Erstellt am: 25. 3. 2011 - 15:43 Uhr
Die Welt hat vier Buchstaben
So ist das also, so geht das also: nämlich gar nicht. Da sitze ich an diesem wunderschönen Sonnenvormittag in Graz, während das Leben an einem vorbei galoppiert und überall der österreichische Film gefeiert wird. Geht das so? Natürlich, muss man da sagen. Irgendwo, irgendwann, irgendwie soll sich das heimische Filmschaffen ja auch aufbäumen zu einem Lebenszeichen, unabhängig von Festivals und sonstigen Abhängigkeiten. Ein wenig Freiheit weht durch die Stadt. Auch ein wenig Gleichheit. Der österreichische Film, das ist Behauptung, und wer weiß schon, ob die stimmt, der spitzt sich gerne zu: während die bundesdeutschen Nachbarn die flächige Form perfektioniert haben und das Kino dort konfektioniert scheint wie eine Bonbonniere, gibt sich Österreich, jedenfalls auf dem Revers, gerne unangepasst und radikal. Weh tun will man, Wahrheiten aufzeigen. Das ist auch bitter nötig.
Am Empfang der steirischen Filmwirtschaft verwechseln die „sehr filminteressierten“ Offiziellen, die Politiker, die sich Veranstaltungen umhängen wie Trophäen, schon mal Regisseurinnen, sagen, der Film „Judenburg findet Stadt“, der stammt von Marie Kreutzer. Richtig wäre Elfi Mikesch gewesen. Kann schon mal passieren, neigt man da zu denken. Sicher ist der grauhaarige Mann im feschen Anzug nur nervös. Und immerhin hat er das Buffet finanziert. Nervöses Lachen.
Ganz in Weiß
Irgendwann heißt es in Mörderschwestern, dem neuen Film von Peter Kern, man solle die 3 drücken, dann bekäme die junge Frau mit der Krähennestfrisur auf der Leinwand ein Ehrenabzeichen der Republik Österreich. Zur Erklärung: Kern inszeniert poetisch zugespitzt vor dem Hintergrund des tatsächlichen Falls von vier Krankenschwestern, die Ende der 80er-Jahre im Lainzer Krankenhaus über vierzig Patienten zumeist vermittels Rohypnol von ihrem Leiden erlöst und ins Nirvana gespritzt haben, einen essayistischen Spielfilm in „Mörderama“. Das heißt, das Publikum wird vor Filmbeginn eingewiesen in die interaktive Natur des Werks, dass man nämlich durch Tastendruck auf dem zweifelsohne mitgebrachten Mobiltelefon in den Fortgang der Geschichte eingreifen und entscheiden kann, wen die nach 15 Jahren aus dem Gefängnis entlassene Mörderschwester Tabea (großartig: Susanne Wuest) als nächstes um die Ecke bringen soll.
Nun liebt das populäre Kino Gimmicks: der Zeitgeist diktiert 3D-Hysterie, Kern antwortet auf diesen Hit-Mach-Mit-Trend gewohnt hintersinnig, nämlich indem er das Publikum nicht einlullt und in neue Fantasien entführt, demnach aus der Verantwortung entlässt, sondern ihnen Verantwortlichkeit abringt. In den ersten zehn Minuten treibt eine Vielzahl von Internet-Clips an einem vorbei: ein Mann wird von einem Raubtier attackiert, Blut fließt, im Hintergrund kläfft ein süßer Hund. Der Mord ist leicht verdaulich: man klickt sich durch, wartet auf den nächsten Schock. All das ist Gebrauchsgegenstand, ein bisschen wie ein virtueller Fight Club. Danach spürt man sich wieder.
Herzscheisse
Eben dort setzt „Mörderschwestern“ an, bei dieser Wurschtigkeit. Schwester Tabea monologisiert fast ausschließlich, zumeist direkt zum Publikum hin. Man wird beschimpft als Beutelratte, man wird bedroht, etwa damit, dass einem heißes Stelzenfett ins Gesicht geschüttet wird. Kern ist was er immer ist und so ist auch sein Kino: verzweifelt, verwundet, aber mit einem gewaltigen Herz. Einer, der die Veränderung und die Bewegung herbei sehnt und bei aller Härte immer noch daran glaubt, dass sich etwas tun kann. Dass vielleicht irgendwann einer aus der Masse aufsteht und schreit, dass sich irgendeine diese Beschimpfungen nicht mehr gefallen lässt: Kerns Kino ist gebaut für die Reaktion, trägt die Revolution im Kern mit. Dabei ist es vollkommen gleichgültig, ob der eine Schnitt oder der andere Ton perfekt gesetzt ist oder nicht. Das ist die Währung von Spießern und Akademikern, von Menschen, die Filme sezieren wie ein totes Stück Fleisch.
Diagonale
Das kann bei „Mörderschwestern“, das kann bei Kern nicht funktionieren. Denn da pumpt das Leben selbst über die Leinwand: das zu verlachen, ist nichts als Feigheit. Dann hat man das Gefühl an sich schon verloren, sucht im Kino nur das Perfekte, nicht mehr aber eine Seele. „Mörderschwestern“, und das liebe ich daran vielleicht am meisten, hat eine Haltung, zeigt sich nicht angegriffen von dieser Krankheit, die das österreichische Kino links und rechts befällt, von Ambivalenz. Immerzu redet man sich darauf hinaus, dass es doch keine eindeutige Wahrheit gäbe, dass doch immer alles so oder anders sein könnte. Und am Ende sitzen dann alle Achsel zuckend in der Ecke und wissen, das Leben ist kompliziert. Bringen tut das freilich nix: Film ist Kommunikation. Bei Kern werden Namen genannt, es gibt keinen Zweifel, für wen das Herz dieses Kinos schlägt und gegen wen es ankämpft. Gegen diejenigen, die es sich zu einfach machen, die verurteilen, ohne jemals gelebt zu haben, deren Entscheidungen keine Konsequenzen mehr haben, weil sie gar keine Entscheidungen mehr treffen.
Heute, kurz bevor ich zu schreiben beginne, erzählt mir Peter Kern noch von seinen neuen Leidenschaften und Obsessionen, also von seinen neuen Projekten und rezitiert aus Frank Wedekinds Gedicht „Behauptung“.
Ob die Menschheit mich begrabe
Häuptlings, bei lebendigem Leib,
Gilt mir doch ein schlanker Knabe
Schöner als ein dickes Weib.
Könige
Und dann war da noch Poet. Paul Poet. Auch er ein ungewöhnlicher österreichischer Regisseur. Er filmt Christoph Schlingensiefs Container-Aktion in Wien und bringt sie als „Ausländer Raus!“ in die Kinos. Jetzt erzählt er in Empire Me nicht von Containersiedlungen aber von einer anderen Art abgesetzten, irgendwie auch inszenierten Lebens. Von Mikronationen, von Menschen, die sich einen Flecken Erde teilen und diesen beherrschen. Sie gründen ihre eigenen Nationen, schreiben Verfassungen, geben in einigen Fällen sogar Währungen und Briefmarken heraus. Die Utopie lebt, will man da schreien, bevor der Traum von Autonomie dann doch ein wenig bröckelt. Noch habe ich den Film erst ausschnittsweise gesehen, kann also keine Meinung dazu haben und höre jetzt auf, darüber zu schreiben.
Diagonale
Wüste Schönheit
Schnell hin zu einem Radikalen des heimischen Kinos. Eigentlich kommt Ludwig Wüst aber aus einem kleinen bayrischen Dorf, aufgewachsen ist er auf einem Bauernhof. Seit über zwanzig Jahren lebt und arbeitet er in Wien, zuerst vorwiegend fürs Theater, ab Ende der Neunziger-Jahre aber fast nur mehr fürs Kino. 2009 schließlich durchbricht er die Wahrnehmbarkeitsschwelle: und das, beinahe schon österreichtypisch, mit einem Schock. Wüsts erster Langfilm "Koma" bricht so unvermittelt und unerwartet über einen herein, dass nicht wenigen Hochkulturrittern ihre Liebe zum heimischen Kino im Hals stecken zu bleiben droht.
Mit einer Mischung aus unaufgeregtem Naturalismus und unbeugsamem Willen zur Stilisierung inklusive einer mehrminütigen Plansequenz entwirft er in Koma die Chronik einer ganz normalen Landfamilie: aus den Vorbereitungen zu einem bedrückend normalen Geburtstagsfest schälen sich verborgene Gefühlslagen heraus, die Wüst mit zum Teil extremen Bildern, allerdings nie spekulativ unterfüttert. Viennale-Direktor Hans Hurch nennt Wüst damals einen großen Eigensinnigen des heimischen Kinos.
Und es sieht ganz danach aus, als arbeite der Regisseur darauf hin, seinen Ruf zur Legende auszubauen. Seine aktuelle Arbeit, die diese Woche auf der Diagonale in Graz Weltpremiere feiert, nennt sich Tape End: ein Titel, dessen Naheverhältnis zu technologischen Termini verschleiert, dass einem darin die nackten und unvermittelten Gefühle ins Gesicht hüpfen. Zu sehen ist das Aufeinandertreffen von zwei alten Schauspiel-Freunden, die erst in Erinnerungen schwelgen, bevor die Gefühlswunden wieder aufplatzen. Wüst selbst war bei den „Dreharbeiten“ nicht anwesend: Tape End dauert genau eine Stunde, besteht aus nur einer Einstellung. Die Kamera filmt einen Raum, in dem die Schauspieler den Gefühlsreigen in Echtzeit durchspielen.
Diagonale
Poet, Kern, Wüst. Diese drei Namen sprechen für sich selbst und sagen dennoch so viel mehr. Auf ihren Schultern ruht die Hoffnung, nicht ausschließlich, aber unbedingt für den österreichischen Film. Sie sind die Eigensinnigen, die Kämpfer, diejenigen, die sich nix scheißen, weil sie Meinungen haben. Und Haltungen. Ihre Wichtigkeit für dieses Land kann man gar nicht überbewerten. Sie wecken und fahren ein, sind im Kern wüste Poeten. Es geht voran.