Erstellt am: 27. 3. 2011 - 23:11 Uhr
Journal 2011. Eintrag 64.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag als Anregungs- und Denkfutter, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich das ganze Jahr über Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit der Erweiterung einer Steil-Vorlage der taz zum Thema politische Kultur und Phraseologie.
Heute war wieder Wahlabend.
Nicht in Österreich, da ist heuer Ruhe, bis auf die ÖH-Wahlen im Mai, die aber ohnehin traditionell nicht so recht parteipolitisch ausgeschlachtet werden und deshalb anderen Mustern folgen.
Nein, in Deutschland, wo heuer gefühlte 23 von 16 Bundesländern wählen.
Was in etwa den Durchsetzungs-Einsatz der dortigen Regierung zur Folge hat, den wir hierzulande von der Bundesregierung vor der Wien-Wahl zu spüren bekamen: das süße Nichts, richtig.
Und weil die dortige konservativ-wirtschaftsliberale Lobby für die Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen sich nicht so recht als Regierung gerieren kann, geriet sie in Not. In Umweltnotstand-Not, ausgelöst von den durch Stuttgart 21 und den Castor-Transporten entstandenen Wutbürger, der sich in Baden-Württemberg gegen das Establishment stellte. Wobei die Fahne unter der man sich sammelte erstmals nicht mehr rot, sondern grün leuchtete. Und weil sich die SP-Regierung im benachbarten Rheinland-Pfalz an den Fehlern von Merkel und Mappus orientierte, kippt sie gleich mit in den Pool der Verlierer.
Darum soll es aber heute hier nicht gehen, sondern um diese Wahl in zwei wichtigen Ländern, die zusammen fast doppelt soviele Einwohner wie Österreich haben. Dazu kamen noch Kommunalwahlen in Hessen. Diese Wahlen boten der immer schön bissigen und gewitzten Redaktion der Berliner taz ein Forum für eine Idee: Bullshit-Bingo mit Wahlabend-Phrasen.
"Ein Tag großer Freude" - "besseres Ergebnis gewünscht"
Wer zuerst alle gehört und abgehakt hat, gewinnt. Und diesmal ging es schnell, egal welchen Sender man wählte - ARD, ZDF, SWR, HR. "Zunächst mal", "Endergebnis abwarten", "bei unseren Wählern bedanken", "der Verantwortung stellen", "werden uns jetzt zusammensetzen", "bundespolitische Themen", "ein Tag großer Freude", "in Ruhe analysieren", "eindeutiges Signal", "mit allen Gespräche führen", "besseres Ergebnis gewünscht", "nichts beschönigen" - 25 Phrasen erster Güte wurden da angeführt, Phrasen, die nicht einmal konkret auf irgendwas eingehen müssen, weder die Atomdebatte, noch die Stuttgarter Lage. Phrasen, die selbst die siegreichen Grünen, selbst im Bewusstsein des Erfolgs absonderten.
Diese Bullshit-Bingo-Gesülze passiert überall und berechenbarst deshalb, weil die Akteure glauben, dass ihnen das was bringt, so unverbindlich und schwammig und ungreifbar zu sein.
Derlei wird immer durch Konsulenten, Spin-Doktoren und Berater verordnet und dann brav durchgezogen - bis es irgendwann verinnerlicht daherkommt.
"Nichts beschönigen" - "werden uns jetzt zusammensetzen"
Und genau hier spießt es sich.
Helft mir. Ich versteh das nicht.
Die fast schon zahnschmerzenverursachende Erfolglosigkeit des Verkaufs langweiliger Politik/er/innen, egal ob in Deutschland oder -auf deutlich tieferem Terrain - in Österreich müsste doch bedeuten, dass sich ein Teil dieser Konsulenten-Kultur, die PR-Vögel, die sich abheben wollen, einen neuen Dreh verkaufen müssen, um in den lukrativen Berater-Markt reinzukommen.
Und dieser neue Dreh in Bezug auf die Kommunikation mit dem Wahlvieh, pardon, dem einfachen Wähler, der kann doch nur über eine Veränderung der Augenhöhe funktionieren. Soll heißen: das Bullshit-Bingo des Wahlabends, das letztlich auch die normale öffentliche Auseinandersetzung prägt, aus den Angeln heben.
Vor allem die Bewerber kleinerer Fraktionen könnten sich mit einem Ansatz jenseits von Phrasen, einem ehrlichen Leuchten angesichts von Freude und echtem Ärger angesichts von Niederlage in Szene setzen; absetzen von einem Politiker-Bild, das schlechter nicht daherkommen kann, von einem Level, das tiefer kaum noch werden kann.
"Mit allen Gespräche führen" - "in Ruhe analysieren"
Wo bleiben die entsprechenden Ratgeber?
Anstatt vormals halbwegs authentische Menschen zu Hampelmännchen umzuerziehen, anstatt blasse angstvolle Teiggesichter einer PR-Schulung zu unterziehen wäre doch einmal eine Charme-Offensive des Anti-Bullshits angebracht. Man mus es ja nicht übertreiben, wie der durch Medis sedierte Schröder am Abend seiner Niederlage. Aber: wie würde einmal ein schlichtes "Das weiß ich wirklich nicht!" oder ein "Ehrlich, eine Antwort auf eine derart manipulative Frage will ich meinem Magen nicht antun!" oder ein "Die interessanten Lösungen lassen sich jetzt wirklich nicht in einem lässig klingenden Populisten-Satz verkaufen - wie wär's, ich bespreche das morgen 10 Uhr mit allen, die es wirklich interessiert, öffentlich durch!" wohl ankommen?
Warum soll das schlechter ankommen als der Bullshit?
Als sich Kanzler Faymann vor einigen Monaten einen neuen Berater und der sich ein neues Konzept für TV-Interviews zurechtlegte, die den vormals Verbindlichen ein wenig deutlich angriffiger daherkommen ließen, war diese minimale Änderung das Medienthema für Wochen: Die Öffentlichkeit lechzt also nach Andersartigkeit, Veränderung, Neuem und weniger Phraseologie.
"Der Verantwortung stellen"...
Gut, die deutschen Politiker haben da ein geringeres Problem, weil mehr und bessere Personalities. Im talentearmen Österreich, wo einzelne Parteien deutlich schlechter auf- und eingestellt sind als Constantinis Fußball-Nationalteam, hingegen ist gesteigerte Sorgfalt deutlich wichtiger.
Wer sich freiwillig dem Bullshit verpflichtet und ihn unhinterfragt übernimmt, die Bedeutungslosigkeit der Worte ausbaut und eine durch nichtssagende Schwammigkeit erworbene Bravheit als einzige Tugend anstrebt, der wird im selben Bullshit untergehen, karrieretechnisch. Und: Wenn man das schon nicht selber erkennt, wo bleiben die gierigen Konsulenten, die da was abgreifen könnten? Warum bewegt sich da nichts?