster Liebe zum Thema beflügelte, nur mit geringfügigen Abstrichen komplett - das kann man jetzt schon so sagen - herrliche sound:frame-Festival auch im fünften Jahr des Bestehens mit der Losung "Audivision" auf den Fahnen an der Verzahnung von visueller Sensation und musikalischer Raffinesse sowie deren adäquater Abbildung knobelt. Zwischen viel Leuchten und Glühen, zwischen Projektion, Performance und Installation hat das sound:frame am ersten von insgesamt drei Wochenenden ein nicht nur vielseitiges, sondern vielseitig kribbelig machendes Musik-Programm in den groben Klotz Brauerei gebucht.

Claudio Farkasch (sound:frame/lichtschalter.tv)

Claudio Farkasch (sound:frame/lichtschalter.tv)
Nach Ken Hayakawa gibt sich Freitag Nacht die Berliner Combo Raz Ohara and the Odd Orchestra - auf Platte eigentlich sehr gut - etwas unmotiviert. Mittlerweile um den großen Hanno Leichtmann (u.a. Static, Vulva String Quartett) an den Drums erweitert, zum Quartett angewachsen, demonstriert das Odd Orchestra eine Art säuselnden Indie-Soul, der in der Nähe von Jamie Lidell oder, aktueller, jaja, von James Blake gefunden werden könnte, und ausfransendes Gitarren-Genudel. Barfuß auf der Bühne, so eine Band ist das. Das hat mitunter bestechenden Charme, ist aber vor so vielen Menschen, denen die Beine jucken, eventuell fehl am Platz.
Es gibt Menschen, die meinen, Hans-Peter Lindstrøm habe mit seinem Track "I Feel Space" aus dem Jahr 2005 quasi eigenhändig dieses ganze Space und Cosmic Disco Revival und die Neo-Disco-Flutung angetriggert - er selbst sieht das nicht gar so eng und hat immer schon in anderen Wassern gefischt. Sein Live-Set ist leider ein durchwachsenes. Stark auf die Notwendigkeiten eines großen Dancefloors abgestimmt, bleibt wenig über von der kosmischen Energie und den offenen Sound-Ausritten vieler Lindstrøm-Produktionen. Sehr schön und überraschend jedoch das hohe Aufkommen von Vocals und die bouncende Annäherung an Boogie und Funk im Geiste von beispielsweise Zapp and Roger.

Claudio Farkasch (sound:frame/lichtschalter.tv)

Claudio Farkasch (sound:frame/lichtschalter.tv)

sound:frame
Immer schon da gewesen sind Dat Politics: Die mittlerweile zum Duo geschrumpfte Gruppe, die aktuell wohnsitztechnisch zwischen Berlin und Frankreich agiert, weiß, wie man die Bühne zerlegt, auch wenn es gar keine gibt. Auf Augenhöhe mit dem Publikum auf dem kleinem Floor exerzieren Dat Poltics die ganze schäbige Pracht ihrer Mischung aus Billig-Beats, Quietsch-Effekten, Rotz-Attitude und Umhänge-Keyboard vor. Immer super, momentan etwas näher dran an 80er-Ästhetik und fast sowas wie Songwriting.

Claudio Farkasch (soundfram:frame/lichtschalter.tv)
Video: Ein Rundgang durch die Ausstellung des sound:frame-Festivals (Katharina Seidler)
Nachdem am Samstag Abend Cid Rim And The Clonius den Mainfloor schon gut angeheizt haben, steht Pariah mit seinem DJ-Set ein wenig auf verlorener Position. Der sehr junge und auch so aussehende Engländer hat 2010 zwei nicht weniger als umwerfende Platten beim wieder erstarkten belgischen Label R & S (z.B. James Blake, und demnächst in ganz groß: Blawan) veröffentlicht: Stark sample-basierende Bastel-Arbeiten aus dem Kinderzimmer, die der Dunkelheit des großen Geistes Burial huldigen, dabei aber das lose Koordinatensystem "Dubstep" stark Richtung tanzbarem Funk dehnen. Das Wort Post-Dubstep mag Pariah - wie wohl sonst kaum jemand - nicht, derlei Musik kommt dann in seinem Set auch wenig vor. Wie nicht bei nicht wenigen jüngeren UK-Produzenten, die eher aus der Breaks/Dubstep/Garage-Ecke kommen, ist in letzter Zeit eine erhöhtes Interesse an kontinentaler Tanzmusik mit gerade Bassdrum zu verspüren - nachzuhören übrigens auch auf dem aktuellen Release von Joy Orbison, dem Wonderboy von vor 2 Jahren - und so baut Pariah ein etwas ereignisarmes, an Tech-House geschultes Set. Supersolide und fein und souverän gemixt, dennoch hätte man von dem nebenbei supersympathischen Mann, der zuvor im Interview ganz beiläufig und ohne Profilierungszwang die Namen Nicolas Jaar, GAS, Tim Hecker und Fennesz gedroppt hat, gerne etwas mehr Abenteuer gehört.
Einen erwartungsgemäßen Höhepunkt stellt hingegen die Live-Performance von John Roberts auf dem kleinen Floor dar: Vielleicht muss man seine alte Meinung revidieren und meinen, dass der aus Ohio stammende und inzwischen in Berlin gelandete Produzent nicht bloß für eines der besten Alben des vergangenen Jahres verantwortlich war, sondern eigentlich gar überhaupt für das beste. Das beim stets geschmacksicheren Kunsthochschulen-House-Label DIAL aus Hamburg erschienene "Glass Eights" findet eine erdrückende, wie Roberts selbst sagt, sich aus Depression speisende Balance aus Tanzboden, Beat, Experiment und grobkörnigem Schwarzweiß-Film ohne ersichtliche Handlung. Live kommt der nebelgrau gefärbte House der Zärtlichkeit von Roberts freilich etwas stärker auf Funktionalität auffrisiert daher, ohne dabei jedoch den Charakter des fein gedrechselten Kunsthandwerks zu verlieren. Man höre: Fantastisch.

Claudio Farkasch (sound:frame/lichstschalter.tv)

Claudio Farkasch (soundframe:lichtschalter.tv)

Claudio Farkasch (sound:frame/lichtschalter.tv)
Auch der Künstler, der am Sonntagmorgen den großen Floor in der Ottakringer Brauerei beschließt, hat eines der besten Alben 2010 veröffentlicht: Unter seinem Projektnamen Teebs hat der gebürtige New Yorker, mittlerweile nach Los Angeles verzogene Mtendere Mandowa mit "Ardour" ein Meisterwerk großer Beat-Alchemie zusammenlegiert. Veröffentlicht bei der kalifornischen Wunderstube Brainfeeder, der Heimat u.a. von Flying Lotus, Jeremiah Jae und dem Gaslamp Killer, stellt HipHop für "Ardour" zwar noch das Fundament dar, hat sich aber längst in Richtung stolpernder Elektronik europäischer Prägung im Sinne von vielleicht klassischem Warp-Style und frei driftendem Experimentierwillen entwickelt, der auch wieder Jazz als den größten aller Teacher erkennt. Hier greifen tausend Flöten, Glöckchen, Harfen und aus fernen Quellen gezogene Signale geschmeidig ineinander.
Auch im Falle der Teeb'schen Live-Darbietung müssen bei einer Performance in den späten, späten Stunden in großer Halle vor Publikum mit Rave-Wunsch die auf Tonträger gebannte Subtilität und das unaufdringliche Nuancenreichtum gröber angelegter Beat-Direktheit weichen. Unter stärkerer Akzentuierung des Polterns und Rumpelns, die auf "Ardour" nur zwei unter hunderten Soundelementen innerhalb eines feingliedrigen Wurzelwerks ausmachen, geht der Zauber der quecksilbrigen Fieberklänge des Albums ein wenig verloren. Naturgemäß. Trotzdem darf man nach diesem Auftritt wissen, mit Teebs eine großen Künstler erlebt zu haben. An einem großen Wochenende, im Rahmen eines wunderbaren Festivals, mit Herz und Ahnung organisiert, glücklicherweise auch leicht abseitig - also mutig und gut - programmiert. Einzig über die zeitliche Positionierung der Acts innerhalb des Programms könnte man sich eventuell im Sinne einer rythmisch stimmigeren und vermutlich partytechnisch zufriedenstellenderen Dramaturgie einen oder zwei Gedanken machen. Aber das ist ja immer ein grundlegendes Problem, wenn künstlerischer Wert und Feierei zusammengeführt werden wollen. Viel besser kann man es nicht machen.