Erstellt am: 26. 3. 2011 - 22:08 Uhr
Fußball-Journal '11-23.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch das neue Jahr wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und die Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Heute mit der Nachlese zur gestrigen Länderspiel-Katastrophe gegen Belgien, die in einem Live-Blog in Echtzeit begleitet wurde.
Hier die wie immer tolle Taktikanalyse von laola1. Interessant auch die Analyse im Standard.
Die und andere, wie dieses Zentralorgan da, diese prima Website, diese tollen Erklärer und Einzelkämpfer wie ihn auch die im Lauftext erwähnte Kurier-Sportredaktion und andere vereinzelte Gerechte darf ich von der dort geäußerten Kritik getrost ausnehmen.
Dass ÖFB-Teamchef Dietmar Constantini gestern und heute (und wohl auch noch die nächsten paar Tage) zum Buhmann für Medien und Öffentlichkeit wird, ist folgerichtig und völlig gerechtfertigt. Wer sich so wie der Tiroler mit der populistischen Werbe-Praxis ausschließlich auf Außendarstellung, PR und Schmäh verlässt, anstatt minutiös über jedes einzelne "Jobberl" nachzuhirnen, fordert dieses Stahlgewitter richtig heraus.
Einiges von dem, was aktuell an Kritik-Punkten daherkommt ist wohlfeil durchdacht und formuliert (was beim ÖFB-Team gern Neidgefühle auslöst; weil es niemanden beherbergt, der sowas auch nur ansatzweise könnte: intensiv durchdenken und gut formulieren). Einiges andere, vor allem aus dem dumpfen Schoß des volksverblödenden Boulevards, ist wiederum so deppert, dass es wehtut.
Nichts davon ist allerdings für einen konstruktiven Fortgang geeignet.
Nicht nur, weil der ÖFB im Fall einer Niederlage zu einem Fort wird und nichts durch die Schußscharten kommen lässt. Sondern auch weil der hysterische Umgangston, der die Nationalmannschafts-Tage aktuell begleitet, alle Ansätze entwertet.
Und vor allem deswegen weil Kritik per se wertlos ist, wenn sie ausschließlich in schlechten Zeiten daherkommt.
Die Kind-mit-dem-Bade-Ausschüttung als reiner Selbstzweck
Es ist auch ein Fanal für die in anderen Bereichen noch viel größere Peinlichkeit des Mainstream-Journalismus. Auf das Offensichtliche hinzuweisen und dann unter Zurufen des johlenden Publikums draufzuhauen, das ist Lynch-Justiz, aber keine Berichterstattung, die diesen Namen auch verdient. Dazu würde gehören, dass sich der Fachredakteur auch und vor allem dann wenn die Dinge so halbwegs vor sich hinlaufen mit den Problemfeldern beschäftigt und drüber berichtet.
So ist der heimische Fußball-Journalismus, ebenso wie der heimische Sportjournalismus und letztlich auch der gesamte restliche Journalismus, vor allem der politische, ein am Fetisch der Ergebnisse orientierter. Nachdem aber weder richtig oder bedeutsam ist, was Mehrheiten empfinden oder wie sie abstimmen, noch das pure Resultat allein das Spiel definiert, ist diese Fixierung ein reines Armuts-Zeugnis eines im Untergang befindlichen Berufsstandes.
Absurderweise werden in diesem Rahmen dann diejenigen, die denselben Scheiß in anderen Bereichen bauen, in die Pfanne gehauen. Ein Ausschnitt aus dem Kurier beklagt die stummen Spieler, die nur hinter "vorgehaltener Hand" überhaupt den Mund aufmachen: "Ich will noch länger im Team spielen", lautet die Erklärung.
Schweigende Spieler und kuschende Journalisten
Komisch, ich sehe zwischen den schweigenden Spielern und den zwischen Resultaten und Platitüden schwankenden Journalisten keinen Unterschied. Oja, den einen: im Falle von Niederlagen runzeln sie öffentlichkeitswirksam die Stirn und tun so als wären sie Anwälte des "kleinen Mannes" für den sie jetzt die Erklärung des Unerklärbaren einfordern.
Dass es ihre ureigene Aufgabe wäre, das selber rauszufinden, wird tunlichst vergessen. Dass sie diese Forschung in Friedenszeiten, dann wenn es solala oder sogar gut läuft machen müssen, um glaubwürdig zu sein, ebenso. Natürlich nimmt niemand dem zuzwinkenden Trainer-Duzer ab, dass er sich seriös mit seinem Themenfeld beschäftigt - jeder spürt, dass der Fußball-Journalist per se nur der Schoßhund der Branche ist, der durch lustiges Bellen Aufmerksamkeit lukrieren soll. Auch sie wollen alle "noch länger im Team spielen", die Vorteile genießen - deshalb auch die Analyse-Schere im Kopf.
Nun war es vielleicht unfair, als Negativbeispiel ausgerechnet den Kurier zu zitieren. Denn die vor diesem hirnlosen Beispiel geäußerte Analyse ist die knappestmöglich-richtige, auch wenn man meinen könnte, sie wäre aus den Fußball-Journalen der letzten paar Jahre deriviert: "Zu wenig taktisches Training, ein fehlendes durchgängiges Konzept, unglücklicher Umgang mit Spielern oder Dünnhäutigkeit nach kritischen Anmerkungen, ... mangelnde Bereitschaft bestimmte Vorgangsweisen schlüssig zu erklären."
Der verlorene Glaube des Trainers verlor das Spiel
Ja, eh. Wieder gab es kein Training der Standards, wieder nur Wirrwarr und Wurschtigkeit, daraus folgende Leberwurstigkeiten, wieder keine ausreichende Vorbereitung auf den Gegner (eine Hälfte des Hinspiels on DVD), wieder keinen Matchplan und wieder keine einzige Idee für einen Plan B.
Apropos fähig sein "das System umzustellen": selbst die Schweiz, wo seit Jahrzehnten ein striktes 4-4-2 als verordnet gilt, selbst Ottmar Hitzfeld, der Oldie, riskierte in der 2. Hälfte im wichtigen Quali-Spiel in Sofia am heutigen Nachmittag etwas, brachte einen Stürmer (Derdiyok) anstelle des unsichtbaren Stocker im linken Mittelfeld.
Daraufhin sah die Schweiz aus wie einige der Südamerikaner bei der WM, mit einem schiefen, asymmetrischen System, einer sehr offensiven linken Flanke.
Genützt hat es nichts: es blieb beim 0:0. Aber da hat's einer wenigstens probiert und nicht seine Arbeit schlicht verweigert wie der variantenarme Constantini. Die Schweiz ist jetzt, ebenso wie Gegner Bulgarien, so gut wie draußen. Schuld daran: der Lauf von Neuling Montenegro, die (gleichauf mit England) zur Halbzeit schon sechs Punkte Vorsprung haben.
Unser Gruppe A-Glück, dass die Türken schon einmal unnötig verloren haben.
Das gibt Constantini in unglaublicher Offenheit (die nur auf sein Spekulieren mit der Blödheit der Menschen und der Medien zu tun haben kann) auch zu: er habe deshalb nicht wirklich umgestellt, sondern nur systemimmanente Wechsel vorgenommen, weil er nicht mehr dran geglaubt hatte, an die Chance einer Wende. Mitten in der 2. Habzeit? Hallo, ist da jemand? Bist gar du das, Zellhofer?
Dass Manfred Zsak ein Spiel nicht lesen und deswegen nicht reagieren kann, wissen wir aus quälenden U21-Erfahrungen. Dass es auch Constantini nicht (mehr) kann stand bislang zu vermuten - mit seiner dümmlichen Ausrede (die er im nächsten Satz zurücknehmen wollte) hat er es belegt.
Nur: all das ist nichts Neues.
Hofschranzen und Jobberl-Tschapperln
All das ist auch schon bei, während, vor und nach den Heimspielen gegen Aserbeidjan und Kasachstan und beim Auswärtsspiel gegen Belgien offensichtlich gewesen. Dass aus diesen drei Matches, die allesamt absurd vercoacht waren, sieben Punkte lukriert wurden, konnte die Realität verstellen - aber, ganz erhlich, nur für echte Idioten oder Opportunisten, die "noch länger mitspielen" wollen und deswegen erwünschte Weichspülerei und rein am Resultat orientierte Beschönigungen hingeschmiert haben.
Und deshalb ist in dieser Phase der EM-Quali, in der konstruktive Kritik noch zu etwas hätte führen können (zumindest zu einer Sensibilierung des Publikums) dann auch nichts Relevantes vermittelt worden, von Mainstream-Media, außer "So schön, dass alles so super läuft, was!?".
Das allerdings ist kein Journalismus, sondern angewandtes Hofschranzentum.
Und: die Constantinis dieses Landes erwarten das auch, sie glauben ein Recht darauf zu besitzen, so wie Landeshauptleute, die ihren lokalen Medien den Text diktieren. Ich wette, dass der ÖFB-Präsident ihm für diese Attitüde des Provinzkaiser alten Schlages lobend auf den Rücken klopft.
Beispiel: Constantini nach dem Match zu einer Reporterfrage, wie er an der mentalen Stärkung (von der er eben länger gesprochen hatte) erreichen will: "Du glaubst, wir brauchen einen Mentaltrainer, oder? Könntest du dieses Jobberl ausüben? Traust du dir das zu? Ich glaube, das ist nicht notwenig." (aufgezeichnet von laola1.at).
Keine Kultur einer kritisch-konstruktiven Beschäftigung
Natürlich machen Herrenbauern-Sprüche wie diese und der Druck, den der ÖFB entwickelt (auch über Verträge oder Rechtelagen) es jedem, der sich in weniger stürmischen Zeiten kritisch mit den Verhältnissen beschäftigt, schwer. So wie es immer und überall schwer ist, substanzielle Kritik zu üben, die nicht mit Vereinnahmung, Bedrohung oder struktureller Korruption bereinigt werden kann - das ist das Los des Journalisten, da ist Jammerei nicht angebracht.
Weil es diesbezüglich aber keinerlei Kultur der kritischen konstruktiven Auseinandersetzung gibt, bleibt dem unterentwickelten und in einer Vorstufe zur Demokratie feststeckenden Ansatz von Journalismus, der hierzulande verlangt und deshalb auch gepflogen wird, nur das wilde Eintreten auf wehrlose.
Weil man zu schwach, zu feig, zu kontur- und kulturlos ist, in Friedenszeiten Fragen zu stellen und Analysen zu setzen, anstatt sich im Bandwagon des Erfolgs zu sonnen, entsteht die Notwendigkeit im Fall des Misserfolgs der Niederlage umso niederträchtiger und brutaler loszutreten. Es platzt aus ihnen heraus; weil sie es sonst nicht dürfen.
Deshalb ist die aktuelle Constantini-Piesackerei nichts wert, gar nichts. Erst dann, wenn die Auflistung/Analyse dessen, was falsch läuft, auch dann passiert, wenn das ÖFB-Team, wider Erwarten, in der Türkei einen Erfolg einfährt (und schon ein tapfer erspieltes Remis wäre einer), dann würde es etwas bedeuten. Die Chancen dafür stehen aber deutlich schlechter als die für ein Erfolgserlebnis in Istanbul. Weil der heimische Fußball-Journalismus nicht einmal ansatzweise die Qualität des ÖFB-Teams besitzt.