Erstellt am: 28. 3. 2011 - 15:34 Uhr
Vive la Farce
Er ist ein Seiltänzer zwischen den Genres, dieser Francois Ozon, ein Regisseur, der im Allen/Chabrol-Takt - 1 Film pro Jahr - die Leinwand befüllt. Mit seinen Filmen, egal ob Drama, Komödie, Musical, Adaptionen von Theaterstücken, will Ozon, wie er selbst sagt, der Realität entfliehen. Und dann macht man natürlich Filme, die nicht nach Realität aussehen, sondern lässt in einer Eröffnungssequenz die Grande Dame Catherine Deneuve in einer weinroten Adidas Montur mit goldenen Streifen und Lockenwicklern durch einen Wald joggen, die Augen weit aufgerissen, ein kleines Notizbüchlein eingesteckt, in dem Gedichte notiert werden. Reh, Hase und Eichhörnchen gesellen sich zu der pittorsken Szene dazu.
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Künstlichkeit, Kitsch und camp gibt es bei Ozon eben auch in der Natur, er reitet auch mit "Potiche" kreuzfidel auf seinem Steckenpferd, der Überhöhung, einher. Nicht nur spielt der Film in den 70er Jahren, Deneuve und Fabrice Luchini spielen auch wie in den 70er Jahren. Luchini stampft mit einer dampfwalzigen Energie wie Louis de Funés durch die großbürgerliche Villa, Wut zischt ihm aus den Ohren. Aufbrausend und entnervt gestikuliert er, als würde es kein Morgen geben. Er hat die Firma des Vaters seiner Frau übernommen und jetzt grad übernimmt er sich gleich mit mehreren Angelegenheiten: Die fröhlichen Wirtschaftswunderzeiten sind vorbei, die Gewerkschaft der Arbeiter stellt immer mehr Forderungen, dann auch noch die Affaire mit der rothaarigen Sekretärin. Oh lala. Während Monsiuer Pujol also nicht mehr weiss, wo ihm der Kopf steht, weiss Madame Pujol noch nichtmal, wo sie überhaupt steht. Elle est ou, ma place, fragt sie, höflich entnervt, mit getupfter Küchenschürze über dem Jogginganzug. Ein wenig Sport, ab und zu Gedichte schreiben, einen Schlager in der Küche trällern. Sie sei eben ein Schmuckstück, une potiche, sagt Tochter Joelle, den Kopf umweht und umwellt von Haaren wie Farah Fawcett in der "Drei Engel für Charlie"-Phase.
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Die Regenschirmherrin
Als die Proteste der Arbeiter eskalieren und die Gesundheit des Zornbinkels Pujol drunter leidet, übernimmt Madame die Geschäfte in der Regenschirmfabrik. Der Umgangston wird freundlicher, die Schirme bunter. Sozialpartnerschaftliche Kräfte werden freigesetzt. Aus Madame wird Patronne; ohne in öde Biologismen abzudriften erzählt Ozon die Geschichte einer Emanzipation, einer Selbstbestimmung. Bezeichnend ist, dass schließlich familiäre Strukturen bzw. ein familiärer Konflikt sie dazu zwingen, sich aus der Firma zurückzuziehen. Doch der erwachte Kampfgeist lässt sich nicht so leicht unterkriegen, sie habe eine Firma aus der Misere geholt, warum nicht gleich ganz Frankreich, so Madame Pujol und startet einen Wahlkampf. Raus aus dem einengenden Biedermeiertempel namens Villa, auf die Straßen der Stadt.
Francois Ozon hat mit "Potiche" ein Boulevardstück aus den 1970er Jahren adaptiert, um einen dritten Akt und aktuelle Bezüge erweitert; manche Dialogzeilen sind Zitate von Nicolas Sarkozy, in Madame Pujol spiegelt sich ein wenig Ségolène Royale, dessen Konkurrentin im Wahlkampf 2007 wieder. Zwischen dem übertrieben Spiel der Schauspieler, zwischen knallbunter Retrorevue und Kitschkarussell wuchert eine politische Fabel, die sich auf die Zeit, in der sie spielt genauso bezieht wie auf heute. Ozons Inszenierung der Komödie bzw. Farce ist nie schnöder Formalismus, erst in der Überhöhung erkennt man die Realität, erst in einer in der Vergangenheit angesiedelten Geschichte die Bezüge zu jetzt.
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Wunderschön prallen in "Potiche" auch die Welten verschiedener Filmemacher aufeinander, Ozon macht keinen Hehl aus seiner Fassbinder-Verehrung, der wiederum die Filme des Melodram-Königs Douglas Sirk sehr geschätzt hat. Sowohl das zu Beginn auftauchende Reh, als auch eine riesige Fensterwand, die eine Grenze verkörpert, die Personen erst zu überschreiten lernen müssen, zitiert fast bildgleich Sirks fabelhaftes "All that heaven allows". Und wie bei Sirk sind auch bei Ozon die Kinder konservativer als die Eltern. In Joelle wabert der Neoliberalismus und ein Feminismus-Backlash, das Papa-Mädchen bringt Suzanne in der Firma zu Fall.
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"Potiche/Das Schmuckstück" läuft seit 25. März 2011 in den österreichischen Kinos
Gerard Depardieu nimmt sich als kommunistischer Vize-Bürgermeister spielerisch zurück, in einer wunderbaren Disco-Szene, in der Ozon seinem Faible für alles, was nach Musical duftet, nachgeht und Deneuve und Depardieu dezent choreografiert tanzen lässt, wird zu einem szenischen Denkmal für die beiden. Doch Potiche gehört Deneuve allein, von der übertriebenen Künstlichkeit der Eröffnungssequenz bishin zu einem - für Ozon-Verhältnisse - fast dokumentarisch anmutenden Ende, da singt sie inmitten von Menschen "C'est beau, la vie" und man glaubt ihr jedes Wort. Potiche ist kein Schmuckstück, sondern ein Juwel.