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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

27. 3. 2011 - 15:46

Filmemacherinnen, ausgezeichnet!

Das Finale der 14. Diagonale: "Die Vaterlosen" und "Nachtschichten" siegen - und mit ihnen erfreulich viele weibliche Filmschaffende.

"Es ist wirklich ein fantastischer Abend für die Frauen!", sagt Marie Kreutzer, "Falls Ihnen das noch nicht aufgefallen ist". Der Große Diagonale Preis Spielfilm 2011 ging an die 1977 geborene Regisseurin und Drehbuchautorin für "Die Vaterlosen". Zuvor war Ivette Löcker mit dem Großen Diagonale Preis Dokumentarfilm für ihre "Nachtschichten" ausgezeichnet worden. Neun Frauen und sechs Männer sowie zwei Produktionsgesellschaften bekamen Preise. Eine gute Quote.

Marie Kreutzer freut sich herzlich über den Großen Preis der Diagonale 2011 für "Die Vaterlosen"

Diagonale/Klaus Pressberger

Marie Kreutzer. Glücklich.

Um die Frage nach den Frauenquoten und ob die Gleichstellung von Frauen in der Filmbranche (k)ein Thema sei, darum ging es in der Podiumsdiskussion "Ripping Reality" wenige Stunden vor dem Finale der Diagonale. Diese Dinge hätten doch die Feministinnen in den Siebzigern erledigt, gab Sofia Coppola kürzlich in einem Interview zu Protokoll. Marie Kreutzer war schockiert, als sie das las. Nach dem Besuch einer Alternativschule musste sich Kreutzer erst an die Filmakademie gewöhnen: "Ein System stark von Männern dominiert, die einem die Welt erklären. Eine Professorin gibt es noch immer nicht." Einen Unterschied macht das auch bei scheinbar banalen Dingen, wie im Humor: "Es gibt einfach ganz viele frauenfeindliche Witze. Unter den Studentinnen haben wir manchmal darüber geredet: 'Ja, der meint es nicht so.' So, wie man mit Anfang Zwanzig eben ist", sagt Kreutzer heute.

"Mein Kind wiegt schwerer als meine Kamera"

Mit Bierdeckeln hat die Diagonale Fakten zum Ungleichgewicht zwischen Frauen und Männern in der Filmbranche unter das Volk gebracht.

"Mir war nie bewusst, wie schwierig es war. Ich dachte, dieses Kämpfen gehört dazu. Dann bin ich für einen Job nach Berlin gegangen, und bekam schnell soviel Arbeit, dass ich nicht mehr wegkam", erzählt die Kamerafrau Birgit Gudjonsdottir. In Österreich hingegen wurde sie von einem Prozenten nicht für Spielfilm gebucht mit der Begründung, die Handkamera-Drehs seien für sie als Frau zu schwer. "Mein Kind wiegt mehr als eine 35er Kamera", kommentiert Gudjonsdottir. Doch auch in Deutschland war und ist nicht alles eitel Wonne. Birgit Gudjonsdottir, die viele internationale Produktionen dreht, hat sich die aktuellen Zahlen angeschaut: nur drei Prozent der Kameraleute in Österreich sind Frauen, in Deutschland sind es auch nur sechs Prozent. Das habe sie selbst verwundert.

Elfi Mikeschs filmische Rückkehr in ihre Heimatstadt Judenburg ist heute Abend in ORF2 zu sehen.

"Es macht einen Unterschied, ob man für eine Institution oder frei arbeitet", sagt Elfi Mikesch, Regisseurin und Kamerafrau. Sie zählt zu den wichtigsten Vertreterinnen des europäischen Autorenkinos und ist gebürtige Judenburgerin, lebt und arbeitet allerdings in Deutschland. Seit 1979 gibt es den deutschen Verband der Filmarbeiterinnen, die damals die Forderungen aufstellten, dass fünfzig Prozent aller Mittel für Filme von Frauen zu Verfügungen gestellt werden sollten, fünfzig Prozent aller Arbeits-, Ausbildungs- und Gremienplätze für Frauen seien müssten und die Förderung von Verleih und Abspielstätten für Filme von Frauen gewährleistet werden solle. "Es geht auch um die Sichtbarkeit unserer Möglichkeiten", so die 70-jährige Elfi Mikesch. Und die Möglichkeiten sind nach wie vor beschränkt: "Nicht einmal ein Viertel der geförderten Projekte sind von Frauen, bei den großen Projekten sind überhaupt keine Frauen Head of Departement", stellt Gudjonsdottir, Tochter einer Österreicherin und eines Isländers, klar. Umso wichtiger ist es, dass sich Frauen gegenseitig besetzen.

Mehr als ein Dankeschön

Bei der Berlinale hat sich Marie Kreutzer mit ihren Hauptdarstellerinnen und den zwei Produzentinnen auf das Podium gesetzt. Ein symbolischer Akt. Denn mit Kamerafrau Leena Koppe und mit Cutterin Ulrike Kofler arbeitet sie seit ihrer Studienzeit zusammen. Im Panorama Spezial war nur ein Film einer Regisseurin im Programm, und das war "Die Vaterlosen".

Das Animationsfilmfestival "Tricky Women" feierte dieses Jahr sein zehnjähriges Bestehen.
Technische Fähigkeiten und Errungenschaften von Frauen, die wurden gerne "unterschlagen", erinnert Intendantin Birgitt Wagner. Hedy Lamarr war die schöne Schauspielerin, jedoch hat sie als Erfinderin der Verschlüsselungstechnik mit innovativer Entwicklung auch die heutige Mobiltelefonie mitermöglicht. Claire Parker hat mit ihrem Lebensgefährten Alexandre Alexeïeff die Animationstechnik des Nagelbretts entwickelt. Und Mary Ellen Bute kann als erste VJane bezeichnet werden. Bute begann, Sound in Film zu übersetzen.

Leena Koppe bekam für ihre Kameraarbeit für Kreutzers "Die Vaterlosen" den Diagonale-Preis Bildgestaltung Spielfilm des Verbandes Österreichischer Kameraleute AAC, und Elfi Mikesch erhielt den Preis in der Kategorie Dokumentarfilm. "Es ist mir eine große Ehre, ihn als erste Kamerafrau entgegenzunehmen. Und ich hoffe, er ermutigt auch andere junge Frauen", sagte Koppe in ihrer Dankesrede. Nicht zuletzt geht es um Momente wie diesen. Bei der diesjährigen Preisverleihung der Diagonale nützten die ausgezeichneten jungen Frauen Kreutzer und Koppe die Aufmerksamkeit, um Bewusstsein zu schaffen. Ihnen ging es nicht nur darum, den Erfolg für sich zu verbuchen. Sie wollen mehr und zwar für die Frauen. In die kurze Zeit der Bedankungen packten sie Statements. Und als der Grazer Stadtrat Karl-Heinz Herper bei einer Preisübergabe partout nur männliche Formen der Berufsbezeichnungen nennt, rufen Anwesende aus dem Publikum: "TechnikerINNEN!"

Es sind die vielen subtilen Ungleichgewichte, die einen Unterschied machen, sagt Marie Kreutzer auf dem Podium in Graz. Dass Veränderung nicht gegen Männer, sondern mit Männern passieren soll, versteht sich für die Frauen von selbst. Aber ohne Quoten wird es nicht gehen. "Und zwar sollten wir nicht bei dreißig Prozent ansetzen, sondern bei fünfzig Prozent", sagt Birgitt Wagner, Festivalleiterin des Animationsfilmfestivals "Tricky Women". "Sonst sitzen wir in dreißig Jahren noch da und fordern vielleicht fünfundreißig Prozent." Die erste Publikumsreaktion kommt von Peter Kern, der eine Dreißig-Prozent-Quote für Männer fordert und sich mehr "Ordnung in der Diskussion" wünscht. Die Provokation misslingt. Mit einer treffenden Antwort meldet sich Elfi Mikesch: "Ich möchte nur kurz sagen: Sechzig Prozent."

In eine andere Liga

Marie Kreutzer wünscht sich die Auflage für Produzenten, Teams ausgewogen zusammenzustellen. Es sei keine Unverschämtheit, dies zu fordern, fügt sie eigens mit bestimmter Höflichkeit hinzu. Kreutzer sitzt in zwei Förderbeiräten, in denen jeweils mehr Frauen als Männer sind. "Das ist schon ganz schön aufgestellt".

In diese andere Liga will der FC Gloria Frauen im Film mit konkreten Angeboten befördern. Die Cutterin Karina Ressler engagiert sich mit FC Gloria für die Vernetzung von Frauen in der Branche. Es gibt eine Datenbank, in die sich weibliche Filmschaffende eintragen können, und die es Produzenten vereinfacht, Frauen zu besetzen. Und regelmäßig finden in Wien Treffen zum Austausch untereinander statt.

Frau sein allein ist kein Programm. Und wenn in wichtigen Gremien zwei der Männer kurz vor der Entscheidung "einmal kurz pinkeln gehen", wie es Karina Ressler und der Produzent Alexander Dumreicher-Ivanceanu schildern, und bei ihrer Rückkehr an den Verhandlungstisch alles beschlossene Sache ist, darf Frau nicht dieselbe Methode übernehmen. "Gehma uns die Lippen nachschminken" sei der falsche Weg. Es braucht eine Quote, auch in Vorständen. Und Motivation für den Nachwuchs: "Das Wichtige ist, Ziele zu haben und zu sagen: Ja, ich will Kamerafrau werden oder in die Produktion gehen. Oder Komponistin? Wo sind denn die Komponistinnen?" fragt Elfi Mikesch und ermuntert zu Strategien.

Die Diagonale Filmpreise 2011

Details zu den Preisen finden sich hier

Großer Diagonale-Preis Spielfilm: Marie Kreutzer für "Die Vaterlosen".

Ivette Löcker

Diagonale/Klaus Pressberger

Großer Diagonale-Preis Dokumentarfilm: Ivette Löcker für "Nachtschichten".
Im winterlichen Berlin begleitet Ivette Löcker Menschen auf ihren Wegen und diese erzählen wie nebenbei erwärmend ihre Geschichte: Mitarbeiterinnen eines Kältebusses und eine Wachdienstangestellte, ein Rastloser und eine japanische DJane. Von oben blickt die Kamera auf zum Stillstand gebrachte Züge. "Nachtschichten" ist Löckers Lang-Dokudebüt.
"Schon ein bisschen eng, oder?" Die Laudatoren rücken Pia Hierzegger bemerkbar zu Leibe.

Diagonale-Preis Innovatives Kino: Billy Roisz für "Chiles en Nogada". Lobende Erwähnung: "Sofie Thorsen für The Achromatic Island".

Diagonale-Preis Kurzspielfilm: Umut Dag für “Papa“.
Einer der erstmals verliehenen Preise. "Eine Anregung für alle: Nachher zu Barbara Pichler mit ein bissl Geld und dann kriegen Sie Ihren eigenen Preis" (Hierzegger). Servus TV hat den Preis gestiftet. Umut Dag arbeitet bereits an seinem Langspielfilm.

Diagonale-Preis Kurzdokumentarfilm: Karl-Heinz Klopf für "They".
Die drei jungen Frauen in der Jugendjury der Diözese hat in "trauter Dreifaltigkeit" entschieden und schicken ein "God is a Woman" vorweg.

Diagonale-Preis der Jugendjury des Landes Steiermark: Max Liebich für "You’re Out".
"Max Liebich ist vier junge Männer", kommentiert Moderatorin Pia Hierzegger den Auftritt mit Team und fragt die überreichende Landesrätin, was sie mit den zuvor betonten 4000 Euro, mit "so viel Geld", machen würde.

Diagonale-Preis Bildgestaltung: Leena Koppe für "Die Vaterlosen" (Spielfilm) und Elfi Mikesch für "MONDO LUX – Die Bilderwelten des Werner Schroeter" (Dokumentarfilm).

Diagonale-Preis Schnitt: Evi Romen für "Mein bester Feind" (Spielfilm) und Wolfgang Widerhofer für "Abendland" (Dokumentarfilm).

Diagonale-Preis Szenebild und Kostümbild: Andrea Schratzberger für "Folge mir" (Szenebild Spielfilm),
Veronika Albert für "Tag und Nacht" (Kostümbild Spielfilm).
Ursula Strauss übergibt die Preise und lobt vorab. Pia Hierzegger fragt, ob das Lob prophylaktisch auf schöne Kostüme abziele. Strauss: "Hast du dir die Filme scho' mal ang'schaut?!".

Arman T. Riahi

Diagonale/Klaus Pressberger

"Nachtschichten", "Die Vaterlosen" und "Schwarzkopf" laufen heute noch einmal im Rahmen der Diagonale um 19.30 Uhr in Festivalkinos in Graz.

Diagonale-Publikumspreis: Arman T. Riahi für "Schwarzkopf".
"Um es in der Sprache meiner Protagonisten zu sagen: Das ist Chaos, Bruder!". Zu "Schwarzkopf" demnächst mehr an dieser Stelle. Kinostart ist am 6. Mai, und ich war eine von vielen, die vor Jubel gejohlt haben. Diese Doku kann man sich auch zwei Mal ansehen, nach der Preisverleihung bogen sehr viele Richtung Spätvorstellung und nicht direkt zur Party in die Postgarage ab.

Diagonale-Schauspielpreis: Marion Mitterhammer für "Die Vaterlosen" und Johannes Krisch für "Die Vaterlosen", "Vielleicht in einem anderen Leben" und "Kottan ermittelt: rien ne va plus".
Marion Mitterhammer als Mutter Anna in "Die Vaterlosen" ist schlicht und einfach toll. Mitterhammer freut sich herzlich, und Johannes Krisch ist aufgeregt, sagt er. "So einen Preis habe ich noch nie bekommen". Was er unter Erfolg versteht: "Besser sein als gestern, aber schlechter als morgen. Ich bin sehr stolz, Teil dieser Filmfamilie zu sein."

Preis Innovative Produktionsleistung: an Dor Filmproduktion für "Die unabsichtliche Entführung der Frau Elfriede Ott" und an Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion für "Der Räuber".